Weil die Worte Wahrheit sind:
Daß man Nichts bei Gott gewinnt,
Nichts durch des Gesetzes Werke,
Nichts durch eig’ne Kraft und Stärke,
Nichts durch eigenen Verstand,
Nichts durch eine milde Hand;
Nichts durch eig’nes Heiligsein,
Wenn’s gleich mehr als Augenschein,
Wenn’s gleich Kraft und Wesen wäre;
Auch Nichts durch die reine Lehre:
Daß kein Tugendbild die Gnad‘
Näher, als ein Sünder, hat:
So ist’s billig, daß man auch
Jenen sonderbaren Brauch,
Der in heil’ger Schrift zu lesen,
Wohl bedenk‘ im tiefsten Wesen:
Niemand geht zum Himmel ein,
Als ein Kindlein, arm und klein!“
Es ist Einem wahrlich gut,
Wenn man Gottes Willen thut;
Und ein Leidens-Beispiel werden,
Das ist auch ein Glück auf Erden;
Wenn du aber müde bist,
Und dein Herz voll Wehmuth ist:
Dann ist ein ganz leichter Rath
Es bestärket ihn die That:
Man geht und fällt Ihm zu Füßen,
Und sagt Nichts von Thun noch Büßen,
Sondern spricht zum Menschensohn:
„Jesu! bin ich nicht Dein Lohn?
Hast Du etwa mich allein
Nicht erkauft, um Dein zu sein?
Da Dir Deine Müh‘ und Frohnen
Ein unzählbar Heer soll lohnen,
Würdest Du doch meiner froh,
Und ich Deiner ebenso!
Kommt mir etwa in den Sinn:
Ob ich auch in Gnaden bin?
So gedenk‘ ich an die Züge
Deines Vaters, seit der Wiege,
Und daneben denke ich:
Willst Du, Jesu! richte mich!“
Amen hat die Weise nicht, (Offb. 3,14.)
Daß Er sich so widerspricht;
Er, die Stirn voll Freudenöle,
Spricht: „Ich richte keine Seele!“.
Das muß, trotz dem Augenschein,
Eine ew’ge Wahrheit sein!
Aber wie kommt man dazu,
Daß man in der Gnade ruh‘?
Daß man nicht nur nicht verderbe,
Sondern auch den Segen erbe?
Das erfordert zweierlei:
Daß man arm und sündig sei.
Arm, das heißt: man siehet sich
Elend, blind und jämmerlich,
Und weiß nun an keiner Ecke,
Wie man seine Blöße decke;
Armuth stellt sich selber ein:
Doch man muß auch Sünder sein.
Liebe Seelen, sucht’s nicht weit!
Eure Kält‘ und Fremdigkeit
Gegen Jesum seit der Jugend
Macht den Strich durch eure Tugend!
Fühlt doch eure Dürftigkeit,
Und seht, daß ihr Sünder seid!
König Jesu! das ist wahr,
Alles das ist sonnenklar;
Eines fehlet Deiner Taube,
Nur das einzige Wörtlein: Glaube!
Ohne das kriegt Niemand Ruh,
Und wer theilt es aus, als Du?
Nun, ich weiß: mein arm Gebet
Wird vom Heiland nicht verschmäht.
Seine Armuth, seine Thränen
Helfen auch dem stillsten Sehnen.
Ich will kindlich weinen geh’n,
Bis mir ewig wohl gescheh’n.
(In Berlin 1738 seiner Mutter gedichtet.)
/aktualisiert am 20.3.2022/