Kind, Friedrich – Dies Irae.

Tag des Zorns, du wirst erfüllen
Davids Wort und der Sibyllen,
Wirst die Welt in Asche hüllen.

Welch‘ ein tiefes Graun wird werden,
Wenn der Richter kömmt zur Erden,
Wägend jegliche Beschwerden!

Die Drommet‘ im Wundertone
Dringt durch Gräber jeder Zone,
Alles fordernd zu dem Throne.

So Natur, als Tod, erbeben,
Wenn Gebeine sich erheben,
Antwort vor Gericht zu geben.

Auf wird man ein Buch dann breiten,
G’nug erfüllt auf allen Seiten,
Um zum Weltgericht zu schreiten.

Sitzt der Richter nun zur Stelle,
Tritt, was je sich barg, ans Helle,
Nichts schirmt vor des Zornes Schnelle.

Weh! wie soll dann ich entgehen?
Welchen Sachwalt mir erflehen,
Da selbst Reine kaum bestehen?

Herr, den Macht und Schreck umwalten,
Der erhält nach freiem Schalten,
Quell der Huld, wollst mich erhalten!

Denk, o Jesu, dass dein Sterben
Mir auch sollte Heil erwerben;
Schütze dann mich vor Verderben!

Mich auch sucht’st du im Ermüden,
Und eh‘ du am Kreuz verschieden;
Deine Marter geb‘ uns Frieden.

Rächer mit gerechter Waage!
Schenke mir Erlass der Klage
Vor der Rechnung grossem Tage.

Vor dem Urtheil muss ich bangen,
Roth vor Schuld sind meine Wangen,
Lass den Fleh’nden Gnad‘ erlangen.

Der Marien konnt‘ verzeihen
Und sein Ohr dem Schächer leihen,
Lässt auch mein Vertrau’n gedeihen.

Du, den Güt‘ und Mild‘ umstehen,
Lass, gilt gleich gering mein Flehen,
Mich nicht ew’ge Glut umwehen.

Gieb mir Raum bei deinen Knechten,
Fern den sündigen Geschlechten,
Stelle mich zu deiner Rechten.

Wenn die Flammen, heiss entglommen,
Die Verdammten hingenommen,
Rufe mich mit deinen Frommen!

Mit zerknirschtem Herzen wende
Ich gebeugt zu dir die Hände:
Sorge für mein letztes Ende.

Dies Irae, Hymnus auf das Weltgericht F. G. Lisco Berlin Verlag von Gustav Bethge 1840