Matthias Claudius – Die Armen in Wandsbeck

an die Frau Schatzmeisterin Gräfin von Schimmelman, zu ihrem Geburtstag, den 29. September 1793

Wir hatten heut nicht Ruh noch Rast,
Das kannst Du leicht gedenken. –
Wenn Sorg und Not uns kränken,
Ist eine, der Du Kundschaft hast,
Die mag so gerne schenken,
Und speisen uns und tränken,
Und lindern uns des Lebens Last.
Das kannst Du leicht gedenken,
Drum hatten wir nicht Ruh noch Rast.
Wohltaten, still und rein gegeben,
Sind Tote, die im Grabe leben;
Sind Blumen, die im Sturm bestehn;
Sind Sternlein, die nicht untergehn.
Wir Menschen sind mit Geld und Ehr
Hier nicht in gleichem Falle,
Und mancher hat des Geldes mehr,
Ob er vielleicht so edel wär
Und sich zum Mangel freundlich kehr,
Und aufs Geschrei der Armen hör
Allein sie tun’s nicht alle.
Dass Du so christlich bist,
Das lohn Dir Jesus Christ! –
Gib, und vergiss, was Du getan,
Er wird es nicht vergessen;
Er sieht’s aus seinem Himmel an,
Und wird Dir wieder messen.
Wer ihn und seinen Willen ehrt,
Dem ist sein Lohn beschieden.
Leb lange noch hienieden,
Und fahre dann in Frieden!
Dies Leben ist der Müh nicht wert;
In seinem Haus, an seinem Herd
Da laben sich die Müden;
Da bring sein Engel Dich zur Ruh
Und drück Dir sanft die Augen zu.

Claudius, Matthias – Bei der Einweihung unsrer neuen Kirche, den 30. Nov. 1800

Die Musik – von Herrn Musikdirektor Schwenke in Hamburg

Herr unser Gott, wende Dich zu dem Gebet und Flehen
Deines Volks. Du wollest hören das Gebet
Das Dein Volk heute vor Dir an dieser Stätte tut,
Und wollest hören das Gebet
Das sie tun werden vor Dir an dieser Stätte,
Im Himmel; und, wenn Du es hörest, gnädig sein.

Wenn jemand in sich schlägt und suchet Dich,
Und sich zu Dir bekehren will
Von ganzem Herzen und von ganzer Seele,
Und er vor Dir in diesem Hause fleht;
So wollest Du hören im Himmel,
Und seiner Seele gnädig sein!

Wenn jemand zaget in der letzten Not,
Und ringet, und sein Freund für ihn
Zu Dir in diesem Hause fleht;
So wollest Du hören im Himmel,
Und seiner Bitte gnädig sein!

Wenn jemand Unrecht leidet und Gewalt,
Und keinen Retter hat,
Und er es Dir in diesem Hause klagt;
So wollest Du hören im Himmel,
Und Recht verschaffen Deinem Knecht!

Wenn teure Zeit ist, oder Pestilenz,
Oder Dürre, oder Krieg, oder irgendeine Plage,
Wer denn vor Dir in diesem Hause fleht;
So wollest Du hören im Himmel,
Und Deinem Volke gnädig sein!

Die Gemeine

Es woll uns Gott genädig sein,
Und, wenn wir beten, hören!
Der Mensch ist ohne Gott allein,
Und kann ihn nicht entbehren.
Noch keiner Trost gefunden hat
Auf seinen eignen Wegen;
Er wandelt ohne Licht und Rat,
Ist hilflos und verlegen
Im Leben und im Tode.

Herr, Du bist Gott, und ist kein andrer;
Lasse uns Dich fürchten!
Lasse uns Dich lieben!
Und an Deinem Bekenntnis halten.
„Das ist das ewige Leben, dass sie Dich,
dass Du allein wahrer Gott bist, erkennen,
und, den Du gesandt hast, Jesum Christum.“
Bleibe bei uns, denn es will Abend werden.

Die Gemeine

Wir glauben all an einen Gott,
Schöpfer Himmels und der Erden,
Der sich zum Vater geben hat,
Dass wir seine Kinder werden.
Er will uns allezeit ernähren,
Leib und Seel auch wohl bewahren;
Allem Unfall will er wehren,
Kein Leid soll uns widerfahren,
Er sorget für uns, hüt’t und wacht,
Es steht alles in seiner Macht.

Wir glauben auch an Jesum Christ,
Seinen Sohn und unsern Herren.
Der ewig bei dem Vater ist,
Gott von gleicher Macht und Ehren;
Von Maria der Jungfrauen
Ist er wahrer Mensch geboren
Durch den Heil’gen Geist im Glauben,
Für uns, die wir waren verloren,
Am Kreuz gestorben, und vom Tod
Wiederauferstanden durch Gott.

Wir glauben an den Heiligen Geist,
Gott mit Vater und dem Sohne,
Der aller Blöden Tröster heißt,
Uns mit Gaben zieret schöne;
Die ganze Christenheit auf Erden
Hält in einem Sinn gar eben;
Hier all Sünd vergeben werden.
Das Fleisch soll uns wieder leben;
Nach diesem Elend ist bereit
Ein Leben uns in Ewigkeit.

Aber er wohnet nicht in Häusern mit Händen gemacht;
Der Himmel ist sein Stuhl, und die Erde
Seiner Füße Schemel, und
Aller Himmel Himmel mögen ihn nicht halten.
Doch eines reinen Herzens
Kann er sich nicht erwehren;
Will er sich nicht erwehren!
Da will er Wohnung machen,
Und seine Wunder wirken!

Alle

Komm, Heiliger Geist, Herre Gott,
Erfüll mit Deiner Gnaden Gut
Deiner Gläubigen Herz, Mut und Sinn,
Dein brünstig Lieb entzünd in ihn’n.
O Herr behüt für fremder Lehr,
Dass wir nicht Meister suchen mehr,
Denn Jesum Christ mit rechtem Glauben,
Und ihm aus ganzer Macht vertrauen.
Halleluja!
Halleluja!

Claudius, Matthias – Die zurückgekehrten Vaterlandskämpfer. (1814)

1.
Wohlauf Kameraden, vom Pferd, vom Pferd !
Die Rüstung ausgezogen!
In seinem Hause, an seinem Herd
Bedarf es nicht Pfeil noch Bogen.
Da tritt ein anderes wieder ein:
Nach alter Weise glücklich sein.

Chor.
Da tritt ein anderes wieder ein:
Nach alter Weise glücklich sein.

2.
Aus der Welt die Freiheit verschwunden war,
Man sah nur Herren und Knechte;
Trotz und Gewalt die herrschten gar,
Zertraten Menschen und Rechte.
Der dem Tod ins Angesicht schauen kann,
Der Soldat allein war da der rechte Mann.

Chor.
Der dem Tod ins Angesicht schauen kann,
Der Soldat allein war da der rechte Mann.

3.
Drum warfen die kleineren Sorgen wir weg,
Und wählten uns größere Sorgen,
Und ritten dem Schicksal entgegen keck,
Trifft’s heut‘ nicht, trifft es doch morgen.
Und traf es morgen, oder heut‘;
Sieg oder Tod, wir waren bereit.

Chor.
Und traf es morgen, oder heut‘;
Sieg oder Tod, wir waren bereit.

4.
So lange der Frevel um sich frisst,
Bleibt’s Schwert uns Pflicht und Freude,
Nun der besiegt und vernichtet ist,
Kehrt es zurück in die Scheide.
Ist das Kadaver ins Grab hinab,
Wirft man die Schaufeln auf das Grab.

Chor.
Ist das Kadaver ins Grab hinab,
Wirft man die Schaufeln auf das Grab.

5.
Ruhm ist’s, und ehrenvoll und hoch,
Im Notfall der Waffen zu pflegen;
Doch ehrenvoller ist es noch,
Sie frei wieder abzulegen.
Und wer sich des zu schämen hat,
Der war aus Eitelkeit Soldat.

Chor.
Und wer sich des zu schämen hat,
Der war aus Eitelkeit Soldat.

6.
Krieg ist nur gut im Fall der Not,
Nur gut des Friedens wegen.
Durch Fleiß und Arbeit sich das Brot
Erwerben, das bringt Segen.
Nur häuslich Glück ist wahres Glück;
Drum kehren wir dahin zurück.

Chor.
Nur Häuslich Glück ist wahres Glück;
Drum kehren wir dahin zurück.

7.
Zurück wir alle, Hand in Hand,
Frohherzig und zufrieden;
Ein jeder in seinen Beruf und Stand,
Wie’s ihm sein Schicksal beschieden.
Da ist nichts groß, da ist nichts klein,
Ein jedes greift ins Ganze ein.

Chor.
Da ist nichts groß, da ist nichts klein,
Ein jedes greift ins Ganze ein.

8.
Wir traten heraus mit Luft und Mut,
Um neuer Pflichten willen;
Und treten zurück, mit Gut und Blut
Die alten zu erfüllen.
Und sind dem Vater-Haus und Herd,
Wir hoffen es, nicht minder wert.

Chor.
Und sind dem Vater-Haus und Herd,
wir hoffen es, nicht minder wert.

Hamburg, den 30. Juni 1814.

Claudius, Matthias – Als der Sohn unsers Kronprinzen, gleich nach der Geburt, gestorben war.

Mit den vielen andern, Groß und Kleinen,
Klag‘ ich schmerzlich Deinen Tod;
Will bei Deinem Sarge satt mich weinen
Und die Augen rot.

Nicht: dass Du Dich nicht, nach Herzensg‘nüge,
An die holde Mutter schmiegst,
Und dass Du, statt freundlich in der Wiege,
Tot im Sarge liegst;

Hier ist Vorplatz nur, spät oder frühe
Geh‘n wir alle weiter ein,
Und es lohnt sich wahrlich nicht der Mühe
Lange hier zu sein;

Nicht: dass Du des Vaters Glanz hienieden
Und sein Königreich nicht sahst,
Und dass Du die Krone, Dir beschieden,
Nicht getragen hast;

Ach, die Kronen sind nicht ohne Bürden,
Sind nicht ohn‘ Gefahren, Kind!
Und es gibt für Menschenkinder Würden,
Die noch größer sind;

Sondern: dass wir hier ein Land bewohnen,
Wo der Rost das Eisen frisst,
Wo durchin, um Hütten wie um Thronen,
Alles brechlich ist;

Wo wir hin aufs Ungewisse wandeln,
Und in Nacht und Nebel geh‘n,
Nur nach Wahn und Schein und Täuschung handeln,
Und das Licht nicht sehn;

Wo im Dunkeln wir uns freu’n und weinen,
Und rund um uns, rund umher,
Alles, alles, mag es noch so scheinen,
Eitel ist und leer.

O du Land des Wesens und der Wahrheit,
Unvergänglich für und für!
Mich verlangt nach dir und deiner Klarheit;
Mich verlangt nach dir.

Claudius, Matthias – Klage.

(Aus dem Jahr 1793.)

Sie dünkten sich, die Herren aller Herr’n,
Zertraten alle Ordnung, Sitt‘ und Weise,
Und gingen übermütig neue Gleise
Von aller wahren Weisheit fern,
Und trieben ohne Glück und Stern
Im Dunkeln hin, nach ihres Herzens Gelüste,
Und machten elend nah‘ und fern.
Sie mordeten den König, ihren Herrn,
Sie morden sich einander, morden gern,
Und tanzen um das Blutgerüste.

Der Chor.
Erbarm dich ihrer!

Sie wollten ohne Gott sein, ohn‘ ihn leben
In ihrem tollen Sinn;
Und sind nun auch dahingegeben,
zu leben ohne ihn.
Der Reim des Lichtes und der Liebe,
Den Gott in unsre Brust gelegt,
Der seines Wesens Stempel trägt,
Und sich in allen Menschen regt,
Und der, wenn man ihn hegt und pflegt,
Zu unserm Glücke freier schlägt,
Als ob er aus dem Grabe sich erhübe
Der Keim des Lichtes und der Liebe
Der ist in ihnen stumm und tot;
Sie haben alles Große, alles Gute Spott.
Sie beten Unsinn an, und tun dem Teufel Ehre,
Und stellen Gräuel auf Altäre.

Der Chor.
Erbarm dich ihrer!

Claudius, Matthias – Ein Lied nach dem Frieden in Anno 1789

Die Kaiserin und Friederich
Nach manchem Kampf und Siege,
Entzweiten endlich aber sich
Und rüsteten zum Kriege;

Und zogen mutig aus in Feld,
Und hatten stolze Heere,
Schier zu erfechten eine Welt
Und „Heldenruhm und Ehre“.

Da fühlten beide groß und gut
Die Menschenvater-Würde,
Und wie viel Elend, wie viel Blut
Der Krieg noch kosten würde;

Und dachten, wie doch alles gar
Vergänglich sei hienieden,
Und sahen an ihr graues Haar …
Und machten wieder Frieden.

Das freut mich recht in meinem Sinn!
Ich bin wohl nur fast wenig;
Doch rühm‘ ich d‘rob die Kaiserin,
Und rühm‘ den alten König!

Denn das ist recht und wohlgetan,
Ist gut und fürstlich bieder!
Und jeder arme Untertan
Schöpft neuen Odem wieder.

Ah, „Heldenruhm und Ehr'“ ist Wahn!
Schrei‘ sich der Schmeichler heiser;
Die Güte ziemt den großen Mann,
Nicht eitle Lorbeerreiser.

Gut sein, gut sein, großmütig sein,
Vollherzig zum Erbarmen,
Ein Vater aller, groß und klein,
Der Reichen und der Armen!

Das machet selig, machet reich,
Wie die Apostel schreiben,
Ihr guten Fürsten, und wird Euch
Nicht unbelohnet bleiben.

Gott wird Euch Ruhm und Ehr‘ und Macht
Die Hüll‘ und Fülle geben,
Ein fröhlich Herz bei Tag und Nacht,
und Fried‘ und langes Leben.

Und kommt die Stunde denn, davon
Wir frei nicht kommen mögen,
Euch schlecht und recht, ohn‘ eine Kron‘,
Hin in den Sarg zu legen;

So wird der Tod Euch freundlich sein,
Euch sanft und bald hinrücken,
Und es wird Euer Leichenstein
Im Grabe Euch nicht drücken.

Und wie die Kinder wollen wir,
Die Großen mit den Kleinen,
Um Euch an Eures Grabes Tür
Von ganzem Herzen weinen.

Nun! segne Gott, von oben an,
Die Teil am Frieden nahmen!
Gott segne jeden Ehrenmann,
Und straf‘ die Schmeichler! Amen!

Claudius, Matthias – Rheinweinlied.

Bekränzt mit Laub den lieben vollen Becher,
Und trinkt ihn fröhlich leer.
In ganz Europa, Ihr Herren Becher!
Ist solch ein Wein nicht mehr.

Er kommt nicht her aus Hungarn noch aus Polen,
Noch wo man Franzmänn’sch spricht;
Da mag Sanct Veit, der Ritter, Wein sich holen,
Wir holen ihn da nicht.

Ihn bringt das Vaterland aus seiner Fülle;
Wie wär‘ er sonst so gut!
Wie wär‘ er sonst so edel, wäre stille
Und doch voll Kraft und Mut!

Er wächst nicht überall im deutschen Reiche;
Und viele Berge, hört,
Sind, wie die weiland Creter, faule Bäuche,
Und nicht der Stelle wert.

Thüringens Berge zum Exempel bringen
Gewächs sieht aus wie Wein;
Ist’s aber nicht. Man kann dabei nicht singen,
Dabei nicht fröhlich sein.

Im Erzgebirge dürft Ihr auch nicht suchen,
Wenn Ihr Wein finden wollt.
Das bringt nur Silbererz und Koboltkuchen,
Und etwas Lausegold.

Der Blocksberg ist der lange Herr Philister,
Er macht nur Wind wie der;
Drum tanzen auch der Kuckuck und sein Küster
Auf ihm die Kreuz und Quer.

Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben;
Gesegnet sei der Rhein!
Da wachsen sie am Ufer hin, und geben
Uns diesen Labewein.

So trinkt ihn denn, und lasst uns alle Wege
Uns freu’n und fröhlich sein!
Und wüssten wir, wo jemand traurig läge,
Wir gäben ihm den Wein.

Claudius, Matthias – Anselmuccio.

Ist gar ein holder Knabe, er!
Als ob er ’s Bild der Liebe wär‘.
Sieht freundlich aus, und weiß und rot,
Hat große Lust an Butterbrot,
Hat blaue Augen, gelbes Haar,
Und Schelm im Nacken immerdar,
Hat Arm‘ und Beine, rund und voll!
Und alles, wie man’s haben soll.
Nur eines fehlt dir, lieber Knabe!
Eins nur: Dass ich dich noch nicht habe.

Claudius, Matthias – Der Frühling. Am ersten Mai-Morgen

Heute will ich fröhlich fröhlich sein,
Keine Weis‘ und keine Sitte hören;
Will mich wälzen, und für Freude schrei’n,
Und der König soll mir das nicht wehren;

Denn er kommt mit seiner Freuden Schar
Heute aus der Morgenröte Hallen,
Einen Blumenkranz um Brust und Haar
Und auf seiner Schulter Nachtigallen;

Und sein Antlitz ist ihm rot und weiß,
Und er träuft von Tau und Duft und Segen
Ha! mein Thyrsus sei ein Knospenreis,
Und so tauml_ ich meinem Freund entgegen.