Clodius, Christian August Heinrich – Dies Irae

Tag des Zorns! des prophezeiten!
Der zu Asch‘ einst brennt die Zeiten,
Wie Sibyll‘ und David dräuten.

Welch ein Schauder den Gebeinen,
Wenn der Richter wird erscheinen,
Richtend Alles, schonend Keinen!

Die Posaun‘ im Wundertone
Wird aus Gräbern jeder Zone
Sammeln Alle zu dem Throne.

Tod sieht und Natur mit Beben
Nun die Creatur sich heben,
Antwort vor Gericht zu geben.

Da wird man ein Buch entfalten,
Klagen, welche nie veralten,
Die der Menschheit Schuld enthalten.

Furchtbar wird der Richter sitzen
Licht wird ins Verborgne blitzen,
Nichts wird vor der Rache schützen.

Welch‘ Gebet werd‘ dann ich beten?
Wer wird mich vor dem vertreten,
Vor den Heil’ge zitternd treten?

Fürst, vor dem die Himmel beben,
Du, den Rach‘ und Gnad‘ umschweben,
Rette mich, gieb mir das Leben.

Heiland, Einen deiner Blicke
Wirf auf Golgatha zurücke,
In des Richtspruchs Augenblicke!

Suchend mich auf dunkeln Pfaden,
Kamst du müde, kreuzbeladen,
Starbst den Tod, mich zu begnaden.

Richter, hab‘ in Menschenhütten
Nicht umsonst für mich gelitten!
Ist’s noch Zeit, lass dich erbitten!

Unter Seufzen, unter Bangen,
Brennt die Schuld mir auf den Wangen:
Heiss nach Gnad‘ ist mein Verlangen.

Der Marien hat vergeben,
Und verhiess dem Schächer Leben,
Hat auch Hoffnung mir gegeben.

Kannst du sündig Flehn erhören,
Hilf von mir die Gluthen wehren,
Die an Geistern ewig zehren.

Sondre mich vom Tross der Hölle,
Deiner Heerde mich geselle,
Und zu deiner Rechten stelle.

Sind verstossen Satans Horten
In des öden Abgrunds Pforten,
Ruf‘ mir mit des Segnens Worten.

Ach, zerknirscht, im Staube, wende
Betend ich zu dir die Hände:
Sorge du, Herr, für mein Ende!

Tag der Thränen, Tag der Schrecken,
Der zum Weltgericht wird wecken,
Heiland, lass dein Schild uns decken!

Schone, die in deinem Namen
Gläubig sterbend zu dir kamen;
Gib uns deinen Frieden. Amen.

Dies Irae,
Hymnus auf das Weltgericht
F. G. Lisco
Berlin
Verlag von Gustav Bethge
1840