Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von – An Weihnachten.

Blut und Wunden,
Haben uns mit Gott verbunden;
Denn Er ehrte unser Blut.
Er ließ sich damit vermählen,
Und sich zu den Menschen zählen;
Das macht unsern Schaden gut.

Wer erzittert,
Daß er seinen Gott erbittert,
Springe jetzt voll Freuden her,
und erseh in dieser Wiegen
Gott als armen Menschen liegen:
Seine Hand ist nicht zu schwer!

Diese Hände
Segnen aller Erden Ende;
Diese sind dieselbe Statt,
Wo Er aller Menschen Seelen,
Die Ihn zum Erlöser wählen,
Treulich aufgezeichnet hat.

Diese Augen
Müssen zur Gesundheit taugen;
Wem die Sünde weh gethan,
Sehe auf zu dieser Schlangen (Joh. 3, 15.)
Und, von Glauben und Verlangen,
Ihre holden Augen an!

Diese Ohren
Lassen sich für uns durchbohren
An des Vaters Gnadenthür,
und der König der Geschlechte
Wird dadurch zu einem Knechte,
In dem irdischen Revier.

Diesem Munde,
Welcher sonst zu aller Stunde
Seinen Vater für uns bat,
Schmecket jetzt, nach Menschenweise
Eine gar geringe Speise,
Weil er Durst und Hunger hat.

Dieser Odem,
Welcher dermaleinst den Todten
Lebensgeister geben kann,
Scheinet jetzund kaum zu wehen,
Und soll noch dazu vergehen,
Beim Beschluß der Lebensbahn.

Diesen Füßen,
Die sich kaum zu regen wissen,
Muß des alten Drachen Wuth
Erst noch in die Fersen stechen,
Bis sie sich vollkommen rächen,
An dem Kopf der Schlangenbrut.

Diese Thränen,
Welche sich nach Labung sehnen,
Werden für der Menschen Schuld
Sich noch öftermals ergießen
Und gleich einem Blutstrom fließen
Von der ewigen Geduld.

Dieser Rücken
Wird sich zu dem Kreuze bücken,
Wann die Leidenszeit regiert,
Und der Ruthen Schläg‘ empfinden,
Welche unsre Bosheit binden
Und ein Mordkind führen wird.

Aus der Seiten
Werden in den letzten Zeiten
Blut- und Wasserströme gehn,
Uns zu waschen und zu heilen,
Uns Erquickung mitzutheilen,
Die wir so verlassen stehn.

Dieses Herze
Reget sich mit Müh und Schmerze;
Und wie leis es jetzo schlägt.
So durchdringend wird es brechen,
Und die armen Herzen rächen,
Die der Seelenfeind erlegt.

Neugebornes
Und von Ewigkeit erkor’nes
Auserwähltes Gnadenkind!
Höre, wie die Menschenkinder,
Die entblößten armen Sünder,
Über Dich erfreuet sind!

Sie umfangen
Voller Liebe Deine Wangen,
Ja, sie küssen Deinen Mund;
Dein noch unverständlichs Lallen
Muß den Seelen süße schallen,
Die der Schlange Zahn verwundt.

Sie erheben
Dein kaum angegang’nes Leben
Sie sind voller Glaubenslust:
Daß Du in den Gnadenzeiten
Ihnen solch ein Heil bereiten
Und ein Kindlein werden mußt.

Herzensknabe!
Aller Erden Gut und Habe
Ist nur Unflath gegen Dich!
Du kannst uns mit wenig Blicken
Millionenmal erquicken;
Wirf auch einen Blick auf mich!

Laß bei Zeiten
Alle andre Eitelkeiten
Mir aus den Gedanken gehn!
Will sich fremde Lust erregen
Und zur Sünde mich bewegen:
Laß mich auf Dein Kripplein sehn,

Wo Du, König,
Dem die Erde unterthänig,
Und der Himmel eigen ist.
So gar elend, und auf Wegen,
Die kein Mensch betreten mögen,
Bei uns eingekehret bist!

Holde Hände!
Nehmt mich auf am letzten Ende;
Denn ich werde nach euch sehn,
Wenn ich als ein Kind gen Himmel
Aus dem Jammer und Getümmel
Dieser Erden werde gehn!

(1720.)