Gerhardt, Paul – Herr, du erforschest meinen Sinn

  1. HErr, du erforschest meinen Sinn
    und kennest, was ich hab und bin,
    Ja, was mir selbst verborgen ist,
    das weißt du, der du alles bist.
  2. Ich sitz hier oder stehe auf,
    ich lieg, ich geh auch oder lauf:
    So bist du um und neben mir,
    und ich bin allzeit hart bei dir.
  3. All die Gedanken meiner Seel,
    und was sich in der Herzenshöhl
    Hier reget, hast du schon betracht,
    eh ich einmal daran gedacht.
  4. Auf meiner Zungen ist kein Wort,
    das du nicht hörtest allsofort,
    Du schaffests, was ich red und tu,
    und siehst all meinem Leben zu.
  5. Das ist mir kund. Und bleibet doch
    mir solch Erkenntnis viel zu hoch,
    Es ist die Weisheit, die kein Mann
    recht aus dem Grunde wissen kann.
  6. Wo soll ich, der du alles weißt,
    mich wenden hin vor deiner Geist?
    Wo soll ich deinem Angesicht
    entgehen, daß mich sehe nicht?
  7. Führ ich gleich an des Himmels Dach,
    so bist du da, hältst Hut und Wach,
    Steig ich zur Höll und wollte mir
    da betten, find ich dich auch hier.
  8. Wollt ich der Morgenröten gleich
    geflügelt ziehn, so weit das Reich
    Der wilden Fluten netzt das Land,
    käm ich doch nie aus deiner Hand.
  9. Rief ich zu Hilf die finstre Nacht,
    hätt ich doch damit nichts verbracht;
    Denn laß die Nacht sein wie sie mag,
    so ist sie bei dir heller Tag.
  10. Dich blendt der dunkle Schatten nicht,
    die Finsternis ist dir ein Licht,
    Dein Augenglanz ist klar und rein,
    darf weder Sonn noch Mondenschein.
  11. Mein Eingeweid ist die bekannt,
    es liegt frei da in deiner Hand,
    Der du von Mutterleibe an
    mir lauter Lieb und Guts getan.
  12. Du bists, der Fleisch, Gebein und Haut
    so künstlich in mir aufgebaut;
    All deine Werk sind Wunder voll,
    und das weiß meine Seele wohl.
  13. Du sahest mich, da ich noch gar
    fast nichts und unbereiter war,
    Warst selbst mein Meister über mir
    und zogst mich aus der tief herfür.
  14. Auch meiner Tag und Jahre Zahl,
    Minuten, Stunden allzumal
    Hast du, als meiner Zeitenlauf,
    Vor meiner Zeit geschrieben auf.
  15. Wie köstlich, herrlich, süß und schön
    seh ich, mein GOtt, da vor mir stehn
    Dein weises Denken, was du denkst,
    wenn du uns deine Güter schenkst!
  16. Wie ist doch das so trefflich viel!
    Wenn ich bisweilen zählen will,
    So find ich da bei weitem mehr
    als Staub im Feld und Sand am Meer.
  17. Was macht denn nun die wüste Rott,
    die dich, o großer Wundergott,
    so schändlich lästert und mit Schwach
    Dir so viel Übels redet nach?
  18. Ach, stopfe ihren schnöden Mund!
    Steh auf und stürze sie zu Grund!
    Denn weil sie deine Feinde sind,
    bin ich auch ihnen herzlich Feind.
  19. Ob sie nun gleich hinwieder sehr
    mich hassen, tu ich doch nicht mehr,
    Als daß ich wider ihren Trutz
    mich leg in deinen Schoß und Schutz.
  20. Erforsch, HErr, all mein Herz und Mut,
    sieh, ob mein Weg sei recht und gut,
    Und führe mich bald himmelan
    den ewigen Weg, die Freudenbahn.

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