Unbekannt – Crux fidelis (Niedersächsischer Gesang aus dem 15. Jahrhundert)

Übersetzung ins Hochdeutsche durch Prof. J.G.L. Kosegarten, Greifswald

Verlasse du die Wollust der Welt
Und wende dich nunmehr zu Gott,
Habe den Leichtsinn der Welt in Haß,
Jesu Sitten lerne,
Der sich arm heute hat gezeigt,
Den Elenden zugefügt.

Passend eigne du dir an
Seine Sitten und Verfahren;
Aller Zwietracht Ursache ist
In den schlechtbeschaffenen Sitten;
Achte nicht den Reichthum der Welt,
Sondern sänftige deinen stolzen Muth.

Verlaß dich nicht auf deine Freunde,
Erhebe dich nicht in Vornehmheit!
Stets hüte dich vor der Sünde;
Mitleidig in Traurigkeit,
Betrachte Christi Tod!
Er machte dich zu seinem Genossen.

In der Zeit, die Gott gefiel,
Stieg der Sohn hernieder
Aus dem Schooße seines Vaters,
Schmiegte sich der Menschheit an;
Doch ist nichts von ihm vergeben,
Was er war, ist er geblieben.

Sterblich, leidend, hungerig, durstig,
Alles menschliche Elend
Hat er gelitten, heiß und frostig,
Ohne der Sünde Gebrechen.
So schaffend uns armen den Frieden,
Er, der niemals Sünde that.

Viele Propheten des alten Bundes
Hatten oft viel hievon geschrieben,
Wie wir möchten der Seligkeit genießen,
Wenn uns würde dieser Sohn gegeben,
Den uns eine Jungfrau sollte gebären
Und mit ihren Brüsten säugen.

Auch unter den Heiden lange zuvor
Prophezeiten heidnische Frauen,
Wie uns Christus würde geboren
Von Marien, der Jungfrau.
Die hat ihn geboren in Reinigkeit,
Ein Opfer für unsere Seligkeit.

Er ist geopfert zu zweien Malen;
Einmal in seiner Kindheit
In dem Tempel ohne Leiden
Von Marien in Frömmigkeit.
Darnach hat er schwer gelitten,
Die Weinkelter allein getreten.

An dem Kreuze sie den Herrn,
In sich treibend großen Sturm,
Hangend stumm in großen Qualen,
Gemishandelt wie ein Wurm,
Durchstochen Hände und Füße,
Die machen unsern Kummer süße.

Ganz zu Liebe seinen Lieben,
Mit Dorn ihm sein Haupt gekrönt,
Misgeachtet gleich den Dieben,
Vor der Welt ganz verhöhnet,
Bloß gestrecket seine Beine,
Aermer, elender nie gesehen.

O du würdiges, hohes Kreuz,
Ein edlerer Baum ist nie gehört,
In Blumen, Blättern, Früchten schön,
Kein Baum ward an Kraft dir gleich;
süße Näglein hast du getragen;
Durch sie sind uns unsre Sünden verziehen.

An dir hat Christus wieder gefunden,
Was uns Adam hatte verloren;
Die Kraft des Teufels ist gebunden,
Wohl uns, daß wir neu geboren,
Von den Teufeln sind befreiet,
In dem Kreuze ganz erneuet.

Beuge, Kreuz, nun deine Arme,
Sänftige deine Starrheit!
Des Leidenden dich erbarme,
Der an dir so schmerzlich ausgereckt steht,
Auf daß des Edelen Glieder
Sich mögen geben etwas zu Ruhe.

Des Vaters ewige Kräftigkeit
Des Sohnes Weisheit preiset sehr!
Des heiligen Geistes Gütigkeit
Und Liebe gütig uns bewiesen.
Ehre, Lob, Dank und Würdigkeit
Sei der heiligen Dreifaltigkeit. Amen.

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