Gerhard Tersteegen – O Gott, o Geist, o Licht des Lebens,

1. O Gott, o Geist, o Licht des Lebens,
Das uns im Todesschatten scheint,
Du scheinst und lockst so lang vergebens,
Weil Finsterniß dem Lichte feind!
O Geist, dem keiner kann entgehen,
Ich laß dir gern den Jammer sehen.

2. Entdecke alles, und verzehre,
Was nicht in deinem Lichte rein,
Wenn mirs gleich noch so schmerzlich wäre;
Die Wonne folget nach der Pein:
Du wirst mich aus dem finstern Alten
In Jesu Klarheit vergestalten.

3. Mein’m Sündengift ist nicht zu steuren;
Durchsalbe du mich, dann geschichts:
Du muß von Grund auf mich erneuren,
Sonst hilft mein eignes Trachten nichts:
O Geist! sey meines Geistes Leben;
Ich kann mir selbst kein Gutes geben.

4. Du Athem aus der ew’gen Stille
Durchwehe sanft der Seelen Grund;
Füll mich mit aller Gottesfülle;
Und da, wo Sünd und Gräuel stund,
Laß Glaube, Lieb und Ehrfurcht grünen,
Im Geist und Wahrheit Gott zu dienen.

5. Mein Wirken, Wollen und Beginnen,
Sey kindlich-folgsam deinem Trieb;
Bewahr mein Herz, und alle Sinnen,
Untadelich in Gottes Lieb:
Dein in mir Beten, Lehren, Kämpfen,
Laß mich auf keine Weise dämpfen.

6. O Geist, o Strom, der uns vom Sohne
Eröffnet und Krystallen-rein,
Aus Gottes und des Lammes Throne,
Nun quillt in stille Herzen ein;
Ich öffne meinen Mund, und sinke,
Gib mir dies Wasser, daß ich trinke.

7. Es hilft kein Wollen, Laufen, Zwingen;
Ich halte mich nur eingekehrt,
Und lasse mich von dir durchdringen,
O Kraft, die mein Gemüth begehrt!
Doch, mein Begehren sinket nieder,
Und läßt sich dir zum Grunde wieder.

8. Ich laß mich dir, und bleib indessen,
Von allem abgespehnt, dir nah;
Ich will’s Geschöpf, und mich vergessen,
Dies innigst glauben: Gott ist da!.
O Gott: o Geist, o Licht des Lebens,
Man harret deiner nie vergebens.

Quelle: Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen.
Dreizehnte Original-Auflage
Elberfeld 1826
bei Wilhelm Hassel

Komplettierte Fassung dieses Liedes

Gerhard Tersteegen – Wie bist du mir so innig gut

1. Wie bist du mir so innig gut!
Mein Hohepriester du!
Wir theur und kräftig ist dein Blut!
Es setzt mich stets zur Ruh.

2.) Wenn mein Gewissen zagen will
Vor meiner Sünden Schuld,
So macht dein Blut mich wieder still,
Setzt mich bei Gott in Huld.

3.) Es giebet dem bedrückten Sinn
Freimüthigkeit zu dir;
Daß ich in dir zufrieden bin,
Wie arm ich bin in mir.

4.) Hab ich gestrauchelt hie und da
Und will verzagen fast,
So spür ich dein Versöhnblut nah,
Das nimmt mir meine Last.

5.) Es sänftigt meinen tiefen Schmerz,
Durch seine Balsamskraft:
Es stillet mein gestörtes Herz,
Und neuen Glauben fasst.

6.) Da kriechet dann mein blöder Sinn
In deine Wunden ein;
Da ich dann ganz vertraulich bin:
Mein Gott! wie kann es seyn?

7.) Ich hab vergessen meine Sünd,
Als wär sie nie geschehn;
Du sprichst: Lieg still in mir, mein Kind!
Du mußt auf dich nicht sehn.

8.) Wie kann es sein? Ich sag es noch,
Herr! ist es auch Betrug?
Ich großer Sünder hab ja doch
Verdienet deinen Fluch.

9.) Nein, Jesu, du betriegest nicht,
Dein Geist mir Zeugnis gibt.
Dein Blut und Gnad und Fried verspricht,
Ich werd umsonst geliebt.

10.) Umsonst will ich auch lieben dich,
Mein Gott, mein Trost, mein Theil:
Ich will nicht denken mehr an mich;
In dir ist all mein Heil.

11.) Weg Sünde! bleib mir unbewußt:
Kommt dieses Blut ins Herz,
So stirbet alle Sündenlust,
Der Sinn geht himmelwärts.

12.) O nein, ich will und kann nicht mehr,
Mein Freund! betrüben dich:
Dein Herz verbindt mich allzusehr;
Ach bind mich ewiglich!

13.) Zieh mich in dein versöhnend Herz,
Mein Jesu, tief hinein.
Lass es, in aller Noth und Schmerz,
Mein Schloß und Zuflucht seyn.

10.) Kommt groß und kleine Sünder! doch,
Die ihr mühselig seid;
Dies liebend Herz steht offen noch,
Das euch von Sünd befreit.

Quelle: Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen.
Dreizehnte Original-Auflage
Elberfeld 1826
bei Wilhelm Hassel

Komplettierte Fassung von diesem Lied

Gerhard Tersteegen – Kommt, Kinder, laßt uns gehen

1. Kommt, Kinder, laßt uns gehen,
Der Abend kommt herbei;
Es ist gefährlich stehen
In dieser Wüstenei.
Kommt, stärket euren Mut,
Zur Ewigkeit zu wandern
Von einer Kraft zur andern;
Es ist das Ende gut.

2. Es soll uns nicht gereuen
Der schmale Pilgerpfad;
Wir kennen ja den Treuen,
Der uns gerufen hat.
Kommt, folgt und trauet dem;
Ein jeder sein Gesichte
Mit ganzer Wendung richte
Steif nach Jerusalem.

3. Der Ausgang der geschehen,
Ist uns fürwahr nicht leid;
Es soll noch besser gehen
Zur Abgeschiedenheit.
Nein, Kinder! seyd nicht bang,
Verachtet tausend Welten,
Ihr Locken und ihr Schelten,
Und geht nur euren Gang.

4. Geht der Natur entgegen,
So geht’s gerad und fein;
Die Fleisch und Sinnen pflegen,
Noch schlechte Pilger sein.
Verlaßt die Kreatur
Und was euch sonst will binden;
Laßt gar euch selbst dahinten,
Es geht durchs Sterben nur.

5. Man muß wie Pilger wandeln,
Frei, bloß und wahrlich leer;
Viel sammeln, halten, handeln
Macht unsern Gang nur schwer.
Wer will, der trag sich todt;
Wir reisen abgeschieden,
Mit wenigem zufrieden;
Wir brauchens nur zur Noth.

6. Schmückt euer Herz aufs beste,
Sonst weder Leib noch Haus;
Wir sind hier fremde Gäste
Und ziehen bald hinaus:
Gemach bringt Ungemach;
Ein Pilger muß sich schicken,
Sich dulden und sich bücken
Den kurzen Pilgertag.

7. Laßt uns nicht viel besehen
Das Kinderspiel am Weg:
Durch Säumen und durch Stehen,
Wird man verstrickt und träg;
Es geht uns all nicht an:
Nur fort, durch dick und dünne!
Kehrt ein die leichten Sinne,
Es ist so bald gethan.

8. Ist gleich der Weg was enge,
So einsam, krumm und schlecht.
Der Dornen in der Menge,
Und manches Kreuzchen trägt;
Es ist doch nur Ein Weg:
Laß seyn! wir gehen weiter,
Wir folgen unserm Leiter,
Und brechen durchs Gehäg.

9. Was wir hier hör’n und sehen,
Das hör‘ und seh’n wir kaum;
Wir lassen’s da, und gehen;
Es irret uns kein Traum:
Wir gehn ins Ew’ge ein;
Mit Gott muß unser Handel,
Im Himmel unser Wandel,
Und Herz, und alles, seyn.

10. Wir wandeln eingekehret,
Veracht’t und unbekannt;
Man siehet, kennt und höret
Uns kaum im fremden Land;
Und höret man uns singen,
Von unsern großen Dingen,
Die auf uns warten da.

11. Kommt, Kinder, laßt uns gehen,
Der Vater gehet mit;
Er selbst will bei uns stehen
In jedem sauren Tritt;
Er will uns machen Muth,
Mit süßen Sonnenblicken
Uns locken und erquicken;
Ach ja, wir haben’s gut!

12. Ein jeder munter eile,
Wir sind vom Ziel noch fern;
Schaut auf die Feuersäule,
Die Gegenwart des Herrn:
Das Aug nur eingekehrt,
Da uns die Liebe winket,
Und den, der folgt und sinket,
Den wahren Ausgang lehrt.

13. Des süßen Lammes Wesen,
Wird uns da eingedrückt;
Man kanns am Wandel lesen,
Wie kindlich, wie gebückt,
Wie sanft, gerad und still,
Die Lämmer vor sich sehen,
Und, ohne Forschen, gehen,
So, wie ihr Führer will.

14. Kommt, Kinder, laßt uns wandern,
Wir gehen Hand an Hand;
Eins freuet sich am andern
In diesem wilden Land.
Kommt, laßt uns kindlich seyn,
Uns auf dem Weg nicht streiten;
Die Engel uns begleiten
Als unsre Brüderlein.

15. Sollt wo ein Schwacher fallen,
So greif der Stärkre zu;
Man trag, man helfe allen,
Man pflanze Lieb und Ruh.
Kommt, bindet fester an;
Ein jeder sey der Kleinste,
Doch auch wohl gern der Reinste
Auf unsrer Liebesbahn.

16. Kommt, laßt uns munter wandern,
Der Weg kürzt immer ab;
Ein Tag, der folgt dem andern,
Bald fällt das Fleisch ins Grab.
Nur noch ein wenig Mut,
Nur noch ein wenig treuer,
Von allen Dingen freier,
Gewandt zum ew’gen Gut!

17. Es wird nicht lang mehr währen,
Halt’t noch ein wenig aus;
Es wird nicht lang mehr währen,
So kommen wir nach Haus;
Da wird man ewig ruhn,
Wenn wir, mit allen Frommen,
Daheim beim Vater kommen;
Wie wohl, wie wohl wird’s thun!

18. Drauf wollen wir’s denn wagen,
(Es ist wohl wagens werth,)
Und gründlich dem absagen,
Was aufhält und beschwert.
Welt, du bist uns zu klein;
Wir gehn durch Jesu Leiten
Hinein in Ewigkeiten:
Es soll nur Jesus seyn.

19. O Freund! den wir erlesen,
O allvergnügend Gut,
O ewig bleibend Wesen,
Wie reitzest du den Muth!
Wir freuen uns in dir,
Du, unsere Wonn und Leben,
Worin wir ewig schweben,
Du, unsre ganze Zier.

Quelle: Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen.
Dreijzehnte Original-Auflage
Elberfeld 1826
bei Wilhelm Hassel

Vervollständigung dieses Liedes

Tersteegen, Gerhard – Der Abend kommt, die Sonn‘ hat sich verdecket

1. Der Abend kommt, die Sonn‘ hat sich verdecket,
und alles sich zur Ruh und Stille strecket.
O meine Seel, merk auf, wo bleibest du?
In Gottes Schoß, sonst nirgend findst du Ruh.

2. Der Wandersmann legt sich ermüdet nieder,
das Vöglein fliegt zu seinem Neste wieder,
das Schäflein kehrt in seine Hürde ein:
laß mich in dich, mein Gott, gekehret sein.

3. Ach sammle selbst Begierden und Gedanken,
die noch so leicht aus Schwachheit von dir wanken;
mein Ruheplatz, mein Heimat, tu dich auf
daß ich in dich von allem andern lauf.

4. Recht väterlich hast du mich heut geleitet,
bewahrt, verschont, gestärket und geweidet.
Ich bin´s nicht wert, daß du so gut und treu;
mein Alles dir zum Dank ergeben sei.

5. Vergib es, Herr, wo ich mich heut verirret
und mich zuviel durch dies und das verwirret.
Es ist mir leid, es soll nicht mehr geschehn;
nimm mich nur ein, so werd ich fester stehn.

6. Da nun der Leib sein Tagewerk vollendet,
mein Geist sich auch zu seinem Werke wendet,
zu beten an, zu lieben inniglich,
im stillen Grund, mein Gott, zu schauen dich.

7. Die Dunkelheit ist da, und alles schweiget;
mein Geist vor dir, o Majestät, sich beuget.
Ins Heiligtum, ins Dunkle kehr ich ein;
Herr, rede du, laß mich ganz stille sein.

8. Mein Herz sich dir zum Abendopfer schenket,
mein Wille sich in dich gelassen senket.
Begierden, schweigt! Vernunft und Sinnen, still!
Mein müder Geist im Herren ruhen will.

9. Dem Leib wirst du bald seine Ruhe geben;
laß nicht den Geist zerstreut in Unruh schweben.
Mein treuer Hirt, führ mich in dich hinein;
in dir, mit dir kann ich vergnüget sein.

10. Im Finstern sei des Geistes Licht und Sonne,
im Kampf und Kreuz mein Beistand, Kraft und Wonne;
deck mich bei dir in deiner Hütte zu,
bis ich erreich die volle Sabbatruh.

Text: Gerhard Tersteegen 1729
Melodie: Guillaume Franc, 1542
Quelle: EKG Nr. 366

Tersteegen, Gerhard – Zwei Dinge sind mir immer klar

1.) Zwei Dinge sind mir immer klar
Prüf ich mein Tun und mein Gemüte
Und will gerecht ich sein und wahr:
Ich bin ein Sünder, Gott ist Güte.
Nur ihm, nicht mir gebühret Ruhm.
Das fühlen, das ist Christentum.

2.) Von eigenem Verdienste bloß
Und fern von eignem Licht und Leben,
Sag ich: Gott, deine Huld ist groß,
Du kannst und willst mir alles geben.
Mein Ruhm verschwinde ganz und gar,
Sei du in mir nur offenbar.

3.) Weg, weg mit aller Frömmigkeit,
Wobei man nur sich sieht und liebet.
Das ist der Tugend Lauterkeit,
Wenn man nur Gott die Ehre gibet.
Du führst die Demut wohl im Mund.
Doch wohnt sie auch im Herzensgrund?

4.) Man nennet sich oft arm und schwach,
Wer glaubt es aber wohl von Herzen?
Und glaubst du es, hält’s dich nicht wach
Vor Unruh und vor großen Schmerzen?
Der Demut bringt es keine Pein.
In Gott ist sie mit Frieden klein.

5.) Ein Tugendbild will ich wohl sein.
Doch nur, dass ich dir Gott, gefalle.
Vor Menschen such ich keinen Schein.
Willst du’s, vergessen mein nur alle!
Sei du nur, Gott, nur du geehrt:
Dann ist der Demut Wunsch gewährt.

6.) Führ‘ mich zu deiner Heiligkeit.
Doch soll’s die Eitelkeit nicht wissen.
Gib mir des Himmels Herrlichkeit,
Ich lege sie zu deinen Füßen.
Getrost, mein Gott, entsterb‘ ich mir.
Entzückt geb‘ ich, Gott, alles dir!

Tersteegen, Gerhard – Zu mir, zu mir, ruft Jesus noch

1.) Zu mir, zu mir, ruft Jesus noch.
Die Kindlein lasset kommen!
Hab ich aus Lieb zu ihnen doch
Die Kindheit angenommen.
Ja, wie ein arm elendes Kind,
Gebüßet und beweint die Sünd,
Der Kinder, die mich hören.

2.) Ich hab am Kreuz für sie mein Blut
Mit bittrem Schmerz vergossen,
Dadurch gelöscht der Hölle Glut,
Den Himmel aufgeschlossen.
Nun steh und ruf ich mit Begier:
‚Kommt, Kinder, kommet her zu mir,
ich will euch selig machen!‘

3.) Zu mir, zu mir, nicht zu der Welt
Und ihren Eitelkeiten,
Die auch euch Kindern sehr nachstellt
Und lockt auf allen Seiten.
Drum sieh dich vor, mein Kind, und tu
Vor ihr dein Aug und Herze zu,
Sie stürzt dich ins Verderben!

4.) Sie beut dir an Lust, Ehre, Pracht,
Freud, Schönheit, Ruh und Schätze.
Doch, wenn man’s alles wohl betracht’t,
So sind’s nur Strick und Netze,
Die Satan braucht, dadurch die Seel
Zu fangen und zu führ’n zur Höll
Auf ebnen, breiten Wegen.

5.) Die Welt gibt Wollust, die zerfließt
Im Blick, und dann folgt Pressen.
Wie bald ist eine Lust gebüßt,
Ein Leckerbisschen ‚gessen!
Und dafür muss die Seele dann
Auf ewig mit dem reichen Mann
Dort in der Flamme darben.

6.) Weltehre, Lieb, Lob, Gunst und Gnad
Ist kaum mit Müh zu kriegen,
Und wem sie’s heut gegeben hat,
Den lässt sie Morgen liegen
In Schmach, Verachtung, Spott und Kot.
Und hielt man’s gleich bis an den Tod,
Folgt dann doch ew’ge Schande.

7.) Ihr Prangen, Pracht und Herrlichkeit,
Ihr Säubern und ihr Zieren
Ihr Phantasie und Eitelkeit,
Zeit-, Müh- und Seelverlieren,
Die, wann der Leib im schwarzen Schoß
Der Erde liegt, muss nackt und bloß,
Mit Kot beschmutzt hinfahren.

8.) Ihr Scherzen, Lachen, Tanzen, Freud
Geht nimmer recht von Herzen
Und wird gar leicht verkehrt in Leid,
Bringt endlich ew’ge Schmerzen.
Dein Schönheit, die sie so hoch acht’t,
Liegt bald verwelket und veracht’t,
Dann hast du ausgedienet.

9.) Die Welt auch Ruhe dir anbeut,
Doch kann sie gar nichts geben
Als Unruh, Grämen, Müh und Streit,
Ein jammervolles Leben.
Und gibt sie Ruh, so ruhet man
Am Höllenrand, drein stürzt sie dann
Im Tod dich plötzlich nieder.

10.) Ihr Reichtum, Schätze, Geld und Gut –
Drum muss man von dem Morgen
Bis in die Nacht, ja bis in’n Tod
Stets laufen, wühlen, sorgen.
Hat man’s, gar leicht verliert man’s noch,
Verliert man’s nicht, so muss man’s doch
Im Tode all’s verlassen.

11.) Nun sieh, mein Kind, dies ist’s wie viel
Die Welt vermag zu geben.
Hüt dich vor ihrem Trauerspiel,
Es gilt dir Leib und Leben.
Merk doch aufs End, du musst davon!
Sonst wirst du einst vorm Richterthron
‚Geht weg von mir!‘ anhören.

12.) Nun ruf ich noch mit süßer Stimm:
‚Kommt her zu mir, ihr Kinder!‘
Steh still und es zu Herzen nimm,
Ich gebe dir nicht minder!
Denn des die Welt so rühmet sich,
Ist Schatten nur und wesentlich
Allein in mir zu finden.

13.) Die Lüste, die ich tropfweis gieß
Schon jetzt in keusche Herzen
Zart, kräftig, innig, übersüß,
Geist, Seel und Leib ergötzen.
Schmeckt hier so meine Freundlichkeit,
Was wird’s denn sein, in Ewigkeit
Aus Wollustströmen trinken!

14.) Bei mir ist Ehre unverrückt,
Ich liebe, die mich lieben,
Auch ew’ge Gnade man erblickt
Nach wenigem Betrüben.
Ich steh in Not und Tod dir bei,
Ich bleibe ewig dir getreu:
Das hat gar viel zu sagen.

15.) Ich will die Seel mit Heiligkeit
Und Tugendschmuck umhangen,
Drin sie auf’m Thron in Herrlichkeit
Als Königin wird prangen.
Der Leib auf der Posaunen Hall
Wird aufstehn glänzend wie Kristall,
Durch meinen Geist verkläret.

16.) Bei mir ist wahre Freud die Füll,
Die Welt noch Feind kann rühren.
Die macht im Kreuz und Leiden still,
Im Tod wohl jubilieren.
Flieh, eitle Schönheit, die nur Wust,
So werd ich ewig meine Lust
An deiner Schönheit haben!

17.) Ich bin dein’s Geistes Ruhestell‘,
Ich kann ihn nur vergnügen.
Es kann kein Sturmwind, Furcht noch Höll‘
Auf meinem Schoß ihn rügen.
Komm her zu mir, ich rufe noch,
Mein Kind, nimm auf mein sanftes Joch,
So wirst du Ruhe finden!

18.) Mein Reichtum ist beständig’s Gut,
Den ich umsonst will schenken,
Kein Rost, kein Dieb, kein Feu’r noch Flut
Kann solchen ewig kränken.
Ich hab‘ ein ganzes Himmelreich,
Viel‘ Königsschätze drin zugleich,
Die wirst du all‘ ererben.

19.) Sieh da, mein Kind, was Jesus sei,
Wo du nicht ganz ein Blinder.
Folg meiner Stimm‘, weil ich noch schrei:
‚Kommt her zu mir ihr Kinder!‘
Folgst du nun jetzt dem Rufen nach,
So sollst du auch an jenem Tag
‚Komm her zu mir!‘ dann hören.

20.) Wenn dann die Welt samt Lust und Pracht
Im Feuer wird vergehen,
Dann wirst du werden zu mir bracht
Und freudig mit mir gehen.
Zu meinem Reiche, da wirst du
Auf meinen Armen finden Ruh‘,
Und ich dich ewig herzen.

21.) In meiner Liebe, Furcht und Ehr‘
Die schönen Jugendjahren
Und zarte Blüt‘ der Kraft verzehr,
Lass Schein und Schatten fahren,
Kein’n Augenblick verschieb es nicht,
Eh dir der Lebensfaden bricht.
Gib mir, mein Kind, dein Herze!

22.) Der Frommen kleines Häufelein
Sei deine Lust auf Erden,
So wirst auch du ein Engelein
Mit ihnen nachmals werden.
Mein‘ Engel hier bewahren dich,
Mit welchen du wirst ewiglich
im Paradies spazieren.

Tersteegen, Gerhard – Wo bleibt die Pracht sonst grüner Bäume

1.) Wo bleibt die Pracht sonst grüner Bäume?
So mancher schönen Blume Zier?
Und wo im Tod der Narren Träume?
Wer will, such seinen Himmel hier.
Mein unverwelklich schöner Garten
Steht schon im blühn, kann ja warten.

2.) Merk, Seel‘, was nackte Bäume lehren,
Und jetzt im Herbst das kahle Feld.
Lass dich kein’n Schein noch Traum betören,
Gar nichts besteht in dieser Welt.
Such nackt ein ewig-himmlisch Leben,
Das Jesu Einfluss nur kann geben.

3.) Dir, Gott, sei Dank, dass wir gesehen
Dein anmutsvolles Frühlingslicht.
Dass du uns auch, zum Leibbestehen,
Gabst reichlich manche Sommerfrücht:
Jetzt fallen alle Blätter nieder,
Und geben dir ihr Schönes wieder.

4.) Mein’s Lebens eitle Frühlingsjahre,
Mein muntrer Sommer ist auch hin:
Ich weiß, ich fühle und erfahre,
Dass ich im Herbst mein’s Lebens bin.
Ich fall auch, wie die Blätter, nieder,
Und geb dir Kraft und Schönheit wieder.

5.) Du gabest meiner Gnadenjugend,
Mein’m Geistessommer, manche Kraft,
Ernst, Gaben, Schönheit, Licht und Tugend,
Worein sich Selbstheit leicht vergafft.
Mein Herbst dir nackt erwartend dienet,
Bis mein Gebeine wieder grünet.

6.) Gott gab’s, Gott nahm’s, ich will ihn ehren,
Du Gott bist nur beständig schön.
Mein g’nugsam’s Heil, mein ganz Begehren,
Mein Nichts, mein Staub, soll dich erhöhn.
Gibst du mir einst die Ehrenkrone,
Leg ich sie freudig dir zum Throne.

Tersteegen, Gerhard – Willkommen, verklärter Gottes Sohn

1.) Willkommen, verklärter Gottes Sohn,
Der im Triumph bist auferstanden!
Im Himmel schallt der Freudenton:
Es sind entzwei des Todes Banden!
Ich jauchze mit, dein Sieg erfreuet mich:
Mein Jesus lebt und herrschet ewiglich!

2.) Es betet dich der Himmel an,
Der Engel Scharen fallen nieder.
Die Jünger haben’s auch getan,
Ich ehre dich durch meine Lieder.
Du bist mein Gott, mein König nur allein,
Ich geb mich dir, mein ganzes Herz ist dein.

3.) Nun steht der andre Adam da,
In’s Paradies auf’s neu versetzet.
Die offne Pfort‘ im Geist ist nah.
Wer mit ihm stirbt, wird mit ergetzet.
Das Haupt ist durch und zieht die Glieder nach,
Durch Kreuz und Tod, zum sel’gen Ostertag.

4.) Das göttlich‘ Leben, das in mir
Und allen durch die Sünd‘ erstorben,
Nun grünet aus dem Tod herfür.
Mein Heiland hat’s so teu’r erworben.
Es leuchtet klar aus seinem Angesicht
Der Gottheit Bild, der Unschuld schönes Licht.

5.) Man kann aus deiner Gegenwart,
Erstandner Held, viel Wunder lesen:
Wie göttlich, herrlich, rein und zart,
Wie liebenswürdig ist dein Wesen!
O Jesu, schau, wie finster bin ich noch,
Verkläre mich nach deinem Bilde doch.

6.) Ich werfe, mit Maria, mich,
Mein Herr und Gott, zu deinen Füßen.
Und wenn ich dürfte, wollt ich dich,
Mit ihr, in Demut innigst küssen:
Sprich auch ein Wort mit Kraft in’s Herze mir,
So schau ich dich, so freu ich mich in dir.

7.) Verklärtes Haupt, nun lebest du.
Ach, lass mich, als dein Glied, auch leben.
Kannst du dem Elend sehen zu?
Willst du dein Kind nicht auch erheben
Aus Not und Tod, aus Sünd‘ und Eigenheit,
Zu leben dir in wahrer Heiligkeit?

8.) Du lebest fremde dieser Erd‘,
Im Paradies, in Gottes Frieden.
Gib, dass ich auch im Geiste werd‘
Also von allem abgeschieden.
Dem Eiteln tot, und dir im Geist gemein,
So leb in mir, o Lebensfürst, allein.

9.) Brich durch, er koste, was es will.
Was du nicht bist, lass in mir sterben,
Dass ich auch mög dies frohe Ziel,
Den Auferstehungsstand, ererben.
Ich kann ja nichts, ich lieg im Tod verhaft‘,
Wirk du in mir durch deines Lebens Kraft.

10.) Wirk du in mir, zieh himmelwärts
Begierden, Sinnen und Gedanken,
Dass, wo du bist, mein ganzes Herz
Von nun an leben mag ohn‘ Wanken:
Du bist nicht fern. Wer dich nur liebet rein,
Der kann im Geist bei dir im Himmel sein.

Tersteegen, Gerhard – Will er nach meinem Zustand fragen

1.) Will er nach meinem Zustand fragen,
Wie es mit mir beschaffen sei?
Ich muss gar heimlich etwas tragen,
Das ich scheu zu entdecken frei.
Doch ich mich nicht enthalten kann,
Etwas davon zu zeigen an.

2.) Ich seh in mir gar tief verborgen
Ein’n Abgrund von Melancholei,
Der ist, wann ich erwach am Morgen,
Als wenn er immer würde neu.
Drin bringt ich jetzt die Tage zu
Und finde nirgends Rast und Ruh.

3.) Dies macht ein unaussprechlich Sehnen,
Dass ich schier wünsche nichts zu sein,
Als länger mich in Schwermut grämen
Und heimlich leiden solche Pein.
Doch endlich wird der kalte Tod
Zerbrechen diese Zentnernot.

Antwort des Autors auf vorige Reime

1.) Du darfst dein Kreuz nicht heimlich tragen,
Du musst dein Herz entdecken frei
Und Gott und treuen Freunden sagen,
Wie es mit dir beschaffen sei!
Ein schwerer Mut wird öfters leicht,
Wenn man die Schwermut andern zeigt.

2.) Melancholie, so heißt der Jammer,
Wovon du mir ein Vers’chen schreibst,
Melancholie, die dunkle Kammer,
Worin du traurig hangen bleibst.
Vielleicht lockt aus dem Trauerhaus
Dich meine Poesie heraus.

3.) Man muss es immer recht entscheiden.
Natur ist noch kein Christentum,
Natur hat Freud, Natur hat Leiden,
Dies macht vor Gott nicht bös noch fromm.
Lass, wie es will, im Äußern gehn,
Du musst dich nach dem Grund ansehn!

4.) So bist du, wie du bist inwendig.
Was liebst du, was begehrest du?
Bei diesem Sinn bleib nur beständig,
Bei diesem Grunde bleib in Ruh!
Vernunft mag denken, was sie kann,
Denk nur: Was geht Vernunft mich an?

5.) Lass dich von Jesu blindlings führen,
Verleugne dich und liebe nur,
Hüt dich vor allem Spekulieren,
Ein Kindersinn trifft leicht die Spur.
Und wenn Vernunft dir Zweifel macht,
So gib nicht auf ihr Zweifeln acht!

6.) Sag, würd’st du weinen oder lachen,
Wenn dich ein Blindgeborner gleich
Wollt an der Sonne zweifeln machen?
So ist Vernunft an Gottes Reich.
Ei, saug die Brust und dich nur nähr
Und forsch nicht, wie die Milch kommt her!

7.) Du musst von Gott nichts Arges denken,
Er ist ganz Liebe, Güt und Treu,
Er hat nicht Lust, dass wir uns kränken
Durch Schwermut und ihm bleiben scheu.
Denk, Gott will in dein Herz hinein,
Drum muss es weit und offen sein!

8.) Gott ist ein wonnesames Wesen,
Ganz freundlich, stille, sanft und froh.
Soll deine Krankheit recht genesen,
So muss dein Grund auch werde so.
Ei, diene Gott mit Freuden doch,
Zeig, dass sein Dienst ein sanftes Joch!

9.) Mit vielem Forschen durchzudringen,
Bringt größern Schaden, als man glaubt,
Gott lässt sich mit Gewalt nicht zwingen,
Brich deinen Willen, nicht das Haupt.
Erwart nur in gelassnem Grund
Der ew’gen Weisheit Zeit und Stund!

10.) Viel besser ist ein Handgeschäfte,
Als traurig sein beim Müßiggang.
Erquicke dann und wann die Kräfte
Durch einen guten Lobgesang,
Vergiss dein Elend und dich freu
In Gottes Herrlichkeit und Treu!

11.) Nimm auf dies Kreuz und alle Leiden
Und trag es Jesu willig nach!
Es folgen wesentliche Freuden
Nach langem, bangem O und Ach.
Der Glaube muss durch Proben gehn
Und glauben lernen ohne Sehn.

12.) Wohl dem, der ganz in Gott kann sterben
Der Kreatur und Eigenheit!
Der wird ein göttlichs Leben erben,
Von Kummer, Angst und Weh befreit.
Es kann fürwahr nur dieser Tod
Zerbrechen deine Zentnernot.

Tersteegen, Gerhard – Wie gut ist’s

1. Wie gut ist’s, wenn man abgespänt
Von allem sich an Gott gewöhnt,
In ihm verborgen lebet!
Wie gut ist’s, wenn man ist erlöst,
Von Sünd‘ und Eigenheit entblößt
An Gott im Grunde klebet!

2. Wie gut ist’s, wenn man nichts lässt ein
In seines Herzens Kämmerlein,
Mit Gott lebt abgeschieden!
Wie gut ist’s, wenn man in der Tat
Gott selbst in sich gefunden hat
Und ist mit ihm zufrieden!

3. Wie gut ist’s, wenn nach Kinder Art
Man lebt in ’s Vaters Gegenwart,
Tracht’t ihm nur zu gefallen!
Wie gut ist’s, wer in dieser Welt
In sanft‘ und stillem Geist sich hält,
Bleibt unverrückt in allen!

4. Wie gut ist’s, wenn man schweigen kann
Und so den Vater beten an
Im Geist und in der Wahrheit!
Wie gut ist’s, wenn das Auge ihn
Beschauet wie ein Cherubin,
Berührt von seiner Klarheit!

5. Wie gut ist’s, wenn der Eigenwill‘
Gebrochen und gelassen, still
In Gottes Händen lieget!
Wie gut ist’s, wenn der stolze Sinn
Vor Gottes Gegenwart sinkt hin
Und sich in Demut bieget!

6. Wie gut ist’s, sich und Kreatur
Verlieren und vergessen nur
Und was sonst könnte stören!
Wie gut ist’s, außer Ort und Zeit
In stiller, süßer Ewigkeit
In ’n Grund des Herzens kehren!

7. Wie gut ist’s, abgeschieden, frei
In dieser Geisteswüstenei
Auf Gottes Reden merken!
Wie gut ist’s, aller Sorgen los
Sanft wie ein Kind in seinem Schoß
Ausruhn von eignen Werken!

8. Wie gut ist’s, wenn der arme Geist,
Der weit und breit herum gereist,
Sein‘ rechte Heimat findet!
Wie gut ist’s, wenn er inniglich
In freier, reiner Liebe sich
Mit Gottes Geist verbindet!

9. O liebe, süße Ewigkeit,
Du Friedensreich, so weit und breit,
Wohl dem, der dich gefunden!
Mein Geist in deinem stillen Nun
Soll stetig im Verborgnen ruhn,
Bis meine Zeit verschwunden.