Gellert, Christian Fürchtegott – Wer Gottes Wege geht, nur der hat großen Frieden,

Wer Gottes Wege geht, nur der hat großen Frieden,
Er widersteht der bösen Lust;
Er kämpft, und ist des Lohns, den Gott dem Kampf beschieden,
Ist seiner Tugend sich bewußt.

Er merkt auf seinen Gang, geht ihn mit heilgem Mute,
Wächst an Erkenntnis und an Kraft,
Wird aus der Schwachheit stark, und liebt und schmeckt das Gute,
Das Gott in seiner Seele schafft.

Ihn hat er allezeit vor Augen und im Herzen,
Prüft täglich sich vor seinem Thron,
Bereut der Fehler Zahl, und tilgt der Sünden Schmerzen
Durch Jesum Christum, seinen Sohn.

Getreu in seinem Stand, genießt er Gottes Gaben,
Wehrt seiner Seele Geiz und Neid,
Und ist, wenn andre gleich viel Weins und Kornes haben,
In Gott bei wenigem erfreut.

Schenkt seine Hand ihm viel: so wird er vielen nützen,
Und, wie sein Gott, guttätig sein;
Des Freundes Glück erhöhn, verlaßne Tugend schützen,
Und selbst den Feind in Not erfreun.

Ihm ist es leichte Last, die Pflichten auszuüben,
Die er dem Nächsten schuldig ist;
Die Liebe gegen Gott heißt ihn die Menschen lieben;
Und durch die Liebe siegt der Christ.

Er kränket nie dein Glück, schützt deinen Ruhm, dein Leben;
Denn er ehrt Gottes Bild in dir.
Er trägt dich mit Geduld, ist willig zum Vergeben;
Denn Gott, denkt er, vergibt auch mir.

Sein Beispiel sucht dein Herz im Guten zu bestärken,
Er nimmt an deiner Tugend teil;
Denn alle sind von Gott gezeugt zu guten Werken,
Und haben einen Herrn, ein Heil.

Dies Heil der Ewigkeit, das hier der Fromme schmecket,
Erhöht sein Glück, stillt seinen Schmerz,
Gibt ihm Geduld und Mut. Kein Tod, der ihn erschrecket!
Im Tode noch freut sich sein Herz.

Gellert, Christian Fürchtegott – Wer bin ich von Natur, wenn ich mein Innres prüfe?

Wer bin ich von Natur, wenn ich mein Innres prüfe?
O wie viel Greul läßt mich mein Herze sehn!
Es ist verderbt; darum verbirgt mir’s seine Tiefe,
Und weigert sich, die Prüfung auszustehn.

Der Weisheit erster Schritt ist, seine Torheit kennen;
Und diesen Schritt, wie oft verwehrt mir’s ihn!
Voll Eigenlieb und Stolz will sich’s nicht strafbar nennen,
Der Reu entgehn, doch nicht den Fehler fliehn.

Wahr ist’s, ich find in mir noch redendes Gewissen,
In der Vernunft noch Kenntnis meiner Pflicht.
Ich kann mein Auge nie der Tugend ganz verschließen,
Und oft scheint mir ein Strahl von ihrem Licht.

Doch schwaches Licht, das mir den Reiz der Tugend zeiget,
Und vom Verstand nicht bis zum Herzen dringt!
Vergebens lehret er, das Herz bleibt ungebeuget,
Hat sein Gesetz, und folgt ihm unbedingt.

Ein Richter in mir selbst stört oft des Herzens Ruhe;
Er klagt mich an. Ich steh erschrocken still,
Und billige nicht mehr das Böse, das ich tue,
Und tue nicht das Gute, das ich will.

Verstellung, die ich doch an meinem Nächsten hasse,
Erlaub ich mir, und halt es für Gewinn,
Wenn ich im falschen Licht mich andern sehen lasse,
Und scheinen kann, was ich mir selbst nicht bin.

Ich weiß, daß der Besitz der Güter dieser Erden
Der Seele nie das wahre Glück verleiht;
Doch bleiben sie mein Wunsch; und um beglückt zu werden,
Erring ich mir die Last der Eitelkeit.

Ich weiß, wie groß es sei, aus Überlegung handeln,
Und handle doch aus sinnlichem Gefühl.
Durch falschen Schein getäuscht, eil ich, ihm nachzuwandeln,
Und Leidenschaft und Irrtum steckt mein Ziel.

Ein gegenwärtig Gut versäum ich zu genießen,
Flieh, was mich sucht, und suche, was mich flieht.
Im Glücke bin ich stolz, verzagt in Kümmernissen,
Und ohne Ruh um Ruhe stets bemüht.

Mein Nächster hat ein Recht auf viele meiner Pflichten;
Doch wird dies Recht so oft von mir entweiht.
Versagt er mir die Pflicht: so eil ich, ihn zu richten;
Und sein Versehn ist Ungerechtigkeit.

Nicht Liebe gegen Gott heißt mich dem Nächsten dienen,
Mehr Eigenlieb und niedrer Eigennutz.
Aus ihnen fließt Betrug, Verstellung; und in ihnen
Findt Neid und Haß, und Stolz und Härte Schutz.

Gott ehren ist mein Ruf. Wenn ich den Ruf betrachte,
Was find ich da für Mängel meiner Pflicht!
Die Wunder der Natur, die Gott zu Lehrern machte,
Stehn vor mir da, und diese hör ich nicht.

Und heißt ihr Anblick mich auf seine Weisheit schließen,
Auf Güt und Macht: so schließt nur mein Verstand;
Das Herz bleibt ungerührt, betäubt bleibt das Gewissen,
Und Gott, mein Herr und Vater, unbekannt.

Er schenkt mir so viel Guts. Gebrauch ich seine Güte
Zu meinem Glück; und geb ich ihr Gehör?
Nein, durch den Mißbrauch selbst verschließ ich mein Gemüte
Der Dankbarkeit und Liebe desto mehr.

Oft sagt mir mein Verstand, daß des Allmächtgen Gnade
Das größte Gut, der Trost des Lebens ist,
Und welche Schulden ich auf mein Gewissen lade,
Wenn sie mein Herz für Menschengunst vergißt!

Und doch, o Gott! wie oft geb ich dies Glück der Seelen,
Dir wert zu sein, für kindischen Gewinn,
Für einen Ruhm der Welt, für Lüste, die mich quälen,
Für Eitelkeit, und für ein Nichts dahin!

Gott ist der Herr der Welt; auf seine Hülfe bauen,
Ist meine Pflicht. Doch wenn gehorch ich ihr?
Bald bebt mein Herz vor Furcht, und bald ist das Vertrauen,
Das mich beseelt, nur ein Vertraun zu mir.

Dies ist des Menschen Herz. Wer hat dies Herz verheeret?
So kam es nicht, o Gott! aus deiner Hand.
Der Mensch durch eigne Schuld hat seine Würd entehret;
Und beides fiel, sein Herz und sein Verstand.

Doch so verderbt wir sind, so schwach, uns selbst zu eilen;
So steuert Gott doch der Verdorbenheit,
Läßt durch sein heilig Wort uns neue Kraft erteilen,
Licht der Vernunft, dem Herzen Reinigkeit.

Und du willst dieser Kraft, o Mensch! dich widersetzen?
Sie beut sich an, du aber wehrest ihr?
Und willst des größten Glücks dich selber unwert schätzen?
Erkenne Gott, noch steht dein Heil bei dir!

Gellert, Christian Fürchtegott – Oft klagt dein Herz, wie schwer es sei,

Oft klagt dein Herz, wie schwer es sei,
Den Weg des Herrn zu wandeln,
Und täglich seinem Worte treu,
Zu denken und zu handeln.
Wahr ist’s, die Tugend kostet Müh,
Sie ist der Sieg der Lüste;
Doch richte selbst, was wäre sie,
Wenn sie nicht kämpfen müßte?

Die, die sich ihrer Laster freun,
Trifft die kein Schmerz hienieden?
Sie sind die Sklaven eigner Pein,
Und haben keinen Frieden.
Der Fromme, der die Lüste dämpft,
Hat oft auch seine Leiden;
Allein der Schmerz, mit dem er kämpft,
Verwandelt sich in Freuden.

Des Lasters Bahn ist anfangs zwar
Ein breiter Weg durch Auen;
Allein sein Fortgang wird Gefahr,
Sein Ende Nacht und Grauen.
Der Tugend Pfad ist anfangs steil,
Läßt nichts als Mühe blicken;
Doch weiter fort führt er zum Heil,
Und endlich zum Entzücken.

Nimm an, Gott hätt es uns vergönnt,
Nach unsers Fleisches Willen,
Wenn Wollust, Neid und Zorn entbrennt,
Die Lüste frei zu stillen;
Nimm an, Gott ließ den Undank zu;
Den Frevel, dich zu kränken;
Den Menschenhaß: was würdest du
Von diesem Gotte denken?

Gott will, wir sollen glücklich sein,
Drum gab er uns Gesetze.
Sie sind es, die das Herz erfreun,
Sie sind des Lebens Schätze.
Er redt in uns durch den Verstand,
Und spricht durch das Gewissen,
Was wir, Geschöpfe seiner Hand,
Fliehn, oder wählen müssen.

Ihn fürchten, das ist Weisheit nur,
Und Freiheit ist’s, sie wählen.
Ein Tier folgt Fesseln der Natur,
Ein Mensch dem Licht der Seelen.
Was ist des Geistes Eigentum?
Was sein Beruf auf Erden?
Die Tugend! Was ihr Lohn, ihr Ruhm?
Gott ewig ähnlich werden!

Lern nur Geschmack am Wort des Herrn
Und seiner Gnade finden,
Und übe dich getreu und gern,
Dein Herz zu überwinden.
Der Kräfte hat, wird durch Gebrauch
Von Gott noch mehr bekommen;
Wer aber nicht hat, dem wird auch
Das, was er hat, genommen.

Du streitest nicht durch eigne Kraft,
Drum muß es dir gelingen.
Gott ist es, welcher beides schafft,
Das Wollen und Vollbringen.
Wenn gab ein Vater einen Stein
Dem Sohn, der Brot begehrte?
Bet oft; Gott müßte Gott nicht sein,
Wenn er dich nicht erhörte.

Dich stärket auf der Tugend Pfad
Das Beispiel selger Geister;
Ihn zeigte dir, und ihn betrat
Dein Gott und Herr und Meister.
Dich müsse nie des Frechen Spott
Auf diesem Pfade hindern;
Der wahre Ruhm ist Ruhm bei Gott,
Und nicht bei Menschenkindern.

Sei stark, sei männlich allezeit,
Tritt oft an deine Bahre;
Vergleiche mit der Ewigkeit
Den Kampf so kurzer Jahre.
Das Kleinod, das dein Glaube hält,
Wird neuen Mut dir geben;
Und Kräfte der zukünftgen Welt,
Die werden ihn beleben.

Und endlich, Christ, sei unverzagt,
Wenn dir’s nicht immer glücket;
Wenn dich, so viel dein Herz auch wagt,
Stets neue Schwachheit drücket.
Gott sieht nicht auf die Tat allein,
Er sieht auf deinen Willen.
Ein göttliches Verdienst ist dein!
Dies muß dein Herze stillen.

Gellert, Christian Fürchtegott – Erinnre dich, mein Geist, erfreut

Erinnre dich, mein Geist, erfreut
Des hohen Tags der Herrlichkeit;
Halt im Gedächtnis Jesum Christ,
Der von dem Tod erstanden ist!

Fühl alle Dankbarkeit für ihn,
Als ob er heute dir erschien,
Als spräch er: Friede sei mit dir!
So freue dich, mein Geist, in mir!

Schau über dich, und bet ihn an.
Er mißt den Sternen ihre Bahn;
Er lebt und herrscht mit Gott vereint,
Und ist dein König und dein Freund.

Macht, Ruhm und Hoheit immerdar
Dem, der da ist, und der da war!
Sein Name sei gebenedeit,
Von nun an bis in Ewigkeit!

O Glaube, der das Herz erhöht!
Was ist der Erde Majestät,
Wenn sie mein Geist mit der vergleicht,
Die ich durch Gottes Sohn erreicht?

Vor seinem Thron, in seinem Reich,
Unsterblich, heilig, Engeln gleich,
Und ewig, ewig selig sein;
Herr, welche Herrlichkeit ist mein!

Mein Herz erliegt froh unter ihr;
Lieb und Verwundrung kämpft in mir,
Und voll von Ehrfurcht, Dank und Pflicht,
Fall ich, Gott, auf mein Angesicht.

Du, der du in den Himmeln thronst,
Ich soll da wohnen, wo du wohnst?
Und du erfüllst einst mein Vertraun,
In meinem Fleische dich zu schaun?

Ich soll, wenn du, des Lebens Fürst,
In Wolken göttlich kommen wirst,
Erweckt aus meinem Grabe gehn,
Und rein zu deiner Rechten stehn?

Mit Engeln und mit Seraphim,
Mit Thronen und mit Cherubim,
Mit allen Frommen aller Zeit
Soll ich mich freun in Ewigkeit?

Zu welchem Glück, zu welchem Ruhm
Erhebt uns nicht das Christentum!
Mit dir gekreuzigt, Gottes Sohn,
Sind wir auch auferstanden schon.

Nie komm es mir aus meinem Sinn,
Was ich, mein Heil, dir schuldig bin;
Damit ich mich, in Liebe treu,
Zu deinem Bilde stets erneu.

Er ist’s, der alles in uns schafft,
Sein ist das Reich, sein ist die Kraft.
Halt im Gedächtnis Jesum Christ,
Der von dem Tod erstanden ist.

Gellert, Christian Fürchtegott – Was sorgst du ängstlich für dein Leben?

Was sorgst du ängstlich für dein Leben?
Es Gott gelassen übergeben,
Ist wahre Ruh und deine Pflicht.
Du sollst es lieben, weislich nützen,
Es dankbar, als ein Glück, besitzen,
Verlieren, als verlörst du’s nicht.

Der Tod soll dich nicht traurig schrecken:
Doch dich zur Weisheit zu erwecken,
Soll er dir stets vor Augen sein.
Er soll den Wunsch zu leben mindern,
Doch dich in deiner Pflicht nicht hindern,
Vielmehr dir Kraft dazu verleihn.

Ermattest du in deinen Pflichten:
So laß den Tod dich unterrichten,
Wie wenig deiner Tage sind.
Sprich: Sollt ich Gutes wohl verschieben?
Nein, meine Zeit, es auszuüben,
Ist kurz, und sie verfliegt geschwind.

Denk an den Tod, wenn böse Triebe,
Wenn Lust der Welt und ihre Liebe
Dich reizen; und ersticke sie.
Sprich: Kann ich nicht noch heute sterben?
Und könnt ich auch die Welt erwerben,
Beging ich doch solch Übel nie.

Denk an den Tod, wenn Ruhm und Ehren,
Wenn deine Schätze sich vermehren,
Daß du sie nicht zu heftig liebst.
Denk an die Eitelkeit der Erden,
Daß, wenn sie dir entrissen werden,
Du dann dich nicht zu sehr betrübst.

Denk an den Tod bei frohen Tagen.
Kann deine Lust sein Bild vertragen:
So ist sie gut und unschuldsvoll.
Sprich, dein Vergnügen zu versüßen:
Welch Glück werd ich erst dort genießen,
Wo ich unendlich leben soll!

Denk an den Tod, wenn deinem Leben
Das fehlt, wonach die Reichen streben;
Sprich: Bin ich hier, um reich zu sein?
Heil mir! wenn ich in Christo sterbe,
Dann ist ein unbeflecktes Erbe,
Dann ist der Himmel Reichtum mein.

Denk an den Tod, wenn Leiden kommen;
Sprich: Alle Trübsal eines Frommen
Ist zeitlich, und im Glauben leicht.
Ich leide; doch von allem Bösen
Wird mich der Tod bald, bald erlösen;
Er ist’s, der mir die Krone reicht.

Denk an den Tod, wenn freche Rotten
Des Glaubens und der Tugend spotten,
Und Laster stolz ihr Haupt erhöhn.
Sprich bei dir selbst: Gott trägt die Frechen;
Doch endlich kömmt er, sich zu rächen,
Und plötzlich werden sie vergehn.

Denk an den Tod zur Zeit der Schrecken,
Wenn Pfeile Gottes in dir stecken;
Du rufst, und er antwortet nicht.
Sprich: Sollte Gott mich ewig hassen?
Er wird mich sterbend nicht verlassen;
Dann zeigt er mir sein Angesicht.

So suche dir in allen Fällen
Den Tod oft, lebhaft, vorzustellen;
So wirst du ihn nicht zitternd scheun;
So wird er dir ein Trost in Klagen,
Ein weiser Freund in guten Tagen,
Ein Schild in der Versuchung sein.

Gellert, Christian Fürchtegott – Was ist mein Stand, mein Glück, und jede gute Gabe?

Was ist mein Stand, mein Glück, und jede gute Gabe?
Ein unverdientes Gut.
Bewahre mich, o Gott, von dem ich alles habe,
Vor Stolz und Übermut.

Wenn ich vielleicht der Welt mehr, als mein Nächster, nütze;
Wer gab mir Kraft dazu?
Und wenn ich mehr Verstand, als er besitzt, besitze;
Wer gab mir ihn, als du?

Wenn mir ein größer Glück, als ihn erfreut, begegnet;
Bin ich ein beßrer Knecht?
Gibt deine Gütigkeit, die mich vor andern segnet,
Mir wohl zum Stolz ein Recht?

Wenn ich, geehrt und groß, in Würden mich erblicke;
Gott, wer erhöhte mich?
Ist nicht mein Nächster oft, bei seinem kleinern Glücke,
Viel würdiger, als ich?

Wie könnt ich mich, o Gott! des Guten überheben,
Und meines schwachen Lichts?
Was ich besitz, ist dein. Du sprichst! so bin ich Leben;
Du sprichst! so bin ich nichts.

Von dir kömmt das Gedeihn, und jede gute Gabe
Von dir, du höchstes Gut!
Bewahre mich, o Gott, von dem ich alles habe!
Vor Stolz und Übermut.

Gellert, Christian Fürchtegott – Nicht, daß ich’s schon ergriffen hätte;

Nicht, daß ich’s schon ergriffen hätte;
Die beste Tugend bleibt noch schwach;
Doch, daß ich meine Seele rette,
Jag ich dem Kleinod eifrig nach.
Denn Tugend ohne Wachsamkeit
Verliert sich bald in Sicherheit.

So lang ich hier im Leibe walle,
Bin ich ein Kind, das strauchelnd geht.
Der sehe zu, daß er nicht falle,
Der, wenn sein Nächster fällt, noch steht.
Auch die bekämpfte böse Lust
Stirbt niemals ganz in unsrer Brust.

Nicht jede Besserung ist Tugend;
Oft ist sie nur das Werk der Zeit.
Die wilde Hitze roher Jugend
Wird mit den Jahren Sittsamkeit:
Und was Natur und Zeit getan,
Sieht unser Stolz für Tugend an.

Oft ist die Ändrung deiner Seelen
Ein Tausch der Triebe der Natur.
Du fühlst, wie Stolz und Ruhmsucht quälen,
Und dämpfst sie; doch du wechselst nur;
Dein Herz fühlt einen andern Reiz,
Dein Stolz wird Wollust, oder Geiz.

Oft ist es Kunst und Eigenliebe,
Was andern strenge Tugend scheint.
Der Trieb des Neids, der Schmähsucht Triebe
Erweckten dir so manchen Feind;
Du wirst behutsam, schränkst dich ein,
Fliehst nicht die Schmähsucht, nur den Schein.

Du denkst, weil Dinge dich nicht rühren,
Durch die der andern Tugend fällt:
So werde nichts dein Herz verführen;
Doch jedes Herz hat seine Welt.
Den, welchen Stand und Gold nicht rührt,
Hat oft ein Blick, ein Wort verführt.

Oft schläft der Trieb in deinem Herzen.
Du scheinst von Rachsucht dir befreit;
Itzt sollst du eine Schmach verschmerzen,
Und sieh, dein Herz wallt auf und dräut,
Und schilt so lieblos und so hart,
Als es zuerst gescholten ward.

Oft denkt, wenn wir der Stille pflegen,
Das Herz im stillen tugendhaft.
Kaum lachet uns die Welt entgegen:
So regt sich unsre Leidenschaft.
Wir werden im Geräusche schwach,
Und geben endlich strafbar nach.

Du opferst Gott die leichtern Triebe
Durch einen strengen Lebenslauf;
Doch opferst du, will’s seine Liebe,
Ihm auch die liebste Neigung auf?
Dies ist das Auge, dies der Fuß,
Die sich der Christ entreißen muß.

Du fliehst, geneigt zu Ruh und Stille,
Die Welt, und liebst die Einsamkeit;
Doch bist du, fordert’s Gottes Wille,
Auch dieser zu entfliehn bereit?
Dein Herz haßt Habsucht, Neid und Zank;
Flieht’s Unmut auch und Müßiggang?

Du bist gerecht; denn auch bescheiden?
Liebst Mäßigkeit; denn auch Geduld?
Du dienest gern, wenn andre leiden;
Vergibst du Feinden auch die Schuld?
Von allen Lastern sollst du rein,
Zu aller Tugend willig sein.

Sei nicht vermessen! Wach und streite;
Denk nicht, daß du schon gnug getan.
Dein Herz hat seine schwache Seite,
Die greift der Feind der Wohlfahrt an.
Die Sicherheit droht dir den Fall;
Drum wache stets, wach überall!

Gellert, Christian Fürchtegott – Was ist’s, daß ich mich quäle?

Was ist’s, daß ich mich quäle?
Harr Seiner, meine Seele,
Harr und sei unverzagt!
Du weißt nicht, was dir nützet:
Gott weiß es, und Gott schützet;
Er schützet den, der nach ihm fragt.

Er zählte meine Tage,
Mein Glück und meine Plage,
Eh ich die Welt noch sah.
Eh ich mich selbst noch kannte,
Eh ich ihn Vater nannte,
War er mir schon mit Hülfe nah.

Die kleinste meiner Sorgen
Ist dem Gott nicht verborgen,
Der alles sieht und hält;
Und was er mir beschieden,
Das dient zu meinem Frieden,
Wär’s auch die größte Last der Welt.

Ich lebe nicht auf Erden,
Um glücklich hier zu werden;
Die Lust der Welt vergeht.
Ich lebe hier, im Segen
Den Grund zum Glück zu legen,
Das ewig, wie mein Geist, besteht.

Was dieses Glück vermehret,
Sei mir von dir gewähret!
Gott, du gewährst es gern.
Was dieses Glück verletzet,
Wenn’s alle Welt auch schätzet,
Sei, Herr, mein Gott, mir ewig fern!

Sind auch der Krankheit Plagen,
Der Mangel schwer zu tragen,
Noch schwerer Haß und Spott:
So harr ich, und bin stille
Zu Gott; denn nicht mein Wille,
Dein Wille nur, gescheh, o Gott!

Du bist der Müden Stärke,
Und aller deiner Werke
Erbarmst du ewig dich.
Was kann mir widerfahren,
Wenn Gott mich will bewahren?
Und er, mein Gott, bewahret mich.

Gellert, Christian Fürchtegott – Der Tag ist wieder hin, und diesen Teil des Lebens

Der Tag ist wieder hin, und diesen Teil des Lebens,
Wie hab ich ihn verbracht? Verstrich er mir vergebens?
Hab ich mit allem Ernst dem Guten nachgestrebt?
Hab ich vielleicht nur mir, nicht meiner Pflicht gelebt?

War’s in der Furcht des Herrn, daß ich ihn angefangen?
Mit Dank und mit Gebet, mit eifrigem Verlangen,
Als ein Geschöpf von Gott der Tugend mich zu weihn,
Und züchtig, und gerecht, und Gottes Freund zu sein?

Hab ich in dem Beruf, den Gott mir angewiesen,
Durch Eifer und durch Fleiß ihn, diesen Gott, gepriesen;
Mir und der Welt genützt, und jeden Dienst getan,
Weil ihn der Herr gebot, nicht weil mich Menschen sahn?

Wie hab ich diesen Tag mein eigen Herz regieret?
Hat mich im stillen oft ein Blick auf Gott gerühret?
Erfreut ich mich des Herrn, der unser Flehn bemerkt?
Und hab ich im Vertraun auf ihn mein Herz gestärkt?

Dacht ich bei dem Genuß der Güter dieser Erden
An den Allmächtigen, durch den sie sind und werden?
Verehrt ich ihn im Staub? Empfand ich seine Huld?
Trug ich das Glück mit Dank, den Unfall mit Geduld?

Und wie genoß mein Herz des Umgangs süße Stunden?
Fühlt ich der Freundschaft Glück, sprach ich, was ich empfunden?
War auch mein Ernst noch sanft, mein Scherz noch unschuldsvoll?
Und hab ich nichts geredt, das ich bereuen soll?

Hab ich die Meinigen durch Sorgfalt mir verpflichtet,
Sie durch mein Beispiel still zum Guten unterrichtet?
War zu des Mitleids Pflicht mein Herz nicht zu bequem?
Ein Glück, das andre traf, war dies mir angenehm?

War mir der Fehltritt leid, so bald ich ihn begangen?
Bestritt ich auch in mir ein unerlaubt Verlangen?
Und wenn in dieser Nacht Gott über mich gebeut,
Bin ich, vor ihm zu stehn, auch willig und bereit?

Gott, der du alles weißt, was könnt ich dir verhehlen?
Ich fühle täglich noch die Schwachheit meiner Seelen.
Vergib durch Christi Blut mir die verletzte Pflicht;
Vergib, und gehe du nicht mit mir ins Gericht.

Ja, du verzeihest dem, den seine Sünden kränken;
Du liebst Barmherzigkeit, und wirst auch mir sie schenken.
Auch diese Nacht bist du der Wächter über mir;
Leb ich, so leb ich dir, sterb ich, so sterb ich dir!

Gellert, Christian Fürchtegott – Dein Heil, o Christ, nicht zu verscherzen

Dein Heil, o Christ, nicht zu verscherzen,
Sei wach und nüchtern zum Gebet!
Ein Flehn aus reinem guten Herzen
Hat Gott, dein Vater, nie verschmäht.
Erschein vor seinem Angesichte
Mit Dank, mit Demut, oft und gern,
Und prüfe dich in seinem Lichte,
Und klage deine Not dem Herrn.

Welch Glück, so hoch geehrt zu werden
Und im Gebet vor Gott zu stehn!
Der Herr des Himmels und der Erden,
Bedarf der eines Menschen Flehn?
Sagt Gott nicht: Bittet, daß ihr nehmet?
Ist des Gebetes Frucht nicht dein?
Wer sich der Pflicht zu beten schämet,
Der schämt sich, Gottes Freund zu sein.

Sein Glück von seinem Gott begehren,
Ist dies denn eine schwere Pflicht?
Und seine Wünsche Gott erklären,
Erhebt dies unsre Seele nicht?
Sich in der Furcht des Höchsten stärken,
In dem Vertraun, daß Gott uns liebt,
Im Fleiß zu allen guten Werken,
Ist diese Pflicht für dich betrübt?

Bet oft in Einfalt deiner Seelen;
Gott sieht aufs Herz, Gott ist ein Geist.
Wie können dir die Worte fehlen,
Wofern dein Herz dich beten heißt?
Nicht Töne sind’s, die Gott gefallen,
Nicht Worte, die die Kunst gebeut.
Gott ist kein Mensch. Ein gläubig Lallen,
Das ist vor ihm Beredsamkeit.

Wer das, was uns zum Frieden dienet,
Im Glauben sucht, der ehret Gott.
Wer das zu bitten sich erkühnet,
Was er nicht wünscht, entehret Gott.
Wer täglich Gott die Treue schwöret,
Und dann vergißt, was er beschwur;
Und klagt, daß Gott ihn nicht erhöret,
Der spottet seines Schöpfers nur.

Bet oft zu Gott, und schmeck in Freuden,
Wie freundlich er, dein Vater, ist.
Bet oft zu Gott, und fühl in Leiden,
Wie göttlich er das Leid versüßt.
Bet oft, wenn dich Versuchung quälet;
Gott hört’s, Gott ist’s, der Hülfe schafft.
Bet oft, wenn innrer Trost dir fehlet;
Er gibt den Müden Stärk und Kraft.

Bet oft, und heiter im Gemüte
Schau dich an seinen Wundern satt.
Schau auf den Ernst, schau auf die Güte,
Mit der er dich geleitet hat.
Hier irrtest du in deiner Jugend,
Im Alter dort. Er trug Geduld,
Rief dich durch Glück und Kreuz zur Tugend;
Erkenn und fühle seine Huld.

Bet oft, und schau mit selgen Blicken
Hin in des Ewigen Gezelt,
Und schmeck im gläubigen Entzücken
Die Kräfte der zukünftgen Welt.
Ein Glück von Millionen Jahren,
Welch Glück! Doch ist’s von jenem Glück,
Das dem der Herr wird offenbaren,
Der ihm hier dient, kein Augenblick.

Bet oft; durchschau mit heilgem Mute
Die herzliche Barmherzigkeit
Des, der mit seinem teuren Blute
Die Welt, der Sünder Welt befreit.
Nie wirst du dieses Werk ergründen;
Nein, es ist eines Gottes Tat.
Erfreu dich ihrer, rein von Sünden,
Und ehr im Glauben Gottes Rat.

Bet oft; entdeck am stillen Orte
Gott ohne Zagen deinen Schmerz.
Er schließt vom Herzen auf die Worte,
Nicht von den Worten auf das Herz.
Nicht dein gebognes Knie, nicht Tränen,
Nicht Worte, Seufzer, Psalm und Ton,
Nicht dein Gelübd rührt Gott; dein Sehnen,
Dein Glaub an ihn und seinen Sohn.

Bet oft; Gott wohnt an jeder Stätte,
In keiner minder oder mehr.
Denk nicht: Wenn ich mit vielen bete:
So find ich eh bei Gott Gehör.
Gott ist kein Mensch. Ist dein Begehren
Gerecht und gut: so hört er’s gern.
Ist’s nicht gerecht: so gelten Zähren
Der ganzen Welt nichts vor dem Herrn.

Doch säume nicht, in den Gemeinen
Auch öffentlich Gott anzuflehn,
Und seinen Namen mit den Seinen,
Mit seinen Brüdern, zu erhöhn;
Dein Herz voll Andacht zu entdecken,
Wie es dein Mitchrist dir entdeckt,
Und ihn zur Inbrunst zu erwecken,
Wie er zur Inbrunst dich erweckt.

Bist du ein Herr, dem andre dienen:
So sei ihr Beispiel, sei es stets,
Und feire täglich gern mit ihnen
Die selge Stunde des Gebets.
Nie schäme dich des Heils der Seelen,
Die Gottes Hand dir anvertraut.
Kein Knecht des Hauses müsse fehlen;
Er ist ein Christ, und werd erbaut!

Bet oft zu Gott für deine Brüder,
Für alle Menschen, als ihr Freund;
Denn wir sind eines Leibes Glieder;
Ein Glied davon ist auch dein Feind.
Bet oft; so wirst du Glauben halten,
Dich prüfen, und das Böse scheun,
An Lieb und Eifer nicht erkalten,
Und gern zum Guten weise sein.