Recke, Elisa von der – Bei der Betrachtung des Lebens Christi.

Dich, mein Heiland, zu erleben
Und mit frommer Zuversicht
Deiner Tugend nachzustreben
Ist dein Ruf und meine Pflicht.
„Sieh, ein Beispiel lass ich dir,
Sagst du, komm und folge mir!“
O welch Beispiel sonder Gleichen!
Welch ein Mensch kann ‚es erreichen?

Armut, Hass, Verfolgung, Schmerzen,
Trugst du still, und mit Geduld;
Du vergabst mit edlem Herzen
Deinen Feinden ihre Schuld;
Hörtest der Verlassnen Flehn,
Eiltest ihnen beizustehn;
Kanntest keine höhern Freuden,
Als die Lindrung ihrer Leiden.

Lass auch mich in Not und Schmerzen
Standhaft und geduldig sein;
Mich mit willig sanftem Herzen
Meinen Feinden gern verzeihn!
Nie soll mir des Elends Flehn
Unerhört vorüber gehn;
Früh und spät lass mich nur streben,
Deinem Beispiel nachzuleben! –

Du, den ich zum Vorbild wähle,
Stärke meinen matten Geist,
Wann ich wanke, wann ich fehle,
Dass dich meine Seele preist!
Lass sie dir geheiligt sein!
Deiner nur lass sie sich freun:
So werd‘ ich auch einst im Sterben
Freud‘ und Wonn auf ewig erben.

Recke, Elisabeth von der – Selbstprüfung

Ach Gott! wie mancher von den Tagen
Der mir beschiednen Lebenszeit
Floh rastlos hin, mich anzuklagen,
Ins Meer der langen Ewigkeit;
Nicht jeden hab‘ ich dir gelebt,
Nicht stets der Tugend nachgestrebt.

Gar oft empörte sich im Leiden
Mein murrend Herz voll Ungeduld;
Und schenktest du, mein Gott, mir Freuden,
O! dann vergaß ich deiner Huld,
Genoss nicht jede, wie ich soll,
Nicht immer reinen Dankes voll.

Und wie betrug ich gegen Brüder
Bei kränkender Verfolgung mich?
Sann ich nicht auch auf Rache wieder?
Vergab ich Feinden williglich?
Und bin ich dann auch noch ein Christe
Wann keine Sanftmut in mir ist?

Dir, Herzenskündiger, ist keine
Von meinen Schwächen unbekannt:
Erforsche mich, sieh wie ichs meine,
Und leite mich an deiner Hand,
Ich folge gern durch Freud und Schmach
Dir als ein treuer Jünger nach.

Recke, Elisabeth von der – Trost des zukünftigen Lebens

Wann sich zu jener Seligkeit
Empor die Seele schwinget,
Und Gott, von jenem Glück erfreut,
Schon hier ein Loblied singet,
Dann dünk ich mich hier nur ein Gast,
Und leicht wird dieses Lebens Last
Die sonst so oft ermüdet.

Zwar hier schon kann der selig sein,
Der sich im Guten übet;
Auf Erden schon darf der sich freun,
Der Gott und Tugend liebet.
O Vorschmack jener Himmelslust,
Entflamme du in meiner Brust
Den Trieb zu jeder Tugend!

Dort, Gott, belohnst du mein Vertraun
Vor deinen Angesichte;
Führst mich vom Glauben hin zum Schaun,
Vom Dunkeln zu dem Lichte.
Dich seh‘ ich dann, und deinen Sohn,
Der, dir zur Rechten, auf den Thron
Der Macht und Ehre sitzet!

An Kenntnis, wie an Herrlichkeit,
Wachs‘ ich durch Ewigkeiten;
Verwandelt ist in Glück mein Leid
Und in Triumph mein Streiten;
Und diese hohe Seligkeit
Hat nie ein End‘, ist ohne Zeit,
Kein Tod ist mehr, kein Weinen.

Dann heb‘ ich meine Bänd‘ empor,
Und falle jauchzend nieder,
und stimme mit der Engel Chor
In frohe Jubellieder;
Und unsern hohen Lobgesang,
Voll Hallelujah, Preis und Dank,
Hallt jeder Himmel wieder.

Recke, Elisabeth von der – Das Glück und die Art zu beten.

Wann ich vor meinen Schöpfer trete,
Und hier in heilger Einsamkeit
Zu ihm aus voller Seele bete,
Was fühl ich da für Seligkeit!
Ganz werd ich Geist, und alles flieht,
Was mich zur Erde niederzieht.

Dann lach ich jener falschen Freuden,
Durch die, in ihrer Flitterpracht,
Die Menschen, die sich drun beneiden,
Die Welt zu ihren Sklaven macht;
Und fühle: Gott gefällig sein,
Das, das ist wahre Freud‘ allein.

Dann weichen auch die schwersten Sorgen,
Das bängste Leiden, das mich drückt;
Ich weiß, sie sind dem nicht verborgen,
Der in des Herzens Tiefen blickt.
Der Gutes seinen Kindern gibt,
Bleibt Vater, wann er sie betrübt.

Ja, das Gebet gibt Kraft im Leiden,
Erhöht zur Tugend unsern Geist,
Und hilft uns alles alles meiden,
Was uns der Tugend sonst entreißt;
Nur müssen unsre Bitten rein
Und eines Christen würdig sein.

Drum bitt‘ ich nicht in meinen Leiden:
„O Vater! nimm du sie von mir!“
Auch bitte ich nicht in meinen Freuden;
Erhalte, Schöpfer, diese mir!
Nur um ein Gott ergebnes Herz
Bet‘ ich in Freuden und im Schmerz.

Recke, Elisabeth von der – Gott ist allwissend

Allwissender! du kennst das Herz,
Du schaust in seine Tiefen!
Vor dir, vor dir gilt Wahrheit nur;
Dich täuscht, erhabnes Wesen,
Nicht äußrer Schein, nicht falscher Glanz:
Gedanken, die man selbst sich, birgt,
Siehst du in vollem Lichte,

Vergebens spendet eitler Stolz
Gold mit verstellter Milde,
Vergebens hüllt Verleumdung sich
In frommer Liebe Decke.
Die Rache taucht in Honigseim
Umsonst den scharfen Todespfeil:
Vor Gott ist nichts verborgen,

Doch welcher Trost ist das für euch,
Ihr stillen frommen Seelen!
Die ihr nach eitlem Ruhme nicht
Und nur nach Wahrheit ringet:
Gott siehet jeden stillen Kampf
Er nimmt den Willen statt der Tat,
Und lohnt verborgne Tugend.

Und wenn, verkannt von Menschen, ihr
Auch Hohn und Spott erduldet,
Sieht er mit Huld die Duldung an,
Und gießet sanften Frieden
In des verfolgten Guten Herz,
Der keine Schmach, als Laster, kennt,
Und selbst Verfolger liebet.

Allwissend ist der Welten Herr!
Freut euch ihr frommen Seelen!
Allwissend ist der Welten Herr!
Erbebt verhüllte Sünder!
Der Unschuld Träne fromm geweint,
Ist ihm so sichtbar als die Kunst
Des tief verborgnen Heuchlers.

Recke, Elisabeth von der – Gott ist mein Schöpfer.

Erfreuender Gedanke:
Gott schuf, o Seele, dich!
Gott, dem ich alles danke,
Rief auch ins Leben mich!
Er der mit Licht und Pracht
Den ganzen Weltkreis schmücket,
Und jeden Wurm beglücket,
Er hat auch mich gemacht.

O, dies ist ein Gedanken
Der mächtig mich erhebt,
Der, wenn ich irr und wanke,
Wohltätig mich belebt:
Ich weiß, ein guter Gott
Gab mir dies erste Leben,
Wird mir ein bessers geben,
und ist und bleibt mein Gott.

Ich sollte töricht klagen
Wenn mich mein Vater schlägt?
Nicht gern ein Leiden tragen,
Das er mir auferlegt?
Es dient zu meinem Heil;
Er kann und wird es enden:
Er hat in seinen Händen
Des Glücks ein großer Teil.

Erfreuender Gedanke:
Gott schuf, o Seele, dich!
Gott, dem ich alles danke
Rief auch ins Leben mich!
Er wägt mein Glück mir zu,
Und machet meine Leiden
Zu Quellen größrer Freuden!
Gedanke voller Ruh!

Recke, Elisabeth von der – Über die Größe Gottes.

Ein Blick ins weite Schöpfungsreich
Macht meine Seele trunken.
Nichts kommt der hohen Freude gleich,
Mit der ich, hingesunken
In heiligen Entzückungen,
Die Größe des Unendlichen
Oft, stillanbetend, denke.

Herr aller Welt, dich staun‘ ich an,
Wer mag dich würdig preisen!
Ich fühl es schwindelnd, ach! Wer kann
Dich fassen und dich preisen!
Ganz Liebe, ganz Vollkommenheit
Bist du, mein Gott, und Seligkeit
Ist all dein Tun und Lassen.

Dein hohes Bild erhalt in mir,
Und lass mich hier auf Erden
O, guter Vater , ähnlich dir
Und reif zum Himmel werden;
Damit nach dieser Pilgerzeit
Ich deine Macht und Herrlichkeit
Ohn Ende sehen möge!