Zinzendorf, Nikolaus von – Seufzer um Gnade.

Nach Gnade ist mir weh:
Ich weinte eine See,
Wenn ich Den nicht wüsste,
Der Sich für mich hingab,
Dass Er die Sünden büßte,
Unter’m Richterstab,
Und zuletzt herab
Bis zum Tod und Grab.

O mein Immanuel!
Erbarm‘ Dich meiner Seel‘:
Sie ist freilich blöde,
Und hat des kein Hehl,
Denn ach, ihr Ruhm ist schnöde,
Dass Du, mein HErr Christ,
Ihr Erlöser bist,
Und sie untreu ist.

Tät‘ ich das sonst Jemand,
Was Dir von mir bekannt,
Wer’s auch immer wäre:
Sein Eifer würd‘ entbrannt,
Ich fühlte seine Schwere;
Das ist’s, was mich nagt,
Wenn das Lamm Nichts sagt,
Und sich nicht beklagt.

Lasst alle Langmut gleich
Im ganzen Gnadenreich,
Bei den Nationen,
Ja unter Gottes Zeug,
In Einem Herzen wohnen,
Ach, ihr guten Leut‘,
Seine Lindigkeit
Übertrifft sie weit.

O der getreue Mann!
Er lässt mich nicht im Bann;
Er bedenkt’s in Liebe,
Dass ich Nichts selber kann,
Und doch gern bei Ihm bliebe:
Der für Feinde bat,
Und Sein Volk vertrat,
Weiß ja immer Rat.

Lieb‘ ist Sein Element,
Den man den Treuen nennt;
Ich bin eine Seele,
An die Er Alles wend’t;
Anstatt dass ich mich quäle,
Bleib‘ ich in der Ruh‘,
Und seh‘ Ihm nur zu,
Was Er Gutes tu‘.

Wer sollte nun von mir
Nicht lauter Gutes hier
In der Zeit erwarten?
Und was für Pracht und Zier
Von meines Herzens Garten?
Aber kümmerlich
Grünt es kaum für Dich;
Ach, wie schäm‘ ich mich!

Mit mir zufrieden sein,
Das ist unmöglich, nein!
Zu dem Vater sagen:
Die Seele hält sich fein;
Und wenn der Feind wird klagen,
Zeugen im Gericht,
Wie ich wandl‘ im Licht:
Ach, das kannst Du nicht!

Verklagt bin ich gewiss,
Und über das und dies,
Mehr noch als ich gläube:
Wie, trittst Du vor den Riss,
Und hilfst dem Glied am Leibe?
Gib mir von dem Thron,
Jesu, Gottes Sohn,
Absolution!

Nun, Jesu Jehova!
Ich stehe wirklich da,
Und besteh‘ in Schande,
Du Selber weißt es ja,
Mit meinem Zeugenstande:
Ich hab’s keinen Hehl;
Bin doch Deine Seel,
Mein Immanuel.

O mein Immanuel!
Gesegne meine Seel,
Salbe sie mit Gnade,
Und mit dem Freudenöl,
Sprich zu der armen Made:
„Deine Schmach ist mein,
Mein Verdienst ist dein,
Du sollst selig sein.“

Ich glaub’s: so tilge dann,
HErr Jesu! allen Bann;
Gib mir Heil und Friede;
Blick mich in Gnaden an,
Und werde mein nicht müde!
Amen, es sei wahr!
Er, der Alles gar,
Mach‘ mich, wie Er war!