E. S. – Dies Irae

Tag des Zorns, der, zu vergelten,
Brennen wird zu Staub die Welten,
Wie Sibyll‘ und David melden.

Welches Zittern, Zagen, Weinen,
Wenn der Richter wird erscheinen,
Prüft das Mark in den Gebeinen.

Die Posaun‘ im Schreckenstone
Schallt durch Gräber jeder Zone,
Treibet Alle zu dem Throne.

Tod und Schöpfung staunend sehen
Alles aus den Gräbern gehen,
Um dem Richter Red‘ zu stehen!

Dieser wird das Buch entfalten,
Das zum Urtheil wird enthalten
Alles Thun und alles Walten.

Setzt der Richter sich zu richten,
Wird er das Verborgne lichten,
Alles, Alles strenge schlichten.

Was kann dann ich Armer sagen?
Wen um Schutz zu bitten wagen,
Wo Gerechte selbst verzagen?

König, furchtbar und erhaben!
Frei verschenkst du deine Gaben,
Lass daran auch mich Theil haben!

Güt’ger Jesus, deinen Erben,
Dem du wolltest leben, sterben,
Lass am Ende nicht verderben.

Mich zu suchen wollt’st du leben,
Dich für mich dem Tod hingeben,
Lass nicht fruchtlos sein dies Streben!

Drum so lass für meine Sünden,
Richter, deine Gnad‘ mich finden,
Eh‘ dein Zorn sich wird entzünden!

Schwer bin ich mit Schuld befangen,
Scham bedecket meine Wangen,
Gott, lass Gnade mich erlangen!

Du hast jenem Weib verziehen,
Hast dem Mörder Heil verliehen,
Lässt auch mir noch Hoffnung blühen.

Zwar auf mich darf ich nicht bauen,
Deiner Huld jedoch vertrauen,
Rett‘ mich vor der Hölle Grauen!

Fern von Böcken, fern von Schlechten,
Zu den Schafen, den Gerechten,
Stelle mich zu deiner Rechten!

Hast du, die im Fluche blieben,
Schambedeckt zur Höll‘ getrieben,
Rufe mich zu deinen Lieben!

Reuzerknirschten Herzens wende
Ich zu dir gefalt’ne Hände:
Nimm dich meiner an am Ende!

Trauertag voll Angst und Wehen,
So wir aus dem Staub erstehen,
Schuldbewusst den Richter sehen!

Jesus, lass nur Gnade gelten;
Führe Alle, Herr der Welten,
Ein zu deinen ew’gen Zelten!

Palmblätter, Würzburg, 1826