Veith, Johann Emmanuel – Dies Irae

Tag des Zornes, Tag der Zähren
Wird die Welt in Asche kehren,
Wie Sibyll‘ und David lehren.

Welch Entsetzen, welch Erbeben!
Wird herab der Richter schweben,
Alles strenge zu erheben.

Hehr wird die Posaun‘ erschallen,
Rufend durch der Gräber Hallen,
Vor den Thron zu kommen, Allen!

Tod, Natur wird staunend sehen
Das Geschöpf hervor nun gehen,
Vor dem Richter Rede stehen.

Auch das Buch wird sich entfalten,
Worin Alles ist enthalten,
Draus das Urtheil zu gestalten.

Wird nun das Gericht beginnen,
Kommt an’s Licht des Herzens Sinnen,
Wird der Rache nichts entrinnen.

Was will, Armer, ich dann sagen?
Wessen Schutze mich antragen,
Wenn selbst die Gerechten zagen?

König, hehr und furchtbar schaltend,
Gnadenspender, zwanglos waltend,
Mich beleb‘ auch neugestaltend.

Denk‘ des Weges voll Beschwerden,
Den du für mich gingst auf Erden,
Lasse d’rum mir Gnade werden!

Suchtest mich mit müden Schritten,
Hast für mich am Kreuz gelitten,
Nicht umsonst sei so gestritten!

Richter der gerechten Sache,
Deiner Huld mich theilhaft mache,
Vor dem Tage deiner Rache!

Meine Schuld macht mich erbangen,
Schamroth decket meine Wangen,
Lass mein Fleh’n zu Dir gelangen!

Der Maria’s Herz gewendet,
Und dem Räuber Heil gespendet,
Mir auch süsse Hoffnung sendet.

Ist mein Fleh’n nicht dir zur Ehre,
Gütigster, doch gütig wehre,
Dass nicht Flamme mich verzehre!

Bei den Schafen, deinen Knechten,
Lass ich stehn, nicht bei den Schlechten,
Stelle mich zu deiner Rechten!

Wenn dann Flammen den Verweg’nen,
Engel deiner Schaar begegnen,
Wolle mich mit diesen segnen!

Vor dir flehend ich mich neige,
Und zerknirscht im Staub mich beuge:
Meinem Ende Huld erzeige!

Tag der Thränen, nie gesehen,
Da der Mensch wird auferstehen
Aus dem Staube, vorgeladen
Zum Gerichte, schuldbeladen!
Ihn verschon‘, o Gott der Gnaden!

Milder Jesu, Herr, verzeihe,
Ihnen Fried‘ und Ruh verleihe!

Knapp, Albert – Dies Irae

Jenen Tag, den Tag der Wehen,
Muss die Welt in Brand vergehen,
Wie Prophetenspruch geschehen.

Weh! wie zittern dann die Schaaren,
Wird der Richter niederfahren,
Alles streng zu offenbaren!

Die Posaun‘ in Wundertönen,
Die durch alle Gräber dröhnen,
Ruft zum Thron den Erdensöhnen.

Tod, Natur, sie schau’n mit Beben
Alle Creatur sich heben,
Antwort vor Gericht zu geben.

Und ein Buch wird vorgetragen,
Das da wird von Allem sagen,
Weltgerichtsspruch aufzuschlagen.

Also vor des Richters Walten
Wird, was heimlich, sich entfalten,
Vor der Rache nichts behalten.

Ach! wie werd‘ ich denn bestehen?
Wen zum Anwalt mir erflehen,
Wenn Gerechte schier vergehen?

Herr, vor dessen Macht wir beben,
Freie Gnade kannst du geben;
Rett‘, o Gnadenquell, mein Leben!

Liebevoller Jesu, siehe!
Wie ich Ziel war deiner mühe,
Dass ich jenem Zorn entfliehe!

Mir nach war dein Schritt gewendet,
Du am Kreuz für mich verpfändet,
So viel Müh‘ sei nicht verschwendet!

Rächer, mit der heil’gen Waage,
Tilge wider mich die Klage
Vor dem grossen Rügetage!

Sieh, ich seufze schuldbeladen,
Schamroth über solchen Schaden;
Hör‘ mein Flehen, Gott, in Gnaden!

Du, der schuldfrei sprach Marien,
Und dem Schächer noch verziehen,
Hast auch Hoffnung mir verliehen!

Unwerth ist mein Fleh’n zu nennen,
Doch du Treuer, wollst mir gönnen,
Nicht in ew’ger Glut zu brennen!

Zu den Schafen mich geleite,
Von den Böcken in die Weite
Stelle mich zur rechten Seite!

Wenn Verworfne dein Verdammen
Niederstürzt in Pein und Flammen,
Ruf mit Sel’gen mich zusammen!

Flehend neig‘ ich Haupt und Hände,
Glimmt mein Herz, wie Asche; wende
Dich zu mir an meinem Ende!

O des Tages voller Zähren,
Wann vom Staube wiederkehren
Zum Gericht die Sünderschaaren!
Gott, dann wollst du gnädig fahren!

Jesu, frommer König, du,
Führe sie zu deiner Ruh!

Jäck, Markus Fidelius – Dies Irae

Tag, prophetisch uns verkündet,
Wenn du kömmst, wie Staub verschwindet
Dann, was sich auf Erden findet.

Welch ein Schrecken wird entstehen,
Wenn wir dann den Richter sehen
Kommen, Alles auszuspähen!

Der Posaune Wunderschalle
Ruft dann aus der Todtenhalle
Vor dem Thron die Menschen alle.

Die Natur, der Tod wird beben,
Wenn der Mensch sich wird erheben,
Rechenschaft von sich zu geben.

Dann wird, wer du sei’st, zu fragen,
Jenes Schuldbuch aufgeschlagen,
Wo dein Thun ist eingetragen.

Wenn alsdann der Richter richtet,
Wird, was dunkel war, gelichtet;
Alles, Alles wird geschlichtet.

Dann was werd‘ ich Armer sagen?
Wo den Anwalt mir erfragen,
Da, wo selbst Gerechte zagen?

König! – dem die Himmel beben,
Der du gabst, was uns gegeben,
Nur aus Gnade, lass mich leben!

Denke, Herr, dass du auf allen
Leidenswegen musstest wallen
Wegen mir; lass mich nicht fallen!

Müh‘ hast du für mich verwendet,
Für mein Heil dein Blut gespendet;
So viel Müh‘ sei nicht verschwendet!

Richter mit gerechter Waage,
Löse gnädig jede Klage
Noch vor dem Gerichtestage!

Das Gewissen quält mich Bangen,
Reue räthet meine Wangen,
Lass, o Gott, mich Gnad‘ erlangen.

Da Marien du vergeben,
Selbst dem Mörder halfst zum Leben,
Hast du Hoffnung mir gegeben.

Wertlos zwar ist meine Zähre,
Mach‘ doch, Bester, dir zur Ehre,
Dass das Feu’r mich nicht verzehre!

Unter Schafen lass mich weiden,
Von den Böcken mich zu scheiden,
Stell‘ mich zu der rechten Seiten.

Wenn zu herben Höllenflammen
Du die Sünder wirst verdammen,
Bring‘ zu Sel’gen mich zusammen.

Da ich, Herr, zu dir mich wende
Reuig faltend meine Hände:
Schenke mir ein selig Ende.

Wenn am Tag, vor dem wir beben,
Alle sich vom Grab‘ erheben,
Rechenschaft dir, Gott, zu geben:

Schone, Herr, dann ihrer Sünden,
Komm dann, Gnade zu verkünden,
Ew’ge Ruhe lass sie finden.

Dies Irae,
Hymnus auf das Weltgericht
F. G. Lisco
Berlin
Verlag von Gustav Bethge
1840

Kind, Friedrich – Dies Irae.

Tag des Zorns, du wirst erfüllen
Davids Wort und der Sibyllen,
Wirst die Welt in Asche hüllen.

Welch‘ ein tiefes Graun wird werden,
Wenn der Richter kömmt zur Erden,
Wägend jegliche Beschwerden!

Die Drommet‘ im Wundertone
Dringt durch Gräber jeder Zone,
Alles fordernd zu dem Throne.

So Natur, als Tod, erbeben,
Wenn Gebeine sich erheben,
Antwort vor Gericht zu geben.

Auf wird man ein Buch dann breiten,
G’nug erfüllt auf allen Seiten,
Um zum Weltgericht zu schreiten.

Sitzt der Richter nun zur Stelle,
Tritt, was je sich barg, ans Helle,
Nichts schirmt vor des Zornes Schnelle.

Weh! wie soll dann ich entgehen?
Welchen Sachwalt mir erflehen,
Da selbst Reine kaum bestehen?

Herr, den Macht und Schreck umwalten,
Der erhält nach freiem Schalten,
Quell der Huld, wollst mich erhalten!

Denk, o Jesu, dass dein Sterben
Mir auch sollte Heil erwerben;
Schütze dann mich vor Verderben!

Mich auch sucht’st du im Ermüden,
Und eh‘ du am Kreuz verschieden;
Deine Marter geb‘ uns Frieden.

Rächer mit gerechter Waage!
Schenke mir Erlass der Klage
Vor der Rechnung grossem Tage.

Vor dem Urtheil muss ich bangen,
Roth vor Schuld sind meine Wangen,
Lass den Fleh’nden Gnad‘ erlangen.

Der Marien konnt‘ verzeihen
Und sein Ohr dem Schächer leihen,
Lässt auch mein Vertrau’n gedeihen.

Du, den Güt‘ und Mild‘ umstehen,
Lass, gilt gleich gering mein Flehen,
Mich nicht ew’ge Glut umwehen.

Gieb mir Raum bei deinen Knechten,
Fern den sündigen Geschlechten,
Stelle mich zu deiner Rechten.

Wenn die Flammen, heiss entglommen,
Die Verdammten hingenommen,
Rufe mich mit deinen Frommen!

Mit zerknirschtem Herzen wende
Ich gebeugt zu dir die Hände:
Sorge für mein letztes Ende.

Dies Irae, Hymnus auf das Weltgericht F. G. Lisco Berlin Verlag von Gustav Bethge 1840

Clodius, Christian August Heinrich – Dies Irae

Tag des Zorns! des prophezeiten!
Der zu Asch‘ einst brennt die Zeiten,
Wie Sibyll‘ und David dräuten.

Welch ein Schauder den Gebeinen,
Wenn der Richter wird erscheinen,
Richtend Alles, schonend Keinen!

Die Posaun‘ im Wundertone
Wird aus Gräbern jeder Zone
Sammeln Alle zu dem Throne.

Tod sieht und Natur mit Beben
Nun die Creatur sich heben,
Antwort vor Gericht zu geben.

Da wird man ein Buch entfalten,
Klagen, welche nie veralten,
Die der Menschheit Schuld enthalten.

Furchtbar wird der Richter sitzen
Licht wird ins Verborgne blitzen,
Nichts wird vor der Rache schützen.

Welch‘ Gebet werd‘ dann ich beten?
Wer wird mich vor dem vertreten,
Vor den Heil’ge zitternd treten?

Fürst, vor dem die Himmel beben,
Du, den Rach‘ und Gnad‘ umschweben,
Rette mich, gieb mir das Leben.

Heiland, Einen deiner Blicke
Wirf auf Golgatha zurücke,
In des Richtspruchs Augenblicke!

Suchend mich auf dunkeln Pfaden,
Kamst du müde, kreuzbeladen,
Starbst den Tod, mich zu begnaden.

Richter, hab‘ in Menschenhütten
Nicht umsonst für mich gelitten!
Ist’s noch Zeit, lass dich erbitten!

Unter Seufzen, unter Bangen,
Brennt die Schuld mir auf den Wangen:
Heiss nach Gnad‘ ist mein Verlangen.

Der Marien hat vergeben,
Und verhiess dem Schächer Leben,
Hat auch Hoffnung mir gegeben.

Kannst du sündig Flehn erhören,
Hilf von mir die Gluthen wehren,
Die an Geistern ewig zehren.

Sondre mich vom Tross der Hölle,
Deiner Heerde mich geselle,
Und zu deiner Rechten stelle.

Sind verstossen Satans Horten
In des öden Abgrunds Pforten,
Ruf‘ mir mit des Segnens Worten.

Ach, zerknirscht, im Staube, wende
Betend ich zu dir die Hände:
Sorge du, Herr, für mein Ende!

Tag der Thränen, Tag der Schrecken,
Der zum Weltgericht wird wecken,
Heiland, lass dein Schild uns decken!

Schone, die in deinem Namen
Gläubig sterbend zu dir kamen;
Gib uns deinen Frieden. Amen.

Dies Irae,
Hymnus auf das Weltgericht
F. G. Lisco
Berlin
Verlag von Gustav Bethge
1840

Unbekannter Uebersetzer – Dies Irae (1677)

O des Tags, der wird verzehren
Diese Welt mit Feu’r, wie lehren
Davids und Sibyllä Zähren.

Wie wird sein so grosses Zagen,
Wann der Richter alle Klagen
Schlichten wird, nach rechter Waagen.

Der Posaunenschall mit Schrecken
Alle Todten wird erwecken,
Vor dem Richterstuhl sie entdecken.

Schrecken wird sich Tod und Leben,
Weil der Leib sich wird erheben,
Seine Antwort da zu geben.

Ein geschriebens Buch der Erden
Wird vom Richter vorbracht werden,
Draus er scheiden wird die Heerden.

Wann er sitzen wird zu richten,
Sich verbergen wird mit nichten
Was mit Feu’r und Flamm‘ zu schlichten!

Ach, was werd‘ ich Armer sagen?
Welchem Freund werd‘ ich da klagen,
Wann der Fromme auch wird zagen?

O du König grosser Ehren,
Deiner Gnad‘ ich thu begehren,
Mir das Heil nicht wollst verwehren!

Führ‘, o Jesu, zu Gemüthe,
Was gethan mir deine Güte,
Mich an jenem Tag behüte.

Kreuz und Leiden hast erkoren,
Dass ich wieder würd‘ geboren,
Diess an mir nicht sei verloren.

Strenger Richter mir’s vergebe,
Da ich noch auf Erden lebe,
Eh‘ ich Rechenschafft dir gebe.

Ach! ich Sünder seufz‘ und weine,
Meine Bosheit nicht verneine,
Gnädig mir, o Herr, erscheine.

Der Magd’lenä Sünd‘ vergeben,
Und den Schächer bracht‘ zum Leben,
Du auch mir hast Hoffnung geben.

Meine Bitt‘ ist nicht zu achten,
Deine Güte wollst betrachten,
Dass im Feu’r nit muss verschmachten.

Bei den Schafen Platz verleihe,
Von den Böcken mich befreie,
Dann mein‘ Stell‘ zur Rechten seie.

Du wirst vermaledeyen
Die Gottlosen, – mir verzeihen
Wollest, Herr, und benedeyen.

Jesu, zu dir ich mich wende,
Geb‘ mein Herz in deine Hände,
Seh‘ doch auf mein letztes Ende.

O des Tags! wohl zu beweinen,
Da der Mensch auf seinen Beinen,
Wird vor seinem Gott erscheinen.

Aller Straf‘ uns dann befreie,
Jesu, alle Sünd‘ verzeihe,
Und die ewig Ruh‘ verleihe!

Dies Irae,
Hymnus auf das Weltgericht
F. G. Lisco
Berlin
Verlag von Gustav Bethge
1840

Unbekannter Uebersetzer – Dies Irae (1619)

Der jenig Tag, des Zorns ein Tag,
Die Zeit im Fewr aufflöst mit Klag,
Nach David vnd Sibille Sag.

Was für zitteren wird geschehen,
So der Richter sich wird nähen
Vnd all vor dem Stuel werden stehen.

Die Posaun als dann wird erklingen,
Die Todten auss den Gräbern dringen,
Und für des Richters Thron herbringen.

Todt und Natur wird wundern sich,
So auffsteht das Geschlecht menschlich,
Für den Richter zu stehn kläglich.

Man bringen wird das geschriebne Büch,
Das man eins jeden Vrtheil süch,
Das Leben, den ewigen Flüch.

So nun das streng Vrtheil angeht,
Jedem sein Schuld geschrieben steht,
Ach Gott, wie es als dann mir geht.

Nichts Vngerochens wird verbleiben,
Was Fürsprecher ich soll aufftreiben,
Weil der Gerechte kaum wird bleiben.

Die erschrecklich Königlich Majestat,
Die ihr Blüt für vns geben hat,
Wöll mit gnedig sein an der statt.

Gedenck O frommer Jesu mein,
Mich ein Vrsach des todtes dein,
Behüt mich vor der ew‘gen pein.

Mich zu suchen müd worden bist,
Der Todt vor dir bezwungen ist,
Das sei nit vergebens zur Frist.

O du gerechter Richter güt
Mein Sünd vergieb, mich darfür huet
An dem tag vor der Höllen gluet.

Schaw als ein schüldiger den Todt,
Vor scham ist mir das Angesicht roth,
Verschon derhalben mein, O Gott.

Der du Mariam von sünden hast
Entbunden, den Schächer zu gast
Auffgenommen, schon meiner sünden last.

Mein gebett zwar ist nicht würdig,
Aber zu Jesu bist gütig,
Vor der Höll mich behüt gnedig.

Vndr den Schaffen gib mir ein ort,
Vnd sünder mich nit ab all dort,
Dass ich komm mit den frommen fort.

Nach verdammung der vermaledeyten,
Stell mich auff die rechten seyten,
O Herr zu den benedeyten.

Ich bitte gantz demütiglich,
Mit eim zerknirschten hertzen dich,
Gedenck mein, so ich sterb zeitlich.

Zu beweinen wird mit beschwerden,
Der Tag seyn, dann auss der Erden,
Der Mensch auffsteht, gericht sol werden.

Derhalben O Gott sein verschon,
Wann er kommen wird für den Thron,
Gib ihm die ewige rüh zu Lohn.

Könneritz, Carl von – Dies irae, dies illa

Furchtbar geht vom Zornestage,
Der zu Staub die Welt zerschlage,
Davids und Sibyllens Sage.

Welche schreckensbange Stunde
Harrt ihr aus des Richters Munde
Auf gerechten Spruches Kunde!

Der Posaune Wunderschalle
Folgen aus der Gräberhalle
Zu des Thrones Stufen Alle.

Staunend sehen Tod und Leben,
Was einst war, der Gruft entschweben,
Rechenschaft dem Herrn zu geben.

Und ein Buch zeigt die Geschichte
Alles Thuns im wahren Lichte,
Legt den Grund zum Weltgerichte.

Sitzt der Richter mit der Waage:
Kommt Verhülltes klar zu Tage,
Ohne Spruch bleibt keine Klage.

Wehe meinem armen Leben!
Wird kein Heil’ger Schutz mir geben,
Wo selbst reine Herzen beben?

König furchtumhüllter Mächte,
Huldvoll gleichvertheilter Rechte,
Gieb sein Theil auch deinem Knechte!

Hast du, Jesu, mir zum Frommen
Deine Sendung übernommen:
Hilf, wird jener Tag einst kommen!

Der du mir zum Heil geboren,
Für mich hast das Kreuz erkoren,
Gieb dies Opfer nicht verloren!

Richter der gerechten Rache,
Schenke Nachsicht meiner Sache,
Eh‘ ich zum Gericht erwache!

Seufzend harr‘ ich des Gerichtes,
Schuldgerötheten Gesichtes:
Schone meiner, Herr des Lichtes!

Der Mariens sünd’gem Leben,
Der dem Schächer du vergeben,
Lass auch Hoffnung mich umschweben!

Unwerth fühlt sich mein Gemüthe,
Betend, dass mich deine Güte
Vor dem ew’gen Feuer hüte.

Zu den Schafen mich geselle,
Fern mich von den Böcken stell,
Rechts an deines Thrones Schwelle!

Und wenn der Verdammten Schaaren
Zu der Hölle Gluthen fahren,
Wolle mich dein Ruf bewahren!

Staub zerknirschten Herzen wende
Ich zu dir mich, betend: Sende
Mir dereinst ein selig Ende!

Tag der Thränen, wird zum Leben
Einst der Mensch dem Staub entschweben
Und zu deinem Richtstuhl kommen:

Gnade, Gott, für deine Frommen!
Herr, mein Heiland, mache du
Theilhaft sie der ew’gen Ruh!

Quelle: Zeitschrift für die historische Theologie Zwölfter Band/ Neue Folge. Sechster Band. Leipzig 1843 Verlag von L. H. Bösenberg.

Schlegel, Friedrich – Dies Irae

Jenen Tag, den Tag des Zoren,
Geht die Welt in Brand verloren,
Wie Propheten hoch beschworen.

Welch ein Grau’n wird sein und Zagen,
Wenn der Richter kommt, mit Fragen
Streng zu prüfen alle Klagen.

Die Posaun‘ im Wundertone,
Wo auch wer im Grabe wohne,
Rufet Alle her zum Throne.

Tod, Natur mit Staunen sehen
Dann die Creatur erstehen,
Zur Verantwortung zu gehen.

Und ein Buch soll sich entfalten,
So das Ganze wird enthalten,
Ob der Welt Gericht zu halten.

Wenn der Richter also richtet,
Wird, was heimlich war, berichtet,
Ungerochen nichts geschlichtet.

Ach, was werd‘ ich Armer sagen?
Wer beschirmt mich vor den Klagen,
Da Gerechte selber zagen?

König, furchtbar hoch erhaben,
Frei sind deiner Gnade Gaben;
woll‘ auch mich mit ihnen laben!

Milder Jesu, woll‘ erwägen,
Dass du kamest meinetwegen,
Um mein Heil alsdann zu heben!

Ich war Ziel ja deines Strebens,
Kreuzestod, der Preis des Lebens;
So viel Müh‘ sei nicht vergebens.

Richter der gerechten Rache,
Nachsicht üb‘ in meiner Sache,
Eh‘ zum letzten ich erwache.

Reuig muss ich Angst erdulden,
Tief erröthend vor den Schulden:
Sieh‘ mich Fleh’nden, Gott, mit Hulden!

Du, der lossprach einst Marien
Und dem Schächer selbst verziehen,
Hast mir Hoffnung auch verliehen.

Mein Gebet gilt nicht so theuer,
Aber lass mich, o du Treuer,
Nicht vergeh’n im ew’gen Feuer.

Zu den Schafen lass mich kommen,
Fern den Böcken, angenommen
Dir zur Rechten bei den Frommen.

Wenn Verworf’nen ohne Schonung
Flammenpein wird zur Belohnung,
Ruf‘ mich in des Segens Wohnung.

Herz, zerknirscht im tiefsten Grunde,
Bete, dass ich noch gesunde,
Sorge für die letzte Stunde.

Lecke, Robert – Dies irae

1. Jener Tag, dem Zorn zu eigen,
Wird die Welt in Flammen beugen,
Wie Sybill‘ und David zeugen.

2. Welch‘ ein Schrecken wird da werden,
Wann der Richter kommt auf Erden,
Unerbittlich an Gebärden?

3. Weltposaunen werden tönen,
Daß die fernsten Gräber dröhnen,
Hin zum Richtstuhl alle stöhnen.

4. Die Natur, der Tod wird beben,
Wenn Geschöpfe sich erheben,
Und dem Richter Antwort geben.

5. Und ein Buch wird aufgeschlagen,
D’rin ist alle Schuld getragen,
Die uns wird vor Gott verklagen.

6. Dann wird Recht von Dem gesprochen,
Der weiß, was wir einst verbrochen,
Keine Schuld bleibt ungerochen.

7. Weh! was soll ich Aermster sagen,
Welchen Schutzherrn wohl erfragen,
Wenn Gerechte selbst verzagen?

8. König, furchtbar hoch an Würde,
Aller Frommen Hirt und Hürde,
Nimm von mir der Sünden Bürde.

9. Frommer Jesus, woll‘ erwägen,
Daß du kamest meinetwegen:
Führ‘ mich einst dem Heil entgegen.

10. Für mich trug’st du alle Plagen,
Ließ’st für mich an’s Kreuz dich schlagen,
Hab‘ es nicht umsonst getragen.

11. Richter der gerechten Rache,
Uebe Gnad‘ in meiner Sache,
Eh‘ der Tag des Rechts erwache.

12. Muß mich seufzend schuldig nennen,
Schaamroth meine Wangen brennen,
Flehend, Herr, mein Fehl bekennen.

13. Hast Marien Trost gewähret,
Und den Schächer einst erhöret,
Mir auch Hoffnung nicht verwehret.

14. Würdig bin ich nicht zu flehen,
Doch laß‘ deine Gnad‘ mich sehen,
Ew‘gem Feuer mich entgehen.

15. Woll‘ mich zu den Schafen wählen,
Zu den Böcken mich nicht zählen,
Laß zur Rechten mich nicht fehlen.

16. Von den Sündern, den Verlornen,
Und zur Flammenpein Gebornen,
Ruf‘ mich zu den Auserkornen.

17. Traurig fleh‘ ich und zerschlagen,
Kummer will mein Herz zernagen:
Für mein End‘ woll‘ Sorge tragen.

18. Tag der Rache, Tag der Wehen,
Wo die Sünder auferstehen,
Um in das Gericht zu gehen:
Gott, woll‘ gnädig sie ansehen!

Amen.