Carl Johann Philipp Spitta. – Am Ziele eines Erdenpilgers.

Am Grabe stehn wir stille
Und säen Tränensaat,
Des lieben Pilgers Hülle,
Der ausgepilgert hat.

Er ist nun angekommen,
Wir pilgern noch dahin,
Er ist nun angenommen,
Der Tod war ihm Gewinn.

Er schaut nun, was wir glauben
Er hat nun, was uns fehlt,
Ihm kann der Feind nichts rauben,
Der uns versucht und quält.

Ihn hat nun als den Seinen
Der Herr dem Leid entrückt,
Und während wir hier weinen,
Ist er so hoch beglückt.

Er trägt die Lebenskrone
Und hebt die Palm empor,
Und singt vor Gottes Throne
Ein Lied im höhern Chor.

Wir armen Pilger gehen
Hier noch im Tal umher,
Bis wir ihn wiedersehen
Und selig sind, wie er.

Spitta, Carl Johann Philipp – Christus hat dem Tode die Macht genommen.

Wenn meine letzte Stunde schlägt,
Mein Herz hört auf zu schlagen,
Wenn man ins stille Grab mich legt
Nach all den trüben Tagen:
Was wär ich dann, was hätt ich dann,
Wär mir die Tür nicht aufgetan
Zum sel‘gen Himmelreiche?

Wie flicht der eitlen Freuden Schwarm,
Wenn sich der Tod lässt schauen!
Sie überlassen, schwach und arm,
Den Menschen seinem Grauen.
Das Blendwerk ird‘scher Eitelkeit
Verschwindet vor der Wirklichkeit
Im Angesicht des Todes.

In unverhüllter Schreckgestalt
Tritt vor uns unsre Sünde,
Und von den Augen fällt alsbald
Der Selbstverblendung Binde;
Wir sind dann ganz auf uns beschränkt,
und alles in und an uns lenkt
Den Blick auf unser Elend.

Wenn du dann nicht mein eigen bist
In meiner letzten Stunde,
Wenn du dann nicht, Herr Jesus Christ,
Mich labst mit froher Kunde,
Dass du für den, der an dich glaubt,
Dem Tode seine Macht geraubt,
So muss ich ja verzagen.

Nun aber, weil du mein, ich dein,
Kann ich getrost entschlafen,
Dein heiliges Verdienst ist mein,
Schützt mich vor allen Strafen;
Du hast ja meinen Tod gebüßt,
Und dadurch meinen Tod versüßt
Zu einem sel‘gen Heimgang.

Drum bei dem letzten Glockenklang
Sei du mir, Herr, zur Seite,
und gib mir bei dem Todesgang
Dein freundliches Geleite;
Damit die letzte Erdennot
Nicht eine Krankheit sei zum Tod,
Vielmehr zum ew‘gen Leben.

Carl Joh. Phil. Spitta. – Winter.

Winter ist es. In dem weiten Reiche
Der Natur herrscht tiefe Einsamkeit,
Und sie selbst liegt, eine schöne Leiche,
Ruhig in dem weißen Sterbekleid.
Ihre Blumenkinder ruhn geborgen
An der Mutter Brust, mit ihr bedeckt,
Träumend von dem Auferstehungsmorgen,
Wo der Lenz sie aus dem Schlummer weckt.

Aller deiner Pracht bist du entledigt,
Erde, deine Schönheit ist dahin,
und du selbst bist eine Leichenpredigt
Von erbauungsvollem tiefem Sinn.
Was die Erde hat, kann nicht bestehen,
Ihre Gabe heißt Vergänglichkeit,
Aufwärts zu dem Himmel musst du sehen,
Suchst du ewge Schön und Herrlichkeit.

Lass zum Himmel dich die Erde weisen,
Suche deine Heimat nicht auf ihr,
Du musst weiter, immer weiter reisen,
Deines Bleibens ist nicht lange hier.
Ewge Güter suchst du hier vergebens,
Darum such im Himmel deinen Schatz,
Von der Erde nur am Ziel des Lebens
Für das Kleid vom Staube einen Platz.

Aber wenn die Osterlieder klingen
Und der große Ostermorgen graut,
Muss dir auch die Erde wiederbringen
Deine Hülle, die ihr anvertraut.
Sieh, so ist und so bleibt nichts ihr eigen,
Suche nicht, was sie nicht hat, bei ihr;
Lass von ihr dich hin zum Himmel zeigen,
Ewges Heil findst du nur über dir.

Carl Johann Philipp Spitta – Geist des Glaubens, Geist der Stärke

Geist des Glaubens, Geist der Stärke,
Des Gehorsams und der Zucht,
Schöpfer aller Gotteswerke,
Träger aller Himmelsfrucht!
Geist, der einst der heil’gen Männer,
Kön’ge und Prophetenschar,
Der Apostel und Bekenner
Trieb und Kraft und Zeugniß war!

2. Rüste Du mit Deinen Gaben
Auch uns schwache Kinder aus,
Kraft und Glaubensmuth zu haben,
Eifer für des Herren Haus;
Eine Welt mit ihren Schätzen,
Menschengunst und gute Zeit,
Leib und Leben d’ran zu setzen
In dem großen, heil’gen Streit!

3. Gib uns Abraham’s gewisse,
Feste Glaubenszuversicht,
Die durch alle Hindernisse,
Alle Zweifel siegend bricht;
Die nicht bloß dem Gnadenbunde
Trauet froh und unbewegt,
Auch das Liebste jede Stunde
Gott zu Füßen niederlegt.

4. Gib uns Joseph’s keusche Sitten,
Wenn die Welt ohn‘ Scham und Zucht
Uns durch Dräuen, uns durch Bitten
In ihr Garn zu ziehen sucht.
Lehr‘ uns fliehen, lehr‘ uns meiden
Diese üppige Potiphar,
Ihren Haß geduldig leiden,
Gott getreu sein immerdar.

5. Gib uns Moses brünstiges Beten
Um Erbarmung und Geduld,
Wenn durch freches Uebertreten
Unser Volk häuft Schuld auf Schuld.
Laß uns nicht mit kaltem Herzen
Unter den Verdorb’nen steh’n,
Rein, mit Moses heil’gen Schmerzen
für sie seufzen, weinen, fleh’n,

6. Gib uns David’s Muth, zu streiten
Mit den Feinden Israel’s,
Sein Vertrau’n in Leidenszeiten sin,
Auf den Herren, seinen Fels;
Feindeslieb und Freundestreue,
Seinen königlichen Geist,
Und ein Herz, das voller Neue
Gottes Gnade sucht und preis’t.

7. Gib Elias Heil’ge Strenge,
Wenn den Götzen dieser Zeit
Die verführte blinde Menge
Tempel und Altäre weiht.
Daß wir nie vor ihnen beugen
Haupt und Knie, auch nicht zum Schein,
Sondern fest als Deine Zeugen
Dasteh’n, wenn auch ganz allein.

8. Gib uns der Apostel hohen,
Ungebeugten Zeugenmuth,
Aller Welt trotz Spott und Drohen
Zu verkünden Christi Blut;
Laß die Wahrheit uns bekennen,
Die uns froh und frei gemacht;
Gib, daß wir’s nicht lassen können,
Habe Du die Uebermacht!

9. Schenk‘ uns gleich dem Stephan Frieden
Mitten in der Angst der Welt,
Wenn das Los, das uns beschieden,
In den schwersten Kampf uns stellt.
In dem rasenden Getümmel
Schenk‘ uns Glaubensheiterkeit,
Oeffn‘ im Sterben uns den Himmel,
Zeig‘ uns Jesu Herrlichkeit!

10. Geist des Glaubens, Geist der Stärke,
Des Gehorsams und der Zucht,
Schöpfer aller Gotteswerke,
Träger aller Himmelsfrucht,
Geist, Du Geist der heiligen Männer,
Kön’ge und Prophetenschar,
Der Apostel und Bekenner
Auch bei uns werd‘ offenbar!

Philipp Spitta – In der Angst der Welt will ich nicht klagen

In der Angst der Welt will ich nicht klagen,
will hier keine Ehrenkrone tragen,
wo mein Herr die Dornenkrone trug;
will hier nicht auf Rosenpfaden wallen,
wo man ihn, den Heiligsten von allen,
an den Stamm des Sünderkreuzes schlug.

Gib mir, Herr, nur für die Lebensreise
deine Wahrheit, die den Weg mir weise;
gib den Geist, der diesen Weg mich führt!
Gib ein Herz, das gern sich führen lasse
auf der graden, schmalen, steilen Straße,
die dein heil’ger Fuß einst selbst berührt!

Mache mich im Glauben immer treuer,
und des Glaubens Frucht, das heil ’ge Feuer
ungefärbter Liebe schenke mir!
Ohne sie könnt’ ich nicht vorwärtsschreiten,
zu der Liebe kann nur Liebe leiten,
sie nur führt mich durch die Welt zu dir.

Freundlich hast du mich zu dir gerufen,
lieber Herr; doch sind noch viele Stufen,
die zum Himmel ich ersteigen muß.
O, so reiche deinem schwachen Knechte
aus dem Himmel deine Gnadenrechte;
unterstütze, leite seinen Fuß!

Und recht hoffnungsvoll in deinen blauen,
schönen, fernen Himmel laß mich schauen,
wenn ich von der Wallfahrt müde bin,
daß ich hier im tiefen Tal der Schmerzen
einen festen Frieden hab’ im Herzen,
einen klaren, himmelsfrohen Sinn!

Ja, ich bin ein Fremdling hier auf Erden,
muß hier tragen mancherlei Beschwerden,
bin ein Pilger, arm und unbekannt;
und das Kreuz ist meiner Wallfahrt Zeichen,
bis ich werd’ mein Kanaan erreichen,
das ersehnte, liebe Vaterland.

Philipp Spitta – Bleibt bei dem, der euretwillen

Bleibt bei dem, der euretwillen
auf die Erde niederkam,
der, um euern Schmerz zu stillen,
tausend Schmerzen auf sich nahm!
Bleibt bei dem, der einzig bleibet,
wenn auch alles untergeht,
der, wenn alles auch zerstäubet,
siegend überm Staube steht!

Alles schwindet; Herzen brechen,
denen ihr euch hier ergabt,
und der Mund hört auf zu sprechen,
der euch oft mit Trost gelabt;
und der Arm, der euch zum Stabe
und zum Schilde ward, erstarrt,
und das Auge schläft im Grabe,
das euch sorgsam einst bewahrt.

Alles stirbt; das Ird’sche findet
in dem Irdischen sein Grab,
alle Lust der Welt entschwindet,
und das Herz stirbt selbst ihr ab.
Ird’sches Wesen muß verwesen,
ird’sche Flamme muß verglühn,
ird’sche Fessel muß sich lösen,
ird’sche Blüte muß verblühn.

Doch der Herr steht überm Staube
alles Irdischen und spricht:
Stütze dich auf mich und glaube,
hoffe, lieb und fürchte nicht!
Darum bleibt bei dem, der bleibet,
und der geben kann, was bleibt,
der, wenn ihr euch ihm verschreibet,
euch ins Buch des Lebens schreibt!

Philipp Spitta – Kehre wieder!

Kehre wieder, kehre wieder,
der du dich verloren hast;
sinke reuig bittend nieder
vor dem Herrn mit deiner Last!
Wie du bist, so darfst du kommen
und wirst gnädig angenommen.

Sieh, der Herr kommt dir entgegen,
und sein heil’ges Wort verspricht
dir Vergebung, Heil und Segen;
kehre wieder, zaudre nicht!
Kehre aus der Welt Zerstreuung
in die Einsamkeit zurück,
wo in geistiger Erneurung
deiner harrt ein neues Glück,
wo sich bald die Stürme legen,
die das Herz so wild bewegen;
wo des Heil’gen Geistes Mahnen
du mit stillem Beben hörst
und von neuem zu den Fahnen
Jesu Christi heilig schwörst!

Kehre wieder, irre Seele!
Deines Gottes treues Herz
beut Vergebung deinem Fehle,
Balsam für den Sündenschmerz.

Sieh auf den, der voll Erbarmen
dir mit ausgestreckten Armen
winket von dem Kreuzesstamme;
kehre wieder, fürchte nicht,
daß der Gnäd’ge dich verdamme,
dem sein Herz voll Liebe bricht!

Kehre wieder; neues Leben
trink in seiner Liebeshuld!
Bei dem Herrn ist viel Vergeben,
große Langmut und Geduld.

Faß ein Herz zu seinem Herzen,
er hat Trost für alle Schmerzen,
er kann alle Wunden heilen,
macht von allem Aussatz rein;
darum kehre ohne Weilen
zu ihm um und bei ihm ein!

Kehre wieder, endlich kehre
in der Liebe Heimat ein,
in die Fülle aus der Leere,
in das Wesen aus dem Schein,
aus der Lüge in die Wahrheit,
aus dem Dunkel in die Klarheit,
aus dem Tode in das Leben,
aus der Welt ins Himmelreich!
Doch was Gott dir heut will geben,
nimm auch heute — kehre gleich!

Philipp Spitta – 0 Jesu, meine Sonne

0 Jesu, meine Sonne,
vor der die Nacht entfleucht;
o Jesu, meine Wonne,
die alle Not verscheucht,
im Herzen klingt mir täglich
der eine helle Ton:
Wie hast du so unsäglich geliebt,
o Gottessohn!

Es faßt mich ein so tiefes,
ein himmlisches Gefühl,
es ist mir stets, als rief’ es:
Hier ist dein einzig Ziel! —
Ja, wenn mir gar nichts bliebe,
ich gäb’ mit frohem Sinn
um Jesu Christi Liebe
auch noch das Letzte hin.

Um diese Perle wäre
mir alles andre feil,
selbst Hab und Gut und Ehre,
mein ganzes Erdenteil.
Wie gerne will ich meiden
das alles, froh und still,
wenn’s von dem Herrn mich scheiden
und ihn mir rauben will!

Ich kenn’ auch gar kein Leben,
von dir, mein Herr, getrennt;
du bist mein einzig Leben
und Lebenselement.
Ich kenne gar kein Sterben,
seitdem ich leb’ in dir;
denn was mich könnt’ verderben:
die Sünde, nahmst du mir.

Ich weiß nichts mehr von Leiden;
denn alles Kreuz und Leid
kann mich von dir nicht scheiden,
du Born der Seligkeit.
Ja, wenn ich dich nur habe,
dann gilt mir alles gleich;
ich bin am Bettelstäbe
noch wie ein König reich.

Ich bin schon hier auf Erden
so selig und so leicht;
und was wird dort erst werden,
wo alle Schwachheit weicht!
Das macht ein selig Sterben,
daß ich als Gnadenlohn
ein Königreich soll erben
und eine ew’ge Krön’.

O lieber Herr, so präg es
recht meinen Sinnen ein;
o lieber Herr, so leg es
mir tief ins Herz hinein:
daß ohne deine Liebe
ich ganz verloren war’
und ohne Hoffnung triebe
auf wüstem Meer umher;

doch daß du mich allmählich
zum Hafen hast gebracht
und mich so überselig
aus Gnaden hast gemacht,
daß ich vor nichts erschrecke,
was andern schrecklich ist,
weil ich es seh’ und schmecke,
daß du mein Heiland bist.

Philipp Spitta – O du schönes Weltgebäude

O du schönes Weltgebäude,
das der Herr mit Glanz und Pracht
uns zum Segen und zur Freude
wunderherrlich hat gemacht!
O wie wird in allen Stücken
da die Liebe offenbar,
die, den Menschen zu beglücken,
So erfindrisch sorgsam war!

Ja, man kann an allen Werken,
klein und großen, nah und fern
die verborgne Weisheit merken
des Allgüt’gen, unsers Herrn!
Allen ist das Königssiegel
ihres Schöpfers aufgedrückt;
Erd’ und Himmel sind ein Spiegel,
drin man seine Huld erblickt.

In der Nähe, in der Ferne
man viel tausend Zeugen trifft;
wie die Blumen, so die Sterne
sind ja eine heil’ge Schrift,
die, dem Kindessinn verständlich,
wonnevolle Kunde gibt
von dem Gott, der uns unendlich
segnet, labet, tröstet, liebt.

0 wie ist es schön, zu lesen
in dem aufgeschlagnen Buch
der Natur von jenem Wesen,
das man niemals hoch genug
kann erheben, preisen, loben,
das uns liebevoll umschlingt,
dem der Chor der Engel droben
laut das Dreimalheilig singt!

Ja, dich kenn’ ich, Offenbarung
meines Herrn in der Natur,
seit aus eigener Erfahrung
ich nicht bloß der Liebe Spur
angedeutet, aufgeschrieben
in den Werken seiner Hand,
nein, ihn selbst und all sein Lieben
wesentlich in Christo fand!

Philipp Spitta – Es wird mein Herz mit Freuden wach

Es wird mein Herz mit Freuden wach,
ein Segenstag ist dieser Tag;
da ruft’s mit hellem Klang hinaus:
Komm heut in deines Gottes Haus!

Am Tage, da er reden will,
tu auf dein Herz und halt dich still;
da er an dir sein Werk will tun,
laß deiner Hände Werke ruhn!

Heut hält der Herr ein offnes Haus,
da teilt dem Hungrigen er aus
sein teures Wort, das Lebensbrot;
wer das genießt, dem schad’t kein Tod.

Heut wird der gute Sämann gehn,
den edlen Samen auszusäh’n,
der in den Herzen, da er haft’t,
vielfältig edle Früchte schafft.

Heut führt der treue Hirt ins Tal
die Schaf’ und Lämmer allzumal
zu guter Weid’ an rechter Stell’,
auf grüner Au, zum frischen Quell.

Heut ist der Arzt, der Wundermann,
der allen Schaden heilen kann,
mit Hilf’ in Rat und Tat bereit
für jede Wunden, Schmerz und Leid.

Das ist ein Tag, ein Segenstag,
da wird mein Herz mit Freuden wach,
und lieblich klingt der Ruf hinaus:
Komm heut in deines Gottes Haus!