Nic. Ludw. Graf von Zinzendorf – Alles wie Jesus will.

Merk, Seele, dir das große Wort:
Wenn Jesus winkt, so geh;
Wenn er dich zieht, so eile fort,
Wenn Jesus hält, so steh.

Wenn er dich lobet, bücke dich,
Wenn er dich liebt, so ruh,
Wenn er dich aber schilt, so sprich:
Ich brauchs, Herr, schlage zu!

Wenn Jesus seine Gnadenzeit
Bald da bald dort verklärt,
So freu dich der Barmherzigkeit,
Die Andern widerfährt.

Wenn er dich aber brauchen will,
So steig in Kraft empor;
Wird Jesus in der Seele stil,
So nimm auch du nichts vor.

Kurz, liebe Seel, dein ganzes Herz
Sei von dem Tage an
Bei Schmach, bei Mangel und bei‘ Schmerz
Dem Lamme zugetan.

Nikolaus Ludwig von Zinzendorf – Vermählung mit Jesu.

Mit einem zarten Sehnen,
Mit stillen Herzenstränen
Erwart ich Deine Flamm‘
An jedem Segenstage,
Und, wenn ich Dir was klage,
Dein offnes Ohr, mein Bräutigam!

Gib mir ein lichtes Wesen,
Das völlige Genesen
Um Geiste des Gemüts,
Beim Grundgefühl der Sünden
Ein tiefgebeugt Empfinden,
Kein Sünde tun, ach, Gott verhüt’s!

Geneigtes Herz zum Staube,
Ein‘ unbefleckte Taube
Zu sein nach Geistesart;
Zum Mühen unverdrossen,
In’s Armsein eingeschlossen,
Vor aller fremden Kraft verwahrt;

Mit Jedermann in Friede,
Treu mit des Lammes Liede,
Auch im Gebete treu,
Fürs Volk bei Dir zu sprechen,
Des Feindes Zweck zu brechen;
Den Freunden Gottes täglich neu:

Mir immer gegenwärtig;
Dir alle Stunden fertig
Zu alle Deinem Wink;
Im heiligen Abendmahle
Gerührt von Dessen Strahle,
Von dem ich wahrlich, ess‘ und trink‘.

Den Feinden Gottes schrecklich,
Dem Hausgesind‘ erwecklich,
Der Brüder aller Knecht;
Im Zuge schnell und glücklich,
Im Predigen erquicklich,
In allem Wandel schlecht und recht.

Den Seelen, die’s verstehen,
Erfreulich anzusehen,
Was Deine Liebe kann;
Zum Segen armer Sünder,
Zum Dienste Deiner Kinder
In Jesu ein vollkommner Mann.

Ganz ernsthaft und doch kindlich,
Einfältig, und doch gründlich,
Und ein getreues Ohr;
Ein zuverlässig Herze,
Gerührt von allem Schmerze,
Der unter Gliedern hier kommt vor.

Dem Satanas ein Schrecken;
Den Orten zum Bedecken,
Wo Du mich grade hast;
Den Engeln eine Freude,
Den Brüdern eine Weide,
Den falschen Geistern eine Last;

Der Salbung übergeben,
Geschickt zum Pilgerleben,
Gesund an Leib und Seel;
Vergnügt von aus- und innen,
Geübt in allen Sinnen,
Gesalbet mit dem Freudenöl!

Ihr Teufel, lasst mich machen!
Ihr Engel, helft mir wachen!
Geschwister, habt mich lieb!
Ihr Feinde, lasst mich lieben!
Gehilfen, helft mir schieben!
Mein Wirken ist kein eigner Trieb.

Und was ich für mich bitte,
Das bitt‘ ich für die Hütte,
Für Seele und für Geist
Der Andern, die sich wagen,
Zu geh’n in unsern Tagen,
Wohin sie Dein Erwählen heißt.

O Vater! freu‘ Dich meiner,
Ich bin des Sohnes Einer;
Geist Jesu, segne mich!
Und tu‘ an mir als Kinde;
Versöhner meiner Sünde,
Nimm und behalt‘ mich ewiglich!

(21. Novbr. 1741.)

Nikolaus Ludwig von Zinzendorf – Am Morgen.

Seht, die Nacht vergehet!
Geist und Herz, erstehet!
Seid der Sonne gleich!
Gottes Güt‘ und Treue
Leuchtet nun auf’s Neue,
Kräftig, voll und reich.
Was ihr wollt, kann euch erfreuen:
Gnade, Leben und Gedeihen.

Ließ uns Gott im Blicke
List, Gewalt und Stricke
Unsrer Feinde seh’n;
Welche Fährlichkeiten
uns von allen Seiten
An die Seele geh’n;
Auch wie Er uns pflegt zu decken:
o wie würden wir erschrecken!

Seele, dass auch heute
Dir Gott sei zur Seite,
Darum bitte nun!
Bitt‘ um Heil und Segen
Heut‘ auf Deinen Wegen,
Und bei Deinem Tun!
Vörderst, für die Macht der Sünden
Rat und Widerstand zu finden.

Seufz‘ in heißem Geiste,
Dass Er Hilfe leiste,
Und sei Rat und Kraft;
Dass Dich Nichts verleite
Auf die linke Seite
Bei der Pilgrimschaft:
Weil so viel Gefährlichkeiten
Dich an Seel‘ und Leib begleiten!

Bete, ruf und bitte
Um gewisse Tritte
Unter deiner Last!
Deinen Weg zu finden
Und zu überwinden,
Was du vor dir hast;
Auch durch Ringen, Reisen, Kämpfen
Alle Hindernis‘ zu dämpfen.

Will die Welt dich haben,
Und mit ihren Gaben
Wieder zu sich zieh’n:
Sei du unempfindlich
Und in Liebe kindlich,
Dass du kannst entflieh’n.
Besser, sich auch töricht fassen,
Als von ihr gewinnen lassen.

Hast du nun gesehen,
Wie es Gott lässt gehen,
Was Er ausgeführt:
So fang‘ an zu singen,
Und Ihm Lob zu bringen,
Dem das Lob gebührt.
Such Ihn auch in neuen Weisen
Alle Tage mehr zu preisen!

Gottes Machtbeschützen
Lass dir dazu nützen,
Dass du treuer wirst!
Such‘ Ihm and dein Leben
Wirklich zu ergeben!
Er ist Lebensfürst.
Such‘ es ja vor allen Dingen
Im Gehorsam weit zu bringen:

Dass dir’s wohlgefället,
Wie dein Gott sich stellet,
Grausam oder gut,
Wenn Er straft und schläget,
Wenn Er küsst und träget:
Alles, was Er tut.
Dank‘ und rühme bei der Freude!
Lieb‘ und lob‘ Ihn auch im Leide!

(1720.)

Nikolaus Ludwig von Zinzendorf – Morgengedanken.

Glanz der Ewigkeit,
Gott und HErr der Zeit!
Sei von allen Kreaturen
Für die neu erregten Spuren
Deiner Gütigkeit
Hoch gebenedeit!

Diese finstre Nacht
Ist zum Schluss gebracht,
Und die Strahlen heitrer Sonne
Brechen zur gemeinen Wonne
Durch die dunkle Macht
Der vergangnen Nacht.

Sehen wir denn nicht
In dem Morgenlicht
Einen Strahl von größern Kräften
Und durchdringendern Geschäften?
Sehen wir Dich nicht,
Zions Sonnenlicht?

Eile doch herbei
Mit der Arzenei!
Räume weg die dicken Felle,
Mache unsre Augen helle.
Sonst ist unsre Not
Ärger als der Tod!

Komm, verkläre bald
Deine Lichtsgestalt!
Öffne die verschlossnen Siegel,
Brich den unvollkommnen Spiegel,
Und verkläre bald
Unsere Gestalt!

Doch wenn Dir’s gefällt,
Dass wir auf der Welt
Länger noch mit schwachen Füßen
Unsre Straße wandeln müssen:
o so zeig‘ uns nur
Die gerade Spur!

Richte unser Herz
Zeitlich himmelwärts,
Dass die Zeichen dieser Zeiten
Uns zur letzten Zeit bereiten;
Richte unsern Sinn
Auf das Ende hin.

Gibt es in der Zeit
Scheinvergnüglichkeit:
So verleide und ein Leben,
Das kein wahres Wohlsein geben,
Noch den letzten Tag
und versüßen mag!

Soll’s uns hart ergeh’n:
Lass uns feste steh’n,
Und auch in den schwersten Tagen
Niemals‘ über Lasten klagen;
Denn das ist der Weg
Zu dem Sternensteg.

Bricht der Hütte Tor:
Zeuch den Geist hervor!
Lass ihn zu den frohen Scharen
Der erlösten Geister fahren,
Dass er Deinen Tag
Ewig sehen mag!

Hilf uns dahinan
Auf der Bundesbahn!
Lass uns durch Dein nächtlich Leiden
Aus der Nacht der Erde scheiden,
Und durch Deinen Krieg,
Jesu, gib uns Sieg!

(Im Mai 1721 zu Berlin gedichtet.)

Nikolaus Ludwig von Zinzendorf – Tischlied.

Gib, Heiland, dass ich Dich genieß
In allen Deinen Gaben,
So wird uns Alles himmelsüß,
Was wir zu essen haben.

Gibst Du Dich selber Deinem Volk,
So schließt es sich zusammen,
Dann brennet Deine Zeugenwolk‘
In heilgen Freudenflammen.

Tu‘ auch die Treu‘ an diesem Tisch,
Der Dir vor Augen stehet,
Und mache unsre Augen frisch,
Wenn Eins im Geiste gehet,

Von Deiner Gnade Honigseim
Für sich was aufzufassen;
Dann wollst Du’s offen und geheim,
Uns mitgenießen lassen.

(1711.)

Zinzendorf, Nikolaus von – Das Tagewerk für den HErrn.

Wenn wir uns kindlich freuen,
Und in der täglich neuen
Versorgung unsres Treuen
Von Jahr zu Jahr gedeihen;
In Seinem Heil uns weiden,
Bis dass wir zu Ihm scheiden,
Zu seh’n, was wir gegläubet,
Wem wir uns einverleibet;
Und wenn sich die Erlösten
Stets mit der Hoffnung trösten:
„Wir sind dazu geschaffen,
In Seinem Arm zu schlafen;
Durch Seines Blutes Segen
Und Seines Geistes Pflegen
Sind wir dahin gediehen,
Bald zu Ihm heimzuziehen“:
So denken sie daneben
Nicht ans elende Leben;
Ein selig Herz kann dessen
Gar mit der Zeit vergessen.
Der Priester mit dem Öle
Der Freud‘ für Leib und Seele,
Der naht sich stets zu ihnen,
Sie treulich zu bedienen.
Die Augen, die sich trüben,
Die klärt Er auf zum Lieben,
Und wischt, wo Tränen hangen,
Sie liebreich von den Wangen.
Das gleicht dem bunten Bogen,
In Wolken aufgezogen.
Wenn’s Erdreich nach dem Regen
Aufduftet voller Segen.
Wir haben uns auch Stunden
Der Feier aufgefunden,
Nach dem Sichabarbeiten
Stillklare Sabbatzeiten.
Da schließen sich die Sinnen
Der Knecht‘ und Dienerinnen,
Als ob sie dort schon wären,
Wo Seelen hingehören.
Mit einem Sabbatsherzen
Lass uns all‘ unsre Schmerzen,
Und was wir Schweres haben,
In Jesu Herz begraben!

(um 1750.)

Zinzendorf, Nikolaus von – Lob Gottes.

Wohlauf, mein Geist, zum höchsten Licht erhoben,
Das wahre Gut aus aller Kraft zu loben!
Gedenkst du nicht so vieler großen Taten,
Die Seiner Kraft zu Deinem Heil geraten?
Befindest du dich nicht auf Liebeswegen,
Da sich so viele tausend Wunder regen?
Es zeugt von Ihm der Sammelplatz der Meere,
Die Veste, die der Thron der Himmelsheere.
Und was ist nicht der Mensch? der Fürst der Dinge;
Doch sei dir das und Alles zu geringe!
Dein König ist, von wegen Seiner Liebe,
Schon würdig aller Dank- und Liebestriebe.
Nicht außer Ihm, nein, in Ihm selber wohnet,
Was wert ist, dass es über Allem thronet.
Drum magst du nur, anstatt dich einzuschränken
Mit freiem Flug an Seine Fülle denken;
Und dich zum Lob des HErrn recht aufzuwecken,
So lerne Ihn durch viel Erfahrung schmecken;
Dann wirst du bei dem kräftigen Empfinden
Ihn zu erhöh’n stets neuen Anlass finden.
So dringet denn hinauf, ihr inn’ren Triebe!
Geht, opfert euch der auserwählten Liebe!

(1725.)

Zinzendorf, Nikolaus von – Gebetlied.

(Nach dem Gebet des HErrn.)

Schau‘ von Deinem Thron,
Vater, Geist und Sohn:
Preise Deinen Gnadennamen,
HErr, zu dem die Frommen kamen
In der größten Not,
Auch an mir, mein Gott!

Träufele zugleich,
HErr, aus Deinem Reich
Eitel Heil und Segensströme:
O, dass ich doch dahin käme,
Da man Dich am End‘
Ohne Spiegel kennt!

Reinige mein Herz
Auch durch Leid und Schmerz:
Gib, dass sich mein Eigenwille
Ruhig in dem Deinen stille;
Alles, was noch mein,
Eigne Dir allein:

Führ‘ mich an der Hand
Im Beruf und Stand:
Nichts ist ohne Dich zu lenken:
Ziere Du mein Tun und Denken,
und bequem‘ es Dir:
Kreuzige mich mir!

Ach, Du Vaterherz,
Segne Reu‘ und Schmerz!
Tilge meine Schuld mit Blute:
Es fleußt aller Welt zu gute:
Lass mich zum Verzeih’n,
Liebe, willig sein!

Führe mich, mein Licht:
Stürze aber nicht
Mich in mehr Versuchungstage,
Als es meine Schwachheit trage:
Von der Tyrannei
Satans mach‘ uns frei!

(1720.)

Zinzendorf, Nikolaus von – Das Gebet des HErrn.

Der Du in dem Himmel bist,
Seit Dein Sohn, der Eine,
Jesus, unser Bruder ist,
Vater der Gemeine:

Deinem Namen widerfahr‘
Seine heil’ge Ehre!
Wem wär‘ wohl Dein Name klar,
Wenn der Sohn nicht wäre?

Komm mit Deinem Königreich,
Dass sich vor dem Sohne
Aller Erden Ende beug‘,
Seinem Tod zum Lohne!

Wie’s im Himmel pflegt zu geh’n,
Also auch auf Erden
Soll Dein heil’ger Will‘ gescheh’n
Durch des Heilands Herden!

Gib uns unser täglich Brot,
Gib es uns auch heute:
Und durch Jesu Blut und Tod
Segn‘ uns, seine Leute!

und vergib uns unsre Schuld,
Wie auch wir vergeben:
Denn wir achten die Geduld
Unsers HErrn fürs Leben.

In Versuchung führ‘ uns nicht:
Sondern hilf uns lieber
Völlig los vom Bösewicht,
Zur Vollendung über!

Amen, Abba Jehova!
Dir und Deinem Namen
Reich und Kraft und Gloria
Jetzt und ewig! Amen.

(1742.)

Zinzendorf, Nikolaus von – Bittgebet der Gemeine.

Gib, großer Hoherpriester,
Für Deine Kreuzgeschwister
Viel Rauchwerk zum Gebet,
Recht kindlich frohe Herzen
Und helle Glaubenskerzen,
Die keine fremde Luft verweht;

Ein Ohr, das Gnade höret;
Ein Auge, das Nichts störet,
Dich kindlich anzuseh’n;
Und priesterliche Lippen,
Und Füße, die die Klippen
Der Welt mit Dir getrost durchgeh’n.

Die Hände müssen segnen,
Die Seele Dir begegnen,
Der Leib Dein Tempel sein;
Den Geist beleb‘ ein Wehen,
Das Niemand kann verstehen,
Als Du und Dein Geschlecht allein!

(1736.)