Nikolaus Ludwig von Zinzendorf – Morgengedanken.

Glanz der Ewigkeit,
Gott und HErr der Zeit!
Sei von allen Kreaturen
Für die neu erregten Spuren
Deiner Gütigkeit
Hoch gebenedeit!

Diese finstre Nacht
Ist zum Schluss gebracht,
Und die Strahlen heitrer Sonne
Brechen zur gemeinen Wonne
Durch die dunkle Macht
Der vergangnen Nacht.

Sehen wir denn nicht
In dem Morgenlicht
Einen Strahl von größern Kräften
Und durchdringendern Geschäften?
Sehen wir Dich nicht,
Zions Sonnenlicht?

Eile doch herbei
Mit der Arzenei!
Räume weg die dicken Felle,
Mache unsre Augen helle.
Sonst ist unsre Not
Ärger als der Tod!

Komm, verkläre bald
Deine Lichtsgestalt!
Öffne die verschlossnen Siegel,
Brich den unvollkommnen Spiegel,
Und verkläre bald
Unsere Gestalt!

Doch wenn Dir’s gefällt,
Dass wir auf der Welt
Länger noch mit schwachen Füßen
Unsre Straße wandeln müssen:
o so zeig‘ uns nur
Die gerade Spur!

Richte unser Herz
Zeitlich himmelwärts,
Dass die Zeichen dieser Zeiten
Uns zur letzten Zeit bereiten;
Richte unsern Sinn
Auf das Ende hin.

Gibt es in der Zeit
Scheinvergnüglichkeit:
So verleide und ein Leben,
Das kein wahres Wohlsein geben,
Noch den letzten Tag
und versüßen mag!

Soll’s uns hart ergeh’n:
Lass uns feste steh’n,
Und auch in den schwersten Tagen
Niemals‘ über Lasten klagen;
Denn das ist der Weg
Zu dem Sternensteg.

Bricht der Hütte Tor:
Zeuch den Geist hervor!
Lass ihn zu den frohen Scharen
Der erlösten Geister fahren,
Dass er Deinen Tag
Ewig sehen mag!

Hilf uns dahinan
Auf der Bundesbahn!
Lass uns durch Dein nächtlich Leiden
Aus der Nacht der Erde scheiden,
Und durch Deinen Krieg,
Jesu, gib uns Sieg!

(Im Mai 1721 zu Berlin gedichtet.)