Claudius, Matthias – Anfang der „Wandsbecker Romanze“

Gesetzt, du wärst, dich zu erfreun,
Und ob des Leibes Stärke,
In Hamburg (Fleisch und Fisch und Wein
Sind hier sehr gut, das merke!)

Und hättest Wandsbeck Lust zu sehn,
Und bist nicht etwa Reiter;
So mußt du aus dem Thore gehn,
Und so allmählich weiter.

Zu Wagen kannst du freilich auch,
Das kann dir niemand wehren;
Doch mußt du erst nach altem Brauch
Des Fuhrmanns Meinung hören;

Und wenn der nichts dagegen hat,
So hab‘ ich nichts zu sagen.
Reit‘ oder geh‘, doch in der That
Am besten ist’s zu Wagen.

Nur siehe fleißig vor dich hin,
So wirst du schaun und sehen
Da einen Wald, wo mitten d’rin
Lang Thurm und Häuser stehen.

Ad vocem Thurm fällt mir gleich ein,
Daß einst im Pisa-Lande
Mit dreien Kindern, jung und fein!
Ein Mann von hohem Stande

Verriegelt worden jämmerlich;
’s ist schrecklich zu erzählen,
Wie da der Alte mußte sich,
Wie sich die Kinder quälen.

Wer nicht versteht Reim und Gedicht
Kann ihre Qual nicht sprechen;
Sie saßen da und hatten nicht
Zu beißen noch zu brechen,

Und hatten Hunger – ach, der Tod
War hier Geschenk und Gabe,
Drei Tage lang bat Gaddo Brod,
Dann starb der arme Knabe.

Um seine kleine Leiche her
Wankt Vater, wanken Brüder,
Und starben alle so wie er
Nur später – aber wieder

Zu kommen auf dem Thurm im Wald,
Den du thust schaun und sehen,
So merke nun auch wasgestalt
Mit dem die Sachen stehen.

Claudius, Matthias – Das Wandsbecker Liedchen

Weihet euch nicht Gram und Leide
Ueber die Gebühr!
Unterm Mond ist viele Freude
Und die meiste hier.

Hier wachsen Büsch‘ und Bäume
Und Blumen überall,
Hier träumt man goldne Träume
Zum Lied der Nachtigall.

Die alte Sitte waltet
An keinem Orte mehr.
Die Unschuld geht hier umher
Als ein fein Liebchen gestaltet.

Mit ihr macht bunte Reihe
Sir Amor klein und zart,
Und alte deutsche Treue
Mit einem langen Bart.

Auch liegt zu unserm Vergnügen
Die große Stadt uns vorm Gesicht,
Wir sehn sie an und lassen sie liegen
Und neiden sie nicht.

Und ehren unsre Eichen
Nach altem guten Brauch
Und freu’n uns in Gesträuchen
Und zwischen Aehren auch.

So lang bis nach vielen frohen Tagen
Der freundlich kömmt, der mit der Hippe haut.
Ihr Herren, hört’s und laßt euch sagen!
Und, Andres, aufgeschaut!

Gerhardt, Paul – Ich bin ein Gast auf Erden

  1. Ich bin ein Gast auf Erden
    Und hab’ hier keinen Stand;
    Der Himmel soll mir werden,
    Da ist mein Vaterland.
    Hier reis’ ich aus und abe;
    Dort in der ew’gen Ruh’
    Ist Gottes Gnadengabe,
    Die schleusst all’ Arbeit zu.
  2. Was ist mein ganzes Wesen
    Von meiner Jugend an
    Als Müh’ und Not gewesen?
    Solang ich denken kann,
    Hab’ ich so manchen Morgen,
    So manche liebe Nacht
    Mit Kummer und mit Sorgen
    Des Herzens zugebracht.
  3. Mich hat auf meinen Wegen,
    Manch harter Sturm erschreckt,
    Blitz, Donner, Wind und Regen
    Hat mir manch Angst erweckt,
    Verfolgung, Haß und Neiden,
    Ob ichs gleich nicht verschuldt,
    Hab ich doch müssen leiden
    Und tragen mit Geduld.
  4. So ging’s den lieben Alten,
    An deren Fuß und Pfad
    Wir uns noch täglich halten,
    Wenn’s fehlt an gutem Rat.
    Wie musste sich doch schmiegen
    Der Vater Abraham,
    Bevor ihm sein Vergnügen
    Und rechte Wohnstatt kam!
  5. Wie manche schwere Bürde
    Trug Isaak, sein Sohn!
    Und Jakob, dessen Würde
    Stieg bis zum Himmelsthron,
    Wie musste der sich plagen!
    In was für Weh und Schmerz,
    In was für Furcht und Zagen
    Sank oft sein armes Herz!
  6. Die frommen heilgen Seelen,
    Die gingen fort und fort
    Und änderten mit Quälen
    Den erstbewohnten Ort;
    Sie zogen hin und wieder,
    Ihr Kreuz war immer groß,
    Bis daß der Tod sie nieder
    Legt in des Grabes Schoß.
  7. Ich habe mich ergeben
    In gleiches Glück und Leid:
    Was will ich besser leben
    Als solche großen Leut?
    Es muß ja durchgedrungen,
    Es muß gelitten sein;
    Wer nicht hat wohlgerungen,
    Geht nicht zur Freud hinein.
  8. So will ich zwar nun treiben
    Mein Leben durch die Welt,
    Doch denk’ ich nicht zu bleiben
    In diesem fremden Zelt.
    Ich wandre meine Straßen,
    Die zu der Heimat führt,
    Da mich ohn’ alle Maßen
    Mein Vater trösten wird.
  9. Mein Heimat ist dort droben,
    Da aller Engel Schar
    Den großen Herrscher loben,
    Der alles ganz und gar
    In seinen Händen träget
    Und für und für erhält,
    Auch alles hebt und leget,
    Nach dems ihm wohl gefällt.
  10. Zu dem steht mein Verlangen,
    Da wollt ich gerne hin;
    Die Welt bin ich durchgangen,
    Daß ichs fast müde bin.
    Je länger ich hier walle,
    Je wen’ger find ich Lust,
    Die meinem Geist gefalle;
    Das meist ist Stank und Wust.
  11. Die Herberg’ ist zu böse,
    Der Trübsal ist zu viel.
    Ach komm, mein Gott, und löse
    Mein Herz, wenn dein Herz will!
    Komm, mach ein sel’ges Ende
    An meiner Wanderschaft,
    Und was mich kränkt, das wende
    Durch deinen Arm und Kraft!
  12. Wo ich bisher gesessen,
    Ist nicht mein rechtes Haus;
    Wann mein Ziel ausgemessen,
    So tret ich dann hinaus,
    Und was ich hier gebrauchet,
    Das leg ich alles ab;
    Und wenn ich ausgehauchet,
    So scharrt man mich ins Grab.
  13. Du aber, meine Freude,
    Du meines Lebens Licht,
    Du zeuchst mich, wenn ich scheide,
    Hin vor dein Angesicht,
    Ins Haus der ewgen Wonne,
    Da ich stets freudenvoll
    Gleich als die helle Sonne
    Nebst andern leuchten soll.
  14. Da will ich immer wohnen,
    Und nicht nur als ein Gast,
    Bei denen, die mit Kronen
    Du ausgeschmücket hast.
    Da will ich herrlich singen
    Von deinem grossen Tun
    Und frei von schnöden Dingen
    In meinem Erbteil ruhn.