Johann Christoph von Zabuesnig – Dies Irae

Rechtstag, deine Schreckensfülle
Deckt die Welt mit Feuerhülle,
David spricht es und Sibylle.

Schaurig wird die Schöpfung zittern,
Kommt der Richter in Gewittern,
Die Gewissen zu erschüttern.

Auf der Klagposaune Schallen
Müssen aus der Grüfte Hallen
Leichen zum Gerichte wallen.

Tod, Natur, im Widerstreben,
Seh’n den Staub ersteh’n und leben,
Strenge Rechenschaft zu geben.

Aus dem Buch verletzter Pflichten
Wird der Herr die Menschheit sichten,
Und mit scharfer Waage richten.

Hat er seinen Stuhl bestiegen,
Wird Verborgnes offen liegen,
Kein Verbrechen bleibt verschwiegen.

Worte werden mir entgehen,
Einen Schützer anzuflehen,
Wo Gerechte kaum bestehen.

König, furchtbar und erhaben!
Ohn‘ Entgelt sind deine Gaben,
Lass an deiner Huld mich laben!

Guter Jesus, sei beschworen,
Auch für mich bist du geboren;
Schone! gib mich nicht verloren!

War ich Endzweck deines Strebens,
Theil am Opfer deines Lebens,
Sei Dein Aufwand nicht vergebens!

Höre meiner Seufzer Stöhnen,
Lass durch Reue dich versöhnen,
Eh‘ dein Urtheil wird ertönen!

Schwer bin ich mit Schuld befangen,
Scham bedecket meine Wangen;
Gott, lass Gnade mich erlangen!

Der Marien hat verziehen,
Der dem Mörder Heil verliehen,
Lässt für mich noch Hoffnung blühen!

Muss ich unwerth mich bekennen,
Darf ich doch dich Mittler nennen,
Lass mich dort nicht ewig brennen!

Weit von Böcken, weit von Schlechten,
Mit den Schafen, mit Gerechten,
Stelle mich zu deiner Rechten!

Hast du, die dir widerstreben,
Höllenflammen Preis gegeben,
Winke mir zum bessern Leben!

Lass mich mit erhobnen Händen
Herzzerknirschet zu dir wenden:
Lass versöhnt mich selig enden!

Tag, wo Thränen nicht versiegen,
Wo der Mensch, dem Grab entstiegen,
Wird vor Gott als Sünder liegen!

Herr, erbarme dich und schone,
Beim Erlöser, deinem Sohne,
Ew’ge Ruhe gib zum Lohne.

Johann Christoph von Zabuesnig – Dies Irae

Tag der strengsten Rechenschaft,
Der die Welt mit Feuer straft!
David und Sibylle zeugen.

Wer ist, den nicht Schrecken quält,
Kommt der Richert, alle Welt
Unter sein Gericht zu beugen?

Laut wird der Posaunen Stoss
Aus der fernsten Gräber Schooss
Vor den Thron die Menschen sammeln.

Tod wird staunen und Natur:
Die beklagte Creatur
Wird beschämt die Antwort stammeln.

Aufgeschlagen liegt das Buch;
Schon sind nach gerechtem Spruch
Ausgezeichnet die Verbrecher.

Der Gerichtshof ist bestellt,
Das Geheimste aufgehellt,
Böses findet seinen Rächer.

Aermster, was beginne ich?
Welcher Freund vertheidigt mich,
Wenn schon der Gerechte zittert?

König höchster Majestät,
Rette den, der zu dir fleht!
Sei barmherzig, nicht erbittert.

Da du, Jesus, als du kamst,
Mich zu retten auf dich nahmst,
Schone mein an jenem Tage!

Mühsam hast du mich gesucht,
Nicht verloren sei die Frucht
Deines Tod’s und deiner Plage!

Strenger Rächer aller Schuld,
Lass mich fühlen deine Huld,
Eh‘ der Rechtstag wird beginnen!

Meine Frevel leugn‘ ich nicht,
Scham bedecket mein Gesicht,
Lass Vergebung mich gewinnen!

Magdalena sprichst du frei,
Hörst des Schächers Angstgeschrei,
Giebst mir Hoffnung zu erkennen.

Ohne Werth ist mein Gebet,
Doch wenn’s um Erbarmung fleht,
Lass mich dort nicht ewig brennen!

Herr, bestimme meinen Stand
Nicht bei Böcken linker Hand,
Nein, bei Schafen, dir zur Rechten.

Fällt auch ohne Widerspruch
Auf Verdammte schwerer Fluch,
Ruf‘ mich unter die Gerechten.

Grosser Sünden mir bewusst,
Schlag‘ ich reu’voll an die Brust,
Lass versöhnen dich hienieden!

Wenn der Thränentag sich zeigt,
Wo der Mensch dem Grab‘ entsteigt,
Vor dein Strafgericht beschieden;

Herr! vergieb, was ich verbrach,
Sieh mir meine Sünden nach!
JEsus, gieb uns deinen Frieden!