Lisco, Friedrich Gustav – Dies Irae

Tag des Zorns, Tag zu vergelten!
Feuers Glut verzehrt die Welten,
Denn der Seher Wort muss gelten.

Welch Entsetzen bei der Kunde,
Dass der Richter naht zur Stunde,
Markdurchschneidend Schwert im Munde!

Mit Posaunen-Schreckenstönen,
Die durch alle Gräber dröhnen,
Ruf zum Thron Er Staubessöhnen.

Tod und Höll‘ und die Naturen
Sahn’s erstaunt, wie Kreaturen
Zum Gerichtsplatz aufwärts fuhren.

Und ein Buch wird hergetragen,
Gottes Recht liegt aufgeschlagen,
Richten soll’s ob Menschentagen.

Und der Richter ist zur Stelle,
Was verborgen, kommt an’s Helle,
Rache über Sündenfälle.

Find‘ ich, Sünder, wohl Entschuld’ung?
Wessen Fürsprach‘ schafft mir Duldung,
Da nicht reine ohn‘ Verschuldung?

Hehrer Herrscher! Dein Erbarmen
Hilft Hilflosen, auch mir Armen
Hilf mit mächt’gen Liebes-Armen!

Denke, Jesu, mein in Liebe,
Retter mein aus Liebestriebe,
Dass mein Tod dich nicht betrübe!

Gingst so treu, um mich zu suchen,
Liessest dir am Kreuze fluchen,
Nicht umsonst sei dein Besuchen!

Rechter Rache heil’ger Rächer!
Reiche mir den Gnadenbecher,
Eh‘ du richtest die Verbrecher!

Schamrot, reuvoll ob der Schulden,
Blick‘ ich auf zu deinen Hulden,
Woll’st mein Bitten huldvoll dulden!

Gnade gabst du einst Marien,
Hast dem Schächer selbst verziehen,
Mir auch Hoffnung so verliehen!

Wohl unwürdig, mein Gemüte,
ist dein Fleh’n, doch Herr, aus Güte
Mich vor ew’ger Flamm‘ behüte!

Wollst mich, Hirt, dein Schäflein nennen,
Dir zur Rechten Platz mir gönnen,
Ewig mich von Böcken trennen!

Schickst in grause feuerflammen,
Die du musst, o Herr, verdammen: –
Ruf‘ mit Frommen mich zusammen!

Herzzerknirscht zu Asch‘ und Staube,
Tiefgebeugt fleh‘ ich, und glaube,
Lass mich nicht dem Grab‘ zum Raube!

Tränenreichster aller Tage!
Wo aus Staub ersteht zur Plage,
Wer zu leicht auf Gottes Waage!
All‘ uns, Gott, in Gnaden trage!

Schenk‘ uns, Herr Gott, deine Ruh,
Ew’gen Frieden gib Jesu!