Recke, Elisabeth von der – Gott ist allwissend

Allwissender! du kennst das Herz,
Du schaust in seine Tiefen!
Vor dir, vor dir gilt Wahrheit nur;
Dich täuscht, erhabnes Wesen,
Nicht äußrer Schein, nicht falscher Glanz:
Gedanken, die man selbst sich, birgt,
Siehst du in vollem Lichte,

Vergebens spendet eitler Stolz
Gold mit verstellter Milde,
Vergebens hüllt Verleumdung sich
In frommer Liebe Decke.
Die Rache taucht in Honigseim
Umsonst den scharfen Todespfeil:
Vor Gott ist nichts verborgen,

Doch welcher Trost ist das für euch,
Ihr stillen frommen Seelen!
Die ihr nach eitlem Ruhme nicht
Und nur nach Wahrheit ringet:
Gott siehet jeden stillen Kampf
Er nimmt den Willen statt der Tat,
Und lohnt verborgne Tugend.

Und wenn, verkannt von Menschen, ihr
Auch Hohn und Spott erduldet,
Sieht er mit Huld die Duldung an,
Und gießet sanften Frieden
In des verfolgten Guten Herz,
Der keine Schmach, als Laster, kennt,
Und selbst Verfolger liebet.

Allwissend ist der Welten Herr!
Freut euch ihr frommen Seelen!
Allwissend ist der Welten Herr!
Erbebt verhüllte Sünder!
Der Unschuld Träne fromm geweint,
Ist ihm so sichtbar als die Kunst
Des tief verborgnen Heuchlers.