Zeller, Albert – Von einer Morgenwache zu der andern

Von einer Morgenwache zu der andern
Ruf ich zu dir, Herr, meines Lebens Licht!
Wie kann ich sehn, wie kann ich vorwärts wandern,
Entziehst du mir dein gnädig Angesicht?
Nacht ist in mir, und Nacht ist rings um mich,
Verbirgst du mir, o meine Leuchte, dich.

Was hab ich Denn, was ich nicht hätt empfangen?
In bittrer Armut steh ich nackt und bloß,
Allein mit meinem Sehnen und Verlangen,
Gießt du mir nicht die Fülle in den Schoß,
Du meine Wolke in der Sonne Pracht,
Du meine Feuersäule in der Nacht!

Wer hat des Lebens Tor mir aufgeschlossen,
Als deine milde, gütge Vaterhand?
Ich bin aus Nichts und bin aus Gott entsprossen,
Und Erd und Himmel sind mein Heimatland:
Ich will auf Erden zu dem Himmel gehn;
Hier darf ich ahnen, dort dich wiedersehn.

O heller Tag, o neuer Schöpfungsmorgen!
O süßes, heilges, allgewaltges Licht!
Was erst noch lag in dunklem Grund verborgen,
Hervor zu seines Daseins Fülle bricht.
Ich Glücklicher! die ganze Welt ist mein
In meines Gottes warmem Wiederschein.

Und wenn sie höher schwillt, des Tages Hitze,
Und Gang und Arbeit werden hart und schwer,
Sich sammeln still des Ungewitters Blitze
In zorngeballtem, finstrem Wolkenheer:
Ich freue mich der hehren Majestät,
Die durch die Welt, im Siegeswagen geht.

Dein bin ich, Herr, dein will ich ewig bleiben!
Ich lass dich nicht, du segnetest denn mich;
Und mag die Welt in Sturm und Wogen treiben,
Und scheitern und zum Abgrund neigen sich:
Ich stürze nicht zum Abgrund mit hinab,
Es hält mein Gott mich über Tod und Grab.

Und wie mit seinen bunten, goldnen Spangen
Der Regenbogen schimmernd Meer und Land
In stillem Frieden tröstend hält umfangen,
Als wie mit einem teuren Liebesband:
So legt um jedes Dunkel, jedes Leid
Die Hoffnung still ihr lichtes Feierkleid.

Will es dann endlich Abend um mich werden,
Brich noch einmal, du Gotteslicht, hervor,
Und trage mich zum Himmel von der Erden
Mit deinen Strahlen schöpferisch empor!
Lass du mich nicht in Nacht und Dunkel stehn,
lass mich von einem Licht zum andern gehn!

Zeller, Albert – Einen seh ich um den Andern

Einen seh ich um den Andern
Wandern fort aus dieser Welt:
Einen folgen um den Andern
Nach der Reih, die Gott bestellt.

Dem, der weinet, dem, der klaget,
Sehnend blickt dem Andern nach,
Folgen bald auch Blick und Tränen,
Stilles Sehnen, lautes Ach.

Aller Stunde hat geschlagen;
Bald erschallt des Führers Ton,
Und ich ziehe mit den Andern
Von den Anderen davon.

Abgebrochen wird die Hütte,
Das beweglich leichte Zelt,
Und die Sterne sind zur Leuchte
Durch die Wüste schon bestellt.

Wollt ihr zagen, wollt ihr weilen?
Wollt ihr ohne Kampf die Kron‘?
Wills der Sünder besser haben,
Als des Menschen reiner Sohn?

Das Geheimnis unsres Lebens
Ward noch keinem Sinne klar,
Und sein wundersamer Schlüssel
Liegt auf jeder Totenbahr.

Auf die Wiege, auf die Bahre
Fält der helle Sonnenschein;
Engel schweben um den letzten
Engel um den ersten Schrein.

In den ersten Schlaf, in letzten,
Tönet ein unsterblich lieb,
Und ein heilig Volk von Brüdern
Grüßet froh das neue Glied!

Zeller, Albert – Leb wohl, leb wohl, du schöne Welt!

Leb wohl, leb wohl, du schöne Welt!
Mein Herz ist müd‘ und schwer;
lebt Alle wohl auf Wiedersehn,
Fahrt wohl, ich kann nicht mehr!

Du heilig Land, das mich geliebt
Und tausendfach erfreut,
Mir einen Gott und Himmel gab
Und süßes Weh und leid,

Und manche selge Menschenbrust
An meine Brust gelegt,
In leichtem Spiel, in hohem Ernst
Mich namenlos bewegt,

Den Hut der Freiheit auf das Haupt,
Den Stab mir in die Hand,
Zu herrschen und zu wallen gab
Froh über Meer und Land!

Leb wohl, leb wohl, du heilge Welt,
Die mir den Heiland gab,
Und Sühne in mein reuig Herz,
Unsterblichkeit ins Grab!

Er ging im Tode mir voran,
Er reich mir seine Hand!
Die Kluft ist tief, mein Gang ist Nacht,
Hinüber in sein Land!

Zeller, Albert – Gebrochen ist der Sturm

Gebrochen ist der Sturm,
Und mit dem Sturm mein Herz:
Ich stand so stark in dir
Im ungeheuren Schmerz.

Der Sturm der Zeitlichkeit
Währt eine kurze Weil,
Und führt das Glaubensschiff
Zum Ziel in größter Eil.

Das Meer ist hinter mir,
Ich steig ans Rettungsland;
Du aber grüßest mich
Und nimmst mich bei der Hand.

Zeller, Albert – Hinein, hinein in Kampf und Schmerz!

Hinein, hinein in Kampf und Schmerz!
Was zitterst du, o Menschenherz?
Umarme freudig Kampf und Not,
Das Leben und den dunkeln. Tod!
O ring mit Gott mit starkem Arm,
In jeder Lust, in jedem Harm!
In finstrer Nacht, in tiefstem Weh
Da sinkt der Strahl von selger Höh,
Da blitzt, wie einst das Wort gebot,
Das Licht hervor rubinenrot.
Greif nach dein Kranz! o komm hervor,
Schreit kühnlich durch des Todes Tor!
Zeuch aus aus deinem engen Zelt
Heraus in Gottes freie Welt!
Was lässt du, Selger, denn zurück?
Zerstückten Schmerz, zerstücktes Glück!
Hier göttlich Weh und Jubelklang,
Ein ewger, selger Brautgesang!
Nicht wahr? er wallet wunderschön
Durch Flur und Wald, durch Tal und Höhn!
Die Brust ist weit, der Atem geht,
Wie Morgenwind von Alpen weht.
Wo ist ein Schmerz, wo ist ein Tod,
Der ferner noch dein Herz bedroht,
Wenn Sünden, Wunden, Tod und Nacht
Nur Gottes Reich ans Licht gebracht?

Zeller, Albert – Ein lichter Strahl von oben

Ein lichter Strahl von oben
Vermählt sich mit der Nacht,
Da blitzt der Diamant
In sternenheller Pracht.

Ein Feuerstrahl von oben
Durchsengt der Kohle Nacht,
Da ist aus tiefer Ruh
Ein goldner Tag erwacht.

Der Geist des Lichts verkläret
Steigt aus den Flammen auf,
Und wallt auf goldnen Schwingen
Zum Quell des Lichtes auf.

Zeller, Albert – Ist es plötzlich Nacht geworden

Ist es plötzlich Nacht geworden
Suchst du fast einem Blinden;
Suchst im Süden und im Norden:
Und kein Sternlein kannst du finden.
Wisch die Tränen aus den Augen,
Stärk dein Herz und deine Blicke,
Dass sie neu zum Sehen taugen,
Und vertraue dem Geschicke!

Wirst du Einen Stern gewahren,
Kommt der zweite, kommt der dritte;
Immer neue offenbaren
Sich mit jedem neuen Schritte.
In der Nähe, in der Ferne
Tauchen sie aus blauem Dunkel,
Und ein Himmel voller Sterne
Leuchtet bald im Glanzgefunkel.

Alles ist dir neu erstanden,
Staunen kannst du nur und loben;
Und du siehst mit Liebesbanden
Dich in dieses All verwoben,
In den Räumen ungemessen,
Die sich leuchtend, rollend dehnen,
Nicht dein kleines Herz vergessen
Und sein untilgbares Sehnen.

Zeller, Albert – Lasset die Kindlein zu mir kommen

„Lasset die Kindlein zu mir kommen
Und wehret ihnen nicht!“
So sprachst du einst mit deinem frommen,
Holdselgen Angesicht,
Als deines Lieblings süßes Leben
Im Todeskampfe rang,
Und unter Zittern, unter Beben
Ein Schwert dein Herz durchdrang.

So schnell hast du den Zug verstanden,
Der ihn nach oben rief;
So frei von aller Selbstsucht Banden,
So glaubensstark und tief;
Und wie nun Gottes heilger Wille
Dich selber kommen hieß,
Wie folgtest du so mutig stille
Auf das, was er verhieß!

Schau ich in sehnsuchtsvoller Wehmut
Auf unsre Kinder hin,
Ich beuge mich in Dank und Demut
Und fleh um gleichen Sinn:
Lasse die Kindlein zu ihm kommen,
So tönt es fort und fort;
Was uns von dir auch sei genommen,
Es bleibt dein Segenswort.

O welch ein heiliges Vermächtnis
Ist ihre Unschuld mir!
O welch ein liebliches Gedächtnis
Von meines Lebens Zier!
Wie wunderbar hat Gott verschlungen
In Jedem unser Sein!
Zu lösen ist mir nie gelungen,
Was dein ist oder mein.

Und dieses Band, von Gott gewoben,
Von seiner eignen Hand,
Das wär zerrissen und zerstoben,
Weil du im heilgen Land? –
Wo kann die Mutterliebe weilen,
Als wo die Kinder sind?
Du wirst mit mir die Sorgen teilen
Um jedes teure Kind.

Dass sie des Höchsten Bildnis tragen
In irdischer Gestalt,
Die in den flüchtgen Pilgertagen
So schnell vorüber wallt;
Dass sie zu ihm, dem Vater, kommen,
Zu ihm durch seinen Sohn,
Mit seinen Jüngern, seinen frommen,
Sei unser Ziel und Lohn.

Dass, wenn zum neuen Segensbunde
Sich Erd und Himmel fand,
Und eins dem andern jauchzet Kunde,
Dass es in Gott erstand,
Wir rufen in der Vaterhalle
Nach treu getragner Last:
„Hier sind wir und die Kinder alle,
Die du verliehen hast!“

Zeller, Albert – Sollt ich die Schlummernde nicht lieben

Sollt ich die Schlummernde nicht lieben?
Im Schlummer liegt die halbe Welt;
Was ist mir Armen doch geblieben,
Das meines Lebens Pfad erhellt,
Als lieben, lieben ohne Ende
In treuer Lust und treuem Leid,
Was auch der Himmel weiter sende,
Zu immer neuer Lieb bereit!

Die Sonne hat dein Bild gemalet
Leicht hin auf den metallnen Grund;
Doch wies in meinen Herzen strahlet,
Das tut kein Wort und Zeichen kund;
Da stehts von Glorie umflossen
Ein lichtes Bild aus jener Welt,
Viel fester als aus Erz gegossen
Und was allhier zusammenhält.

Vor Gottes ewig lichtem Throne
Gibts keine Nacht und Finsternis;
Doch ach! dem armen Erdensohne
Wird alles schnell zum Schattenriss;
Die schwachen, blöden Menschenaugen
Verlangen immer wieder Ruh;
Wenn sie zum Schauen sollen taugen,
Schließt erst der Tod sie heilend zu.

Wie oft hab ich mit selgem Beben
Dein schlummernd Auge einst geküsst,
Bis sein geheimnisvolles Leben
Am Morgen wieder mich begrüßt!
Du heilger Quell voll Licht und Frieden,
Wie flossest du so reich und klar!
Nun ist der Strahl dahingeschieden,
Der meines Lebens Sonne war.

Er ging in seine tiefsten Tiefen,
In seinen Urgrund still zurück.
Wenn sie erwachen, die da schliefen,
Dann quillt hervor das alte Glück:
Werd ich dann träumen, werd ich wachen,
Wann dieser Morgen bricht herein,
Und mich der leicht beschwingte Nachen
Trägt in das Meer des Lichts hinein?

Zeller, Albert – Noch ist die Zeit zu wandern

Noch ist die Zeit zu wandern,
Noch ist die Heimat fern;
Von einem Tag zum andern
Verfolgen wir den Stern,
Der leuchtend uns erschienen
In wundervoller Pracht,
Als Führer uns zu dienen
Durch diese Erdennacht.

Wir gingen in der Irre
Und wussten nicht wohin:
Das Lust- und Schmerzgewirre
Betörte unsern Sinn
Es blieb der Blick gefangen
Von tausendfachem Schein;
Kein Wunsch und kein Verlangen
Drang in den Himmel ein.

Nun hat des Sternes Klarheit
Besiegt das falsche Licht,
Und Gottes ewge Wahrheit
Scheint uns ins Angesicht;
Die Blicke sind gehoben
Und königlich der Mut:
Wir schauen frei nach oben
Und fröhlich fließt das Blut.

An tausend Wunderschätzen
Erquickt sich Herz und Blick;
Wir dürfen uns ergötzen,
Doch hält uns Nichts zurück.
Wir dürfen nicht verweilen;
Der Stern lässt kurze Ruh;
Wir müssen vorwärts eilen
Und schreiten rüstig zu.

Bis er wird stille stehen
Auf dem gelobten Haus,
Da gehts durch Tief und Höhen,
Da gehts durch manchen Strauß1Kampf,
Durch heiße Mittagsgluten,
Durch Wüsten und durch Sand,
Durch Ströme und durch Fluten
Und manches Feindes Land.

Wenn er wird stille stehen,
Wir treten ein ins Haus,
Wie wird uns da geschehen?
Wer drückt die Wonne aus,
Wenn wir den Einen finden,
Der über Alle ist,
Den Erd und Himmel künden,
Den Heiland und den Christ?

Nicht Gold, nicht Edelsteine
Und keine Spezerei,
Wir haben nur das Eine
Ein Herz voll Dank und Trei;
Wir sinken betend nieder
Und bringen es ihm dar,
Und um uns steht der Brüder
Von Sieg gekrönte Schar.

Die treuen Augen flammen
In alter Zärtlichkeit;
Das Ird‘sche sinkt zusammen,
Ein Ende hat die Zeit;
Wie währte sie so lange,
So tod- und schmerzenreich!
Nun ist die alte Schlange
Der sanften Taube gleich.

Das Erste ist vergangen
Und kein Verlieren mehr;
Ein seliges Empfangen
Beglücket rings umher;
„Es kommen, die da dürsten,“
So ruft der Geist, die Braut,
Es wird vom Lebensfürsten
Das Höchste uns vertraut.