Zinzendorf, Nikolaus von – Vorbereitung auf des HErrn Tag.

Der Du die Menschen aus der Nacht
Zu Deinem Licht berufen,
Und bringest sie zu Deiner Pracht
Durch manche Grad‘ und Stufen:
Wir werfen uns allhier
Dir, treuem Herzen, für,
Dieweil wir auch von Deinem Schein
Zum Leben aufgewecket sein.

Darf unser Inn’res kühne sein,
Und Deinem Herzen sagen,
Was wir bisher für eine Pein
Mit uns umher getragen:
So klagen wir uns an
Als die da missgetan,
Als Seelen, die Dich angeblickt,
Dir aber langsam nachgerückt.

Wir wären gerne Deinem Sinn
Und Deinem Herzen näher;
Allein der Geist sinkt immer hin,
Das Fleisch wird immer zäher.
Wenn Deine Liebesglut
Nicht Wunder an uns tut,
So kommen wir in kurzer Zeit
Vom trägen Sinn zur Lauigkeit.

Erwecke die in uns von Dir
Selbst eingelegte Gabe,
Dass Deine Lehre volle Zier
Von unserm Wandel habe!
O dass uns Deine Treu‘
Stets scharf in Liebe sei,
Bis sich der ungewisse Pfad
In Felsengrund gelenket hat!

Du hast uns von der Welt befreit;
Das äußre Babel lieget;
Allein im innern Seelenstreit
Ist noch nicht ganz gesieget:
So lange Leib und Geist
Sich noch geteilt erweist,
Und liebet Etwas außer Dir,
So lange ist noch Babel hier.

Lamm! das überwunden hat,
Vollführe Deine Siege;
Gib in uns keinem Dinge Statt,
Das Dir entgegen liege!
Weil Du uns in Dein Bild
So gern gestalten willt,
So schaffe doch noch in der Zeit
Mehr sichtbarliche Ähnlichkeit.

Wir sagen uns aufs Neue los
Vom ganzen Sündenwesen;
Dir, der Du aus des Vaters Schoß
Zu uns gesandt gewesen,
Sei unser Herz geweiht
Mit voller Willigkeit,
Und Deine Liebe wolle nun
Ganz überschwänglich an uns tun!

Entbind‘ uns nur von alle Dem,
Was sich noch selber meinet,
Und was Dir irgend unbequem
Zu Deinem Dienst erscheinet!
Was Niemand böse glaubt,
Was Jedermann erlaubt,
Das werd‘ uns nimmermehr vergönnt,
Wenn’s nicht Dein Wort für gut erkennt!

Lass unser Herz und Sinn vor Dir
Sich oft im Geist verbinden,
Jetzt in verbundener Begier
Dein süßes Heil verkünden,
Und dann in Deinem Tod
Um fremd‘ und eigne Not
Mit schreiendem Gebet und Fleh’n
Stets zu den Gnadenbergen seh’n! (Ps. 121.)

Es werde das zu aller Zeit
Auch von uns selbst bewiesen,
Was wir von Dir mit Freudigkeit
Den Andern angepriesen.
So gehe Tat und Wort
Mit gleichen Schritten fort,
Damit uns jener große Tag
Erfreu’n und nicht beschämen mag!

Gelobt sei Deine Majestät
In ihrer Offenbarung,
Und mit dem treusten Dank erhöht
Für alle die Bewahrung,
Die Du von Jugend an
Bis heut‘ an uns getan,
Dass Deine väterliche Treu‘
An uns wohl angewendet sei.

Soll unser Wandel auf der Welt
Noch Jahr‘ und Tage währen,
So tu‘ an uns, wie Dir’s gefällt,
Die Schlacken zu verzehren;
Lass sie in Deiner Pein,
O HErr, vernichtet sein!
Von Außen gönn‘ uns, vor wie nach,
Des Kreuzesreiches schöne Schmach!

Erhalte doch die Herrlichkeit
Vom unbekannten Namen, (Jes. 62,2; Offb. 2,17.)
Die unsre Seelen hoch erfreut,
Dem auserwählten Samen,
Dass uns der große Tag
Versiegelt finden mag,
Bis Jesus zur Vergeltungszeit
Eröffnet alle Heimlichkeit!

(1726.)