Recke, Elisabeth von der – Gott ist allwissend

Allwissender! du kennst das Herz,
Du schaust in seine Tiefen!
Vor dir, vor dir gilt Wahrheit nur;
Dich täuscht, erhabnes Wesen,
Nicht äußrer Schein, nicht falscher Glanz:
Gedanken, die man selbst sich, birgt,
Siehst du in vollem Lichte,

Vergebens spendet eitler Stolz
Gold mit verstellter Milde,
Vergebens hüllt Verleumdung sich
In frommer Liebe Decke.
Die Rache taucht in Honigseim
Umsonst den scharfen Todespfeil:
Vor Gott ist nichts verborgen,

Doch welcher Trost ist das für euch,
Ihr stillen frommen Seelen!
Die ihr nach eitlem Ruhme nicht
Und nur nach Wahrheit ringet:
Gott siehet jeden stillen Kampf
Er nimmt den Willen statt der Tat,
Und lohnt verborgne Tugend.

Und wenn, verkannt von Menschen, ihr
Auch Hohn und Spott erduldet,
Sieht er mit Huld die Duldung an,
Und gießet sanften Frieden
In des verfolgten Guten Herz,
Der keine Schmach, als Laster, kennt,
Und selbst Verfolger liebet.

Allwissend ist der Welten Herr!
Freut euch ihr frommen Seelen!
Allwissend ist der Welten Herr!
Erbebt verhüllte Sünder!
Der Unschuld Träne fromm geweint,
Ist ihm so sichtbar als die Kunst
Des tief verborgnen Heuchlers.

Carl Bernhard Garve – Gott, Allweiser, wer bin ich

Gott, Allweiser, wer bin ich,
Deine Weisheit auszugründen?
Halm und Sonne rühmen Dich,
Jeder Wurm kann Dich verkünden;
Doch welch‘ Auge kann ersehen
Gottes Tiefen, Gottes Höhen?

2. Deiner Welten weites All
Jauchzt im unermeßnen Kreise,
Aller Himmel Wiederhall
Jauchzt zurück: der Herr ist weise!
Und in seiner Weisheit Händen
Ruhn getrost der Himmel Enden.

3. Und der Mensch, der Erdenstaub,
Will den Rath des Höchsten richten?
Selbst des leisen Lüftchens Raub,
Will er Gottes Ernten sichten?
In sein Maß den Himmel pressen?
Gott an seiner Spanne messen?

4. Was Dein weiser Rath beschleußt,
Wohl uns! kann kein Thor verhindern.
Walte Du, und sei gepreist,
Herr, von Deiner Weisheit Kindern!
Ob sie’s oft nicht fassen mögen,
Dennoch, all‘ Dein Thun ist Segen.

5. Ew’ge Weisheit, rede Du!
Auf dein Zeugniß darf ich bauen,
Führe mich dem Himmel zu!
Deiner Führung darf ich trauen;
Bist Du heute mir verborgen,
Dich verklärt der nächste Morgen.

6. Einst durchschau ich sonnenhell
Deines Waltens Segensfüllen,
Und in deinem ew’gen Quell
Wird des Geistes Durst sich stillen.
Meine Weisheit sei, auf Erden
Weise durch dein Wort zu werden.