Carl von Gerok – Daniels Fenster.

(Daniel 6, 19.)

In dem heitern Sommerhause
An den Wassern Babylons,
Wo der Weltstadt wüst Gebrause
Leiser klingt, gedämpften Tons,
In des Söllers luftgen Hallen,
Die gen Zion offen stehn,
Sieht man auf die Kniee fallen
Daniel, zum HErrn zu flehn.

Tag für Tag zu dreien Malen
Kniet er da vor Gott dem HErrn:
Früh, wenn in des Ostens Strahlen
Kaum verblich der Morgenstern!
Mittags, wenn der Sonne Gluten
Heiß auf Babels Dächern glühn;
Abends, wenn des Euphrat Fluten
Goldbeglänzt vorüberziehn.

Über Babels Prachtpaläste
Schaut er mit entzücktem Sinn
Nach der fernen Davidsfeste,
Nach den Bergen Zions hin;
Über Babels Palmenwipfel,
Seiner Gärten Rosenflor,
Schwebt Morijas heilger Gipfel
Des Propheten Auge vor.

Und der Winde leise Flügel
Tragen durch der Wüste Meer,
Über Ströme, Tal und Hügel
Ihm die Grüße Zions her,
Laben ihn im fernen Lande
Mit der Heimat Wonneduft,
Stärken ihn im Knechtesstande
Mit der Freiheit Himmelsluft.

Selig wer im Weltgebrause
Nach der obern Gottesstadt,
Nach dem rechten Vaterhause
Stets ein Fenster offen hat,
Wo er knieend im Gebete
Seine Seufzer heimwärts schickt,
Und in Früh- und Abendröte
Nach den Bergen Zions blickt!

Fänd ich heute mich umfangen,
Von der Weltlust Paradies,
Säh ich rings in Lüften hangen
Gärten der Semiramis:
Hinter Babels Riesenmauern
Fühlt ich doch der Knechtschaft Stand,
Und mein Sehnen und mein Trauern
Flöge heim ins Vaterland.

Läg ich tief im Schoß der Erden,
In des Kerkers Nacht und Graus:
Auch mein Kerker müsste werden
Mir zum heitern Sommerhaus,
Hätt ich nur ein Fenster offen
Heimwärts gen Jerusalem,
Dass mein Beten und mein Hoffen
Himmelan die Zuflucht nähm.

Liegt mir meines Hauses Enge,
Meines Tagwerks heiß Gewühl,
Meiner Sorgen bang Gedränge
Auf der Seele schwer und schwül:
Morgens tu‘ ich, tu‘ am Abend
Zion zu mein Fenster auf,
Heimatlüfte, himmlischlabend,
Nehmen dorther ihren Lauf.

Dorther säuselt Luft von Osten
Und erquickt die matte Brust,
Lässt mich in der Knechtschaft kosten
Künftger Freiheit Himmelslust;
Dorther schimmern Hoffnungssterne
Durch der Zeiten Nebelflor,
Harfenklänge wehn von ferne
Sel’ge Botschaft mir ins Ohr.

Wo ich mag mein Haus mir bauen,
In den Tälern, auf den Höhn:
Immer soll nach Salems Auen
Mir ein Fenster offen stehn;
Schließt mit seinen stolzen Gassen
Babel rings mein Hüttchen ein:
Unverbaut soll’s doch mir lassen
Zion zu mein Fensterlein.

Karl von Gerok – Morija.

(1 Mose 29)

Zwei Pilger gehn im Dämmergrau
Geheimnisvoll durch Feld und Au.

Am Himmel glänzt der Morgenstern,
Noch schweigt die Erde nah und fern.

Und schweigend gehn die Wandrer fort,
Und keiner spricht ein lautes Wort.

Der Eine wie der Morgen klar,
Mit rosigen Wangen und goldenem Haar.

Der Andre würdig von Gestalt,
Von silberweißem Bart umwallt.

So fromm und fröhlich blickt das Kind,
Es spielt sein Haar im Morgenwind.

Der Alte geht so tiefgebückt,
Als ob ihn schwere Bürde drückt.

Der Knabe auf den Schultern trägt
Das Holz, zum Opferbrand zerlegt.

Der Alte trägt den Opferstahl,
Der funkelt rot im Frühlingsstrahl.

Der Knabe zu dem Vater spricht,
Und hebt empor sein hold Gesicht:

„Das Holz zum Opfer hab ich hier;
Sag, Vater, wo das Opfertier ?“

Der Vater zu dem Knaben spricht,
Und wendet ab sein trüb Gesicht:

„Das Lämmlein wird ihm Gott ersehn,
Mein Sohn, lass du uns fürbass gehn.“

Und schweigend gehn die Pilger fort,
Und keiner spricht ein lautes Wort.

Das ist der Vater Abraham
Mit Isaak, seinem Opferlamm.

Mit Isaak, seinem einz’gen Sohn,
Mit seines Alters Lust und Kron.

Manch schweren Gang hat er gethan,
Doch keiner kam so schwer ihn an.

Doch will er auch noch diesen gehn,
Was Gott gebeut, das muss geschehn.

Zum Berg Morija steigt er auf,
Das ist des Glaubens Pilgerlauf.

Wohl wallen noch zum gleichen Ziel,
Zum Opferberg der Pilger viel.

Sie gehn alleine, Paar und Paar,
In brannen Locken, grauem Haar.

Dort geht mit seines Herzens Kron
Ein Vater mit dem einz’gen Sohn.

Da trägt die Mutter, bleich von Harm,
Ihr weißes Lämmlein in dem Arm.

Und jener trägt ein Kreuz mit Schmerz,
Und dieser trägt ein schweres Herz.

Sic wandern still des Weges fort,
Und keiner spricht ein frohes Wort.

Und fraget eins: wie und warum?
So bleibet Erd und Himmel stumm.

Was Gott gebeut, das muss geschehn,
Das andre wird der HErr versehn.

Drum bringe du dein Opfer still,
Und füge dich, wie Gott es will.

Drum trage nur und frage nicht,
Drum wage nur und zage nicht.

Und wär’s auch dunkel nah und fern,
Am Himmel glänzt ein Morgenstern,

Der führt zum Opferberg hinauf;
Das ist des Glaubens Pilgerlauf.

*

Wer steigt vom Opferberg herab?
Ein selger Greis, ein froher Knab.

Das ist der Vater Abraham
Mit Isaak, seinem Opferlamm.

Mit Isaak, seinem einz’gen Sohn,
Mit seines Alters Lust und Kron.

Er führt den Knaben an der Hand,
Gen Himmel ist sein Blick gewandt.

Der Ausgang war so trüb und schwer,
So fröhlich ist die Wiederkehr.

Der Morgen graut‘ in Sorg und Not,
So selig glüht das Abendrot.

Der ew’ge Gott ist fromm und gut,
Er dürstet nicht nach Menschenblut.

Er hat sein Opfer schon ersehn,
Du Menschenkind sollst frei ausgehn.

Und wer sein Liebstes nicht verschont,
Sieht himmlisch seine Trcu belohnt.

So viel am Himmel Sterne stehu,
So viel soll Abram Kinder sehn.

Drum trage du und frage nicht,
Drum wage du und zage nicht.

Der ew’ge Gott ist fromm und gut,
Er will dein Herz und nicht dein Blut.

Das Gotteslamm ist schon ersehn
Und du sollst frei und ledig gehn.

Sein Todesgang und Opferblut
Macht all dein Kreuz und Schaden gut.

Und wenn dein Herz vor Jammer brach,
Der HErr vergilt dirs tausendfach.

Da droben glänzet Stern an Stern,
Das sind die Tröstungen vom HErrn.

Hier ist des Glaubens Pilgerlauf
Und droben geht das Schauen auf.

Carl von Gerok – Hagars Quell.

(1 Mose 21, 19.)

Das Auge voll Thränen, die Seele voll Harm,
Irrt Hagar ins Feld mit dem Knaben im Arm;
Ihr Krüglein ist leer,
Ihr Herze ist schwer,
Rings dehnt sich die Wüste, ein sandiges Meer.

Mutter, mich dürstet, so wimmert das Kind;
Sie rennet sich wund und sie luget sich blind;
Wohin sie auch schaut,
Die Wüste nur graut,
Die schreckliche Öde belebet kein Laut.

Da nimmt sie den Knaben verzweifelnd vom Schoß
Und wirft ihn zur Erde und reißet sich los,
Sein jammervoll Flehn,
Sein langsam Vergehn,
Es bricht ihr das Herze, sie kann es nicht sehn.

Sie setzt sich von ferne mit starrendem Blick,
Da tönet’s ins Ohr ihr wie Engelsmusik;
Sie horchet und lauscht:
Es rieselt und rauscht,
Verzweifelung ist mit Entzücken vertauscht.

Sie füllet die Flasche am sprudelnden Quell,
Sie tränket den Knaben, sein Auge wird hell,
Ihr seliger Mund,
Er küsst ihn gesund,
Gen Bersaba wandern sie fröhlich zur Stund.

Und wandert noch wo eine Mutter voll Harm
Und wieget ein wimmerndes Kindlein im Arm:
wirf’s auf den HErrn,
Still harre von fern,
Denn sündig bist du, doch erbarmt Er sich gern.

Der gnädig die hungrigen Raben ernährt,
Und Futter den Jungen der Löwin beschert,
Der hörte das Schrei’n,
Der sähe die Pein
Des schmachtenden Würmleins – und bliebe von Stein?

Und ging dir versiegen das Wasser im Krug:
Das Brünnlein des Höchsten hat Fülle genug;
Aus brennendem Sand,
Aus felsiger Wand
Schlägt Brunnen des Heils des Allmächtigen Hand.

Carl Gerok – Morgenlied

In dieser Morgendämmerung,
Wie fühl ich mich so stark,
An Leib und Seele frisch und jung,
Erquickt bis in das Mark!
Wie süß die reine Morgenluft
Die Schläfe mir umhaucht,
Als wär in Edens Rosenduft
Ihr kühler Strom getaucht!

Wie friedlich glänzt am Himmelssaum
Der blasse Morgenstern,
Dieweil die Welt im dumpfen Traum
Noch schlummert nah und fern!
Und schau! wie nun im Purpurlicht
Die Sonne blitzt hervor!
Ist das des Himmels Pforte nicht
Und Edens goldnes Tor?

So musst auf seiner Wanderschaft
Dem Pilger Jakob sein,
Als er, gestärkt in Gottes Kraft,
Erwacht auf Bethels Stein.
„Wie heilig ist die Stätte hier,“
So rief er schaudernd aus,
Hier ist fürwahr des Himmels Tür
„Und hier ist Gottes Haus!“

Ja wie im Traum der Schläfer dort
Den Himmel offen sah,
So war der Engel Schutz und Hort
Auch mir im Schlummer nah;
So stiegen, da mein Leib geruht,
Die Engel niederwärts
Und gossen frischen Pilgermut
Ins abgelebte Herz.

Drum wird auch mir zum Heiligtum
Dies stille Kämmerlein,
Drum soll auch mir die Welt ringsum
Ein großes Bethel sein.
Drum schließ auch ich zu dieser Stund
Wie Jakob dort aufs Neu,
Mein Gott und Herr, mit dir den Bund
Der Kindeslieb und Treu.

Gib mir, wie du verheißen hast,
Mein Brot und mein Gewand,
Und führ in Tages Hitz und Last
Mich treulich an der Hand:
So will ich heut in Lust und Not
Dein frommer Pilgrim sein,
Und fröhlich dir am Abendrot
Mein Lob- und Danklied weihn.

Carl Gerok – Ps. 84,2-3

Herz, mein Herz, welch sanfte Lust
Hegst du heut‘ in stiller Brust?
Aug, mein Aug, welch mildes Glück
Strahlet dein verklärter Blick?
Ist’s das holde Himmelblau?
Ist’s die bunte Blumenau?
Ist’s der Vögel Morgenpsalm?
Ist’s der Tau auf Gras und Halm?
Schön ist meines Gottes Welt,
Blumenflur und Himmelszelt,
Süß das Wehn der Morgenluft,
Rosenglanz und Nelkenduft.
Aber was mich fröhlich macht,
Heut‘ ist’s mehr als Erdenpracht,
Heut‘ ist meines Herren Tag!
Selig, wer es fassen mag.
Süßer noch als Vogelsang
Tönt mir heute Glockenklang,
Sanfter weht als Frühlingswind
Friede Gottes um sein Kind.
Heut im schmucken Kämmerlein
Kehrt mein Heiland bei mir ein,
Heut im schönen Gotteshaus
Teilt man Himmelsgüter aus.
Wie der Tau sich niedersenkt,
Kraut und Blumen milde tränkt,
So mit Gottes Wort und Geist
Wird die Seele heut‘ gespeist.
Wie die Lerche jubiliert,
Jubelnd sich im Blau verliert,
Also steigt mein brünstig Herz
Heut in Andacht himmelwärts.
Sei willkommen, Tag des Herrn,
Friedensengel, Morgenstern,
Labequell im Wüstensand,
Glockenlaut vom Heimatland!
Nachgeschmack vom Paradies,
Draus die Sünde mich verstieß,
Vorgefühl der Himmelsrast
Nach der Erde Müh und Last!
Tröst auch heute die betrübt,
Sammle was im Herrn sich liebt,
Löse die gebunden sind,
Locke das verlorne Kind!
Bringe der verstörten Welt
Einen Gruß vom Himmelszelt,
Ruf auch mir vom Vater zu:
Heil dir, Gottes Kind bist du!