Zinzendorf, Nikolaus von – Menschliche Gesellschaft.

Warum gehet ihr so gerne,
Menschen, in Gesellschaft ein?
Warum tretet ihr so ferne,
Wenn ihr solltet einsam sein?

Weil ihr, ferne von den Andern,
Schmalen Pfad betreten müsst,
Und ihr möchtet lieber wandern,
Wo der Weg am breitsten ist.

Darum wird ein Kind des Höchsten
Bei der Welt nicht auserwählt,
Und man stehet Gott am nächsten,
Wenn man wenig Freunde zählt.

Wenn sich Herzen innig lieben,
Ist oft Er der dritte Mann;
Aber Er wird bald vertrieben,
Wo man nicht recht lieben kann.

Heißet das schon Lieb‘ und Treue,
Wenn ich mich mit einem Freund
Über seine Freud‘ erfreue,
und mitweine, wenn er weint?

Tut das Herz mir gleich zerbrechen,
Wenn man ihm wo widerspricht?
Muss ich Ja zu Allem sprechen?
Nein, so liebt der Höchste nicht!

Lasset uns von Christo lernen,
Dass wir uns von jedem Geist
Weiter, als vom Feu’r, entfernen,
Der nur fromm mit Worten gleißt!

Unser allererstes Fragen
Muss an unsre Freunde sein:
Könnt ihr Leib und Seele wagen?
Sagt ihr redlich Ja und Nein?

Petrus wärmte seine Glieder,
Wo der Weltknecht Feuer schürt‘.
Wer erwärmt die Seele wieder,
Die vielleicht indes erfriert?

Ach, wir Armen! – seht, wir wärmen
Fleißig bei der Welt uns auch,
Doch sich um die Seele härmen
Ist ein seltner Christenbrauch.

O du armer Staub der Erden,
Warum sorgst du so für dich?
Einer muss verleugnet werden,
Es sei Jesus oder ich!

Wer sich zu erhalten meinet,
Der verlässt die Lebensbahn;
Wer als Christ ein Heide scheinet,
Ist ein halbbegrabner Mann.

Trifft die Heuchler in der Höllen
Pein und Qual vom andern Tod,
Die zu Satan sich gesellen,
Und bekennen unsern Gott:
Was wird die für Jammer schrecken,
Die das wahre Christentum
Unter einen Scheffel stecken,
Suchen in der Sünde Ruhm!

(1722.)