Albert Zeller – „Wer ist mein Bruder, meine Mutter, wer?“

„Wer ist mein Bruder, meine Mutter, wer?“
So sprach der Herr, als sie ihn rufen wollten;
Wie fällt dies Wort auf unsre Seele schwer,
Wenn wir bedenken, wie wir lieben sollten!

Wir fragen bange, soll denn unsre Hand
Die liebsten Bande wissentlich durchschneiden,
Und, was wir als das Eigenste erkannt,
Als Aller Gut zerstreun in alle Weiten?

Ist das der Rede schmerzensreicher Sinn,
Und gilt es nur Verleugnen und Entsagen,
Und unsres Herzens süßesten Gewinn
In tausend kleine Stücke zu zerschlagen?

Sieh, was der Herr auf Erden selbst getan,
Der Alle liebte, Allen kam zu helfen,
Dem Jeder sich vertrauend durfte nahn,
Erkor er sich nicht einen Kreis von Zwölfen?

Und als er saß am letzten Abendmahl,
Und gab sein Testament der Welt zum Segen,
Da ist von seiner ganzen Jüngerzahl
Der Eine nur an seiner Brust gelegen.

Und als er hing am Kreuz zu Spott und Hohn,
Und sich begann sein blutend Haupt zu neigen,
Da gab er seiner Mutter ihn zum Sohn,
Und seiner Mutter diesen Sohn zu eigen.

Albert Zeller – Ich habs gewagt und will es wagen,

Ich habs gewagt und will es wagen,
Ich hab gebaut auf Gottes Treu;
Was auch die Welt mag tun und sagen,
Ich werd es wagen stets aufs Neu;
Ich will aufs Unsichtbare schauen
Was sichtbar ist, das muss vergehn:
Ich will aufs Unsichtbare bauen,
Und meinen Heiland werd ich sehn.

Das Jenseits liegt in uns verborgen;
Er lebt in jedem Herzensschlag,
Im eignen Geiste glüht sein Morgen,
Im eignen Geiste strahlt sein Tag.
Wie in dem Himmel so auf Erden
Des Vaters Wille ja geschehn:
Wie soll dies Wort erfüllet werden,
Wenn wir nicht hier im Ewgen stehn?

Ja mitten in dem Strom der Zeiten
Stehn wir auf diesem Felsengrund!
Was suchen wir in allen Weiten,
Was uns verkündet jede Stund?
Solch himmlisch Maß von Licht und Gnaden
Schmückt unser armes Leben hier,
Und alle sind wir eingeladen
Und dennoch stehn und zaudern wir!

Es gehen frohe Lebensboten
Von einem zu dem andern Land;
Wir aber reden noch von Toten
In unsrem irdschen Unverstand,
Und fühlen nicht in Leid und Grämen,
Dass nur die Kette hier zerreißt,
Indes in ungemessnen Strömen
Ein Dasein in das andre fleußt.

Wie Mann und Weib in Eins verbunden
Nach Gottes Rat durchs Leben gehn,
So will der Mann der Opferwunden
Getreu bei der Gemeine stehn;
Er will sie nähren, zieren, pflegen,
Wie nur der Mann sein liebend Weib;
Er will als Haupt die Glieder regen,
Und sie bewahrn als seinen Leib.

Hat sich in einem seiner Worte
Der Herr zu größrer Lieb bekannt?
Geöffnet ist des Himmels Pforte
Und das Geheimnis klar genannt.
O benedeite Menschenseele,
Die dieses Rätsels Reichtum fasst,
Und, was es uns auch noch verhehle,
Trägt willig ihres Kreuzes Last!

Ein selig Band hält uns umschlungen,
Die wir noch hier im Zwielicht gehn,
Und die zum Schauen durchgedrungen
Vor Gottes Strahlenthrone stehn,
Bis wir im Glauben und Erkennen
Hinan zu Einer Kraft gediehn,
Und im geheimnisvollen Trennen
Die letzten Erdenwolken fliehn.

Albert Zeller – In mich hast deine Seele du gehaucht;

In mich hast deine Seele du gehaucht;
Sie hat mein tiefstes Sein durchdrungen;
Die Glut der ird‘schen Liebe ist verraucht,
Die ew‘ge hat in Himmel sich geschwungen.

Mir fehlt des Herzens süßer Doppelschlag,
Des Lebens wonnereich Begegnen;
Doch deiner Liebe Zauberkraft vermag,
Auch in dem Tod mich wunderbar zu segnen.

Seit ich dich Teure aus dem Aug verlor,
Ist mir ein neues Sehen aufgegangen:
Mit dir heb ich die Hand zu Gott empor,
Und dein Gebet wird mein Verlangen.

Ein einz‘ger Blick in deine Seligkeit
Nimmt mir vom Munde meine Klage;
Ein einzig Wort von dir ich bin befreit,
Und freudig schau ich in die trübsten Tage.

Ist es ein Jetzt, ist es ein selig Einst?
Ich weiß nur Eins, was mich auch fürder quäle,
Dass du mich stündlich mehr mit dir vereinst
Im Zwiegespräch mit meiner eignen Seele.

Ist nicht die Liebe stärker als der Tod,
Und leiht mir nicht die Sehnsucht Adlerflügel?
So schwing ich mich hinein ins Morgenrot
Des ewgen Lichts von deinem Grabeshügel.

Albert Zeller – Des Lebens Festmahl ist zu Ende

Des Lebens Festmahl ist zu Ende;
Die lieben Freunde sind zu Haus;
Ich gieße noch als heilge Spende
Die letzte Neige Weines aus.

Wie still und öd ists in dem Raume,
In dem erst Lieb und Lust gelebt!
Wie alles Das im schönsten Traume
An meinem Aug vorüber schwebt!

Wie flog der Geist von Mund zu Munde,
Von Herz zu Herz, von Blick zu Blick,
In unsrer frohen Tafelrunde,
Geliebt, gesegnet vom Geschick!

Des Alters Rat, der Jugend Rosen,
Des Mannes stillgehaltne Kraft,
Der Freundschaft und der Liebe Kosen,
Des Heilgen tiefe Wissenschaft

Wie schlangen sie sich leicht zusammen
Zu einem wundervollen Kranz!
Hoch loderten des Festes Flammen
Im reinsten, schönsten Himmelsglanz.

Weithin erglänzt in ihrem Strahle
Des Lebens frisch bewegtes Meer:
Von Hand zu Hand die Opferschale
Wie wär das Schwerste da noch schwer!

Verklungen sind die holden Worte,
Doch nicht des Herzens Wiederhall;
Geschlossen ist des Festes Pforte,
Und tiefes Schweigen überall.

Noch einen Blick auf all die Gaben,
Die mir der Freunde Hand beschert!
Die treuen Seelen, ach! was haben
Sie alles Liebes mir gewährt!

Tief sind, indes die Lust zerfließet,
Die Kerzen schon herabgebrannt;
Ich löschte sie, der Himmel gießet
Sein Sternenlicht auf alles Land.

Schlaft wohl ihr Lieben, schlaft in Frieden!
Träumt froh den Traum des Lebens aus!
Ein schönres Mahl wird uns beschieden
Dort in des ewgen Vaters Haus.

Albert Zeller – Den Pfad, den du so oft gezogen,

Den Pfad, den du so oft gezogen,
Den ich mit dir gewandelt bin,
Schon decken ihn des Kornes Wogen,
Und Blumen nicken drüber hin;
Nur an der dichtern Lebensfülle
Erkenn ich noch die liebe Spur;
Sonst birgt sie in der weiten Hülle
Die unermesslich reiche Flur.

So wie der Pfad verlor dein Leben
Sich in dem reichsten Segensmeer,
Und meine frohen Blicke schweben
Gleich Sonnenstrahlen drüber her:
Wie hat der Herr dein Sein gesegnet
Und deiner treuen Hände Saat!
Auf jedem Schritt und Tritt begegnet
Mir deine stille Liebestat.

Umflossen von des Höchsten Güte,
Umfangen wie vom Mutterarm,
Wie fühl ich ferner im Gemüte
Verlassen mich, verwaist und arm!
Kein Klagen rührt sich, kein Begehren;
Erfüllung strömet um mich her;
Ein licht- und gnadenvoll Gewähren,
Als ob ich mit vollendet wär!

Sollt ich auch hoffen und nicht schauen?
Das Schauen ist des Hoffens Kern,
Wenn auch dem hoffendsten Vertrauen
Der volle Aufgang ist noch fern.
Du bist bei Ihm, in seiner Nähe
Fühl ich die deine wunderbar;
Ich bin gehalten und ich sehe
Doch in der Liebe Tiefen klar.

Albert Zeller – Herr, wie du willst und meinest

Herr, wie du willst und meinest,
So tue du mit mir;
Wenn du nur stets vereinest
Mich inniger mit dir!
Du Atem alles Lebens,
Du Licht von jedem Schein,
Du Sehne alles Strebens,
Du Sein von allem Sein!

Ich lege meinen Willen
Getrost in deine Hand;
Was meinen Schmerz kann stillen,
Ist dir allein bekannt:
Du hast mich ja erschaffen,
Du kennst dies Herz von Staub;
Ein Nichts kann es entraffen,
Als wie ein welkes Laub.

Wie schneidet doch das Messer
Der Reinigung so scharf!
Doch du, Herr, weißt es besser,
Was Alles ich bedarf:
Du nimmst von deiner Rebe
Jedwedes eitle Reis,
Dass sie nur Früchte gebe
Zu deinem Lob und Preis.

Du weißt, die Rebe tränet;
Doch achtest du es nicht,
Wie auch das Herz sich sehnet,
Du hältst mit ihm Gericht:
Von aller Welt geschieden,
Von aller Lust und Last,
Find ich allein den Frieden,
Den du verheißen hast.

Die seligsten Gedanken
Bricht deine Hand entzwei,
Und macht von allen Schranken
Und Liebesfesseln frei;
Mein Meinen, Wünschen, Hoffen,
Und was mir ward zu Teil,
Hast du ins Herz getroffen
Mit deinem heilgen Pfeil.

Was nicht dein Königssiegel
An seiner Stirne trägt
Das wirfst du in den Tiegel,
Von Lieb und Zorn bewegt,
Dass es im neuen Feuer
Vermehre den Gehalt,
Und deinen Willen treuer
Verkünde die Gestalt.

So nimm denn, was ich habe,
Nimm, was ich war und bin,
Du meine einzge Labe,
Mein einziger Gewinn!
Nimm Vater mich und trage
Den staubgebornen Sohn:
Ich will nur dich und frage
Nach keinem andern Lohn.

Albert Zeller – Wer von den tiefsten Wunden

Wer von den tiefsten Wunden,
Die bis zum Herzen gehn,
Will wiederum gesunden,
Darf keine Freunde sehn,
Darf keine Silbe sprechen,
Wie ihn auch drängt sein Sinn:
Sonst strömt sein Blut in Bächen,
Sein Leben rasch dahin.
Ein Fremder mag sich nahen,
Da wallt sein Herz nicht auf;
Darf Gruß und Wort empfahen,
Und ruhig bleibt sein Lauf.
Er weiß, die Liebsten teilen
Still und gefasst sein Leid
Das lässt die Wunden heilen
In einer kürzern Zeit;
Und was er hat empfunden,
In allem Leid und Graus,
Das spricht in guten Stunden
Er laut und dankbar aus.

Albert Zeller – Liebe höret nimmer auf

Liebe höret nimmer auf,
Fort und fort zu sorgen;
Sorgen ist ihr Lebenslauf
Heute so wie morgen.

Wie es wohl den Lieben geht
In der weiten Ferne?
Alle Wolken fraget sie,
Sonne, Mond und Sterne.

Wie ihr Leben Sorgen ist,
Ist es auch Vertrauen;
Denn sie liebt es immerdar,
Auf den Herrn zu schauen.

Der ein Herz zu lieben gab,
Muss gewisslich lieben,
Und er sorget fort und fort,
Hüben so wie drüben.

Darum fürcht und hoffe nur,
Aber mit Vertrauen!
Hoffen, Glauben wandelt sich
Leise dann in Schauen.

Albert Zeller – Du lieber freundlicher Geselle,

Du lieber freundlicher Geselle,
Du süßes, trautes Herzeleid!
Nun sind wir an der rechten Stelle
In dieser grünen Einsamkeit;
Im Schatten himmelhoher Buden
Ruhn wir auf frischem Waldesmoos;
Der Sonne heiße Strahlen suchen
Umsonst des Waldes stillsten Schoß.

Hier sind wir endlich ohne Zeugen
Und mit einander ganz allein;
Die dicht belaubten Äste beugen
Sich liebend über uns herein.
Wie mir nach dieser Freundesstunde
Die Brust in tiefer Sehnsucht schwoll!
Nun brennt sie nicht die heiße Wunde,
Und mir ist still und innig wohl.

Du gibst mir treu und ungesehen
Auf allen Wegen das Geleit;
Doch durften wir uns nur verstehen
In kurzem heimlichem Bescheid.
Was ich gelitten und getragen,
Was ich geduldet und geliebt,
Jetzt kann ich Alles, Alles sagen,
Wo sich das Herz dem Herzen gibt.

Nur Einer hört uns und der Eine
Stört unsre reine Freude nicht!
Er selber rief uns zum Vereine
Vor seinem heilgen Angesicht;
Es geht sein hoher Liebessegen
In sanftem Rauschen durch den Wald,
Und ruft vernehmlich uns entgegen:
Seid nur getrost, ich komme bald!

Schon will die Sonne sich verneigen;
In Duft und Schimmer schwimmt das Tal;
Die Stämme leuchten, auf den Zweigen
Schwebt glühend noch der Abschiedsstrahl;
Wir müssen auch von hinnen geben,
Das ist der alte herbe Schluss;
leb wohl, mein Freund, auf Wiedersehen!
Noch einen letzten Liebeskuss!

Fest tret ich wieder auf die Erde:
Die Last ward mir so süß und leicht;
Ich zieh mit fröhlicher Gebärde,
Und Niemand ahnet, was mir däucht:
Du bleibst bei mir an allen Enden,
Geleitest mich zu meiner Ruh,
Und drückst mir einst mit treuen Händen
Zum letzten Schlaf die Augen zu.

Albert Zeller – Nicht Einer hat sich sein erbarmt

Nicht Einer hat sich sein erbarmt
In acht und dreißig langen Jahren:
So schrecklich lag er da verarmt
Inmitten vieler hundert Scharen.
So oft der Engel niederstieg,
Den Teich des Heiles zu bewegen:
Für ihn allein, den Ärmsten, schwieg
Der immer neue Gottessegen.

Sie alle gingen ihm voran,
Entstiegen heil dem Gnadenbade;
Was hat vor Allen er getan,
Dass ihn solch Los traf, ihn gerade?
Nicht Einer hat die Hand bewegt
Von den Geheilten, den Gesunden,
Ihn in die Gnadenflut gelegt
Mit seinen tiefen Schmerzenswunden!

Und neidlos, stille lag er da,
Zerdrückt im Auge seine Tränen;
Wie weh ihm stets aufs Neu geschah,
Er harrt in Hoffen und in Sehnen.
Da kommt der Herr so mild und groß,
Ein Blick, Ein Wort macht ihn genesen:
Er geht dahin, von Sünde los,
Viel stärker als er je gewesen!

Du armes Herz, das ungesehn
Verblutet still an seiner Wunde,
Von dessen stummem Hilfeflehn
Kein sterblich Aug und Ohr nimmt Kunde:
Harr aus in Glauben und Geduld!
Auch deine Stunde wird noch schlagen;
Dann wird der Herr mit Vaterhuld
Zum Quell des Heiles selbst dich tragen!

Was dir im Leben angetan,
Es wird sich schnell und milde lösen;
Frei schaust du wieder himmelan
Von allem Übel, allem Bösen;
Was Fleisch und Blut dagegen spricht,
Was du geduldet und gelitten,
Um alle Schätze gibst du nicht,
Was du im tiefsten Schmerz erstritten!