Matthias Claudius – Der Mensch

Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar
Kommt er und sieht und höret
Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Gelüstet und begehret,
Und bringt sein Tränlein dar;
Verachtet und verehret,
Hat Freude und Gefahr;
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
Hält nichts und alles wahr;
Erbauet und zerstöret
Und quält sich immerdar;
Schläft, wachet, wächst und zehret;
Trägt braun und graues Haar etc.
Und alles dieses währet,
Wenn’s hoch kommt, achtzig Jahr.
Dann legt er sich zu seinen Vätern nieder
Und er kommt nimmer wieder.

Matthias Claudius – Christiane

Es stand ein Sternlein am Himmel,
Ein Sternlein guter Art;
Das tat so lieblich scheinen,
So lieblich und so zart!

Ich wußte seine Stelle
Am Himmel, wo es stand;
Trat abends vor die Schwelle
Und suchte, bis ich’s fand.

Und blieb dann lange stehen,
Hatt‘ große Freud‘ in mir,
Das Sternlein anzusehen;
Und dankte Gott dafür.

Das Sternlein ist verschwunden;
Ich suche hin und her,
Wo ich es sonst gefunden,
Und find‘ es nun nicht mehr.

Matthias Claudius – Bei ihrem Grabe

Diese Leiche hüte Gott!
Wir vertrauen sie der Erde,
Daß sie hier von aller Not
Ruh‘ und wieder Erde werde.

Da liegt sie, die Augen zu
Unterm Kranz, im Sterbekleide! …
Lieg und schlaf in Frieden Du,
Unsre Lieb‘ und unsre Freude!

Gras und Blumen gehn herfür,
Alle Samenkörner treiben,
Treiben — und sie wird auch hier
In der Gruft nicht immer bleiben.

Ausgesät nur, ausgesät
Wurden alle die, die starben;
Wind- und Regenzeit vergeht,
Und es kommt ein Tag der Garben.

Alle Mängel abgetan
Wird sie denn in bessern Kränzen
Still einher gehn, und fortan
Unverweslich sein und glänzen.

 

Matthias Claudius – Osterlied

Das Grab ist leer, das Grab ist leer!
Erstanden ist der Held!
Das Leben ist des Todes Herr,
Gerettet ist die Welt!

Die Schriftgelehrten hatten’s Müh‘
Und wollten Weise sein;
Sie hüteten das Grab und sie
Versiegelten den Stein.

Doch ihre Weisheit, ihre List
Zu Spott und Schande ward;
Denn Gottes Weisheit höher ist
Und einer andern Art.

Sie kannten nicht den Weg, den Gott
In seinen Werken geht;
Und daß nach Marter und nach Tod
Das Leben aufersteht.

Gott gab der Welt, wie Moses lehrt,
Im Paradies sein Wort;
Und seitdem ging es ungestört
Im Stillen heimlich fort.

Bis daß die Zeit erfüllet war —
Die Himmel fei’rten schon —
Da kam’s zu Tage, da gebar
Die Jungfrau ihren Sohn.

Den Seligmacher Hoch und hehr
Und Gottes Wesens voll,
Ging er in Knechtsgestalt einher,
Tat Wunder und tat wohl.

Und ward verachtet und verkannt,
Gemartert und verklagt,
Und starb am Kreuz durch Menschenhand;
Wie er vorher gesagt.

Und ward begraben und beweint,
Als sei er tot, allein
Er lebt, nun Gott und Mensch vereint,
Und alle Macht ist sein.

Halleluja! das Grab ist leer!
Gerettet ist die Welt,
Das Leben ist des Todes Herr!
Erstanden ist der Held!

Claudius, Matthias – Die Sternseherin Lise

Ich sehe oft um Mitternacht,
wenn ich mein Werk getan
und niemand mehr im Hause wacht,
die Stern‘ am Himmel an.

Sie geh’n da, hin und her zerstreut,
als Lämmer auf der Flur;
in Rudeln auch, und aufgereiht
wie Perlen an der Schnur.

Und funkeln alle weit und breit,
und funkeln rein und schön;
ich seh‘ die große Herrlichkeit
und kann mich satt nicht sehn…

Dann saget, unterm Himmelszelt,
mein Herz mir in der Brust:
„Es gibt was Besser’s in der Welt
als all ihr Schmerz und Lust.“

Ich werf‘ mich auf mein Lager hin
und liege lange wach
und suche es in meinem Sinn
und sehne mich danach.

Der Weg zum Glück
Ein Hausbuch für die christliche Familie
von Pfarrer Gustav Hofelich
C. Rieger’sche Verlagsanstalt. Stuttgart – München

Matthias Claudius – Alle gute Gabe

Wir pflügen und wir streuen
den Samen auf das Land;
doch Wachstum und Gedeihen
steht nicht in unsrer Hand.

Alle gute Gabe
kommt oben her, von Gott,
vom schönen, blauen Himmel herab!

Der tut mit leisem Wehen
sich mild und heimlich auf
und träuft, wenn wir heimgehen,
Wuchs und Gedeihen d’rauf.

Er sendet Tau und Regen
und Sonn- und Mondenschein
der wickelt Gottes Segen
gar zart und künstlich ein.

Und bringt ihn dann behende
in unser Feld und Brot;
es geht durch unsre Hände,
kommt aber her von Gott.

Was nah ist und was ferne,
von Gott kommt alles her,
der Strohhalm und die Sterne,
der Sperling und das Meer.

Von ihm sind Büsch‘ und Blätter
und Korn und Obst von ihm,
von ihm mild Frühlingswetter
und Schnee und Ungestüm.

Er, er macht Sonnaufgehen,
er stellt des Mondes Lauf;
er läßt die Winde wehen
er tut den Himmel auf.

Er schenkt uns Vieh und Freude,
er macht uns frisch und rot;
er gibt den Kühen Weide
und unsern Kindern Brot.

Er gehet ungesehen
im Dorfe um und wacht,
und rührt, die herzlich flehen,
im Schlafe an bei Nacht.

Darum, so woll’n wir loben,
und loben immerdar
den großen Geber oben.
Er ist’s! Und er ist’s gar!
Alle gute Gabe
kommt oben her, von Gott,
vom schönen, blauen Himmel herab!

Ich habe Claudius‘ Lied schon lange in den Alten-Liedern – in einem Buch aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg fand ich die vorstehende Version.

Claudius, Matthias – Ein Lied

Ich bin vergnügt, im Siegeston
Verkünd es mein Gedicht,
Und mancher Mann mit seiner Kron
Und Szepter ist es nicht.
Und wär er’s auch; nun, immerhin!
Mag er’s! so ist er was ich bin.

Des Sultans Pracht, des Mogols Geld,
Des Glück, wie hieß er doch,
Der, als er Herr war von der Welt,
Zum Mond hinaufsah noch? –
Ich wünsche nichts von alledem,
Zu lächeln drob fällt mir bequem.

Zufrieden sein, das ist mein Spruch!
Was hülf mir Geld und Ehr?
Das, was ich hab, ist mir genug,
Wer klug ist wünscht nicht sehr;
Denn, was man wünschet, wenn man’s hat,
So ist man darum doch nicht satt.

Und Geld und Ehr ist obendrauf
Ein sehr zerbrechlich Glas.
Der Dinge wunderbarer Lauf
(Erfahrung lehret das)
Verändert wenig oft in viel,
Und setzt dem reichen Mann sein Ziel.

Recht tun, und edel sein und gut,
Ist mehr als Geld und Ehr;
Da hat man immer guten Mut
Und Freude um sich her,
Und man ist stolz, und mit sich eins,
Scheut kein Geschöpf und fürchtet keins.

Ich bin vergnügt, im Siegeston
Verkünd es mein Gedicht,
Und mancher Mann mit einer Kron
Und Szepter ist es nicht.
Und wär er’s auch; nun, immerhin!
Mag er’s! so ist er was ich bin.

Claudius, Matthias – Ein Lied um Regen

Der Erste

Regen, komm herab!
Unsre Saaten stehn und trauern,
Und die Blumen welken.

Der Zweite

Regen, komm herab!
Unsre Bäume stehn und trauern!
Und das Laub verdorret.

Der Erste

Und das Vieh im Felde schmachtet,
Und brüllt auf zum Himmel.

Der Zweite

Und der Wurm im Grase schmachtet,
Schmachtet und will sterben.

Beide

Laß doch nicht die Blumen welken!
Nicht das Laub verdorren!
Oh, laß doch den Wurm nicht sterben!
Regen, komm herab!

Claudius, Matthias – Mein Neujahrslied

Es war erst frühe Dämmerung
Mit leisem Tagverkünden,
Und nur noch eben hell genung
Sich durch den Wald zu finden.

Der Morgenstern stand linker Hand,
Ich aber gieng und dachte
Im Eichthal an mein Vaterland,
Dem er ein Neujahr brachte.

Auch dacht‘ ich weiter: „so, und so,
Das Jahr ist nun vergangen,
Und du siehst, noch gesund und froh,
Den schönen Stern dort prangen.

Der ihm dort so zu stehn gebot
Muß doch gern geben mögen!
Sein Stern, Sein Thal, Sein Morgenroth,
Rund um mich her Sein Segen!

Und bald wird Seine Sonne hier
Zum erstenmahl aufgehen!
Das Herz im Leibe brannte mir,
Ich mußte stille stehen,

Und wankte wie ein Mensch im Traum
Wenn ihn Gesichte drängen,
Umarmte einen Eichenbaum
Und blieb so an ihm hängen.

Auf einmahl hört ich’s wie Gesang,
Und glänzend stiegs hernieder
Und sprach, mit hellem hohen Klang,
Das Waldthal sprach es wieder:

Der alten Barden Vaterland!
Und auch der alten Treue!
Dich, freyes unbezwungnes Land!
Weiht Braga hier aufs Neue

Zur Ahnentugend wieder ein!
Und Friede deinen Hütten,
Und deinem Volke Fröhlichseyn,
Und alte deutschen Sitten!

Die Männer sollen, jung und alt!
Gut vaterländ’sch und tüchtig
Und bieder seyn und kühn und kalt,
Die Weiber keusch und züchtig!

Und deine Fürsten groß und gut!
Und groß und gut die Fürsten!
Die Deutschen lieben, und ihr Blut
Nicht saugen, nicht Blut dürsten!

Gut seyn! Gut seyn! ist viel gethan,
Erobern, ist nur wenig;
Der König sey der beßre Mann,
Sonst sey der beßre, König!

Dein Dichter soll nicht ewig Wein
Nicht ewig Amorn necken!
Die Barden müssen Männer seyn,
Und Weise seyn, nicht Gecken!

Ihr Kraftgesang soll Himmel an
Mit Ungestüm sich reissen! –
Und du, Wandsbecker Leyermann,
Sollst Freund und Vetter heissen!

 

Asmus omnia sua secum portans,
oder
sämtliche Werke
des
Wandsbecker Bothen,
I. und II. Theil.
Carlsruhe,
bey Christian Gottlieb Schmieder
1784.

Claudius, Matthias – Kriegslied

s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

2. Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

3. Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?

4. Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten uber mich?

5. Wenn Hunger, böse Seuch‘ und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammleten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?

6. Was hülf mir Kron‘ und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!