Tersteegen, Gerhard – O Gott, man kennet dich nicht recht

1.) O Gott, man kennet dich nicht recht,
Mein Schatz, man schätzet dich zu schlecht,
Man sucht dich nicht im Herzen.
Durch Selbsttun will man heilig sein,
Dir gibt man nicht die Ehr allein,
Wie, sollt‘ es mich nicht schmerzen!

2.) Solls, Liebster, mir erlaubet sein,
Dass ich’s einst andern mach gemein,
Wie nahe man dich finde,
Gib Worte dann voll Kraft und Lieb‘,
Viel Tausenden den Ruh’stand gib
Und sie mir dir verbinde!

3.) Du höchst vergnügend Wesen du,
Mein Seelenfreund und ein’ge Ruh,
Den ich in mir gefunden,
Wie bist du mir so innig nah!
Kehr ich hinein, so bist du da,
Du hältst mein Herz gebunden.

4.) Man schreib mir kein Gesetze für,
Dass ich mich kehren soll zu dir,
Ich kann es ja nicht lassen.
Die Liebeskräfte sind berührt,
Sie werden innig eingeführt
Und dich von selbst umfassen.

5.) Ein Etwas ist mir innig nah,
Ein unbekanntes Gut ist da,
Das meinen Geist erfüllet.
Ich darf und will’s nicht frei besehn,
Ich bleib in Liebesehrfrucht stehn
Bestürzt und doch gestillet.

6.) Dies Gut, das mich genommen ein,
Muss groß und allgenügsam sein,
Man kann’s nicht deutlich nennen.
Es ist was Göttliches mir nah,
Der Gottheit Gegenwart ist da,
Wer sollt dran zweifeln können?

7.) Die tiefe Veneration,
Die große Ruh, die sel’ge Wonn,
Das Beugen ohn‘ Aufhören.
Die geben, wo man geht und steht,
Den Eindruck einer Majestät,
Die Erd‘ und Himmel ehren.

8.) Ich bin im dunklen Heiligtum,
Ich bete an und bleibe stumm,
O ehrfruchtsvolles Schweigen!
Der beste Redner sagt mir’s nicht,
Was man hier ohne Reden spricht
Durch Lieben und durch Beugen.

9.) Hier ist die stille Ewigkeit,
Ein immerwährend‘ sel’ges Heut‘,
Dies Nun kann alles geben.
Die Zeit vergeht mir süß und sacht,
Ich möchte beten Tag und Nacht,
Bei Gott im Geiste leben.

10.) Mein Geist, dies arm‘ verirrte Kind,
Des Vaters Haus nun wieder find’t
Nach langem, bangem Fragen.
Ich bin zurecht, hier kehr ich ein,
Dies ist der Ort, hier muss ich sein.
Mein Gott, was soll ich sagen!

11.) Wie war dem Geiste doch zumut,
Da er sein langgesuchtes Gut
So nah im Herzen funde!
Nun hat er’s alles, was er will,
Umarmet, liebet und ist still
Bei seinem Gott im Grunde.

12.) O Schönheit, alt und neu genannt,
Ach, dass ich dich so spät erkannt,
Geliebet und erfahren!
Ich suchte draußen hier und da
Und wusste nicht, dass wir so nah
Im Geist beisammen waren.

13.) Der Seele Mittelpunkt und Grund
Wird mit Verwundrung bloß und kund
Der Gottheit Haus und Throne,
Denn Gott sich ewig diese Stadt
Geeignet und gefreiet hat,
Dass er allein drin wohne.

14.) Dass er mit seinem Glorieglanz
Erfülle, zier und sel’ge ganz
Den Geist und sich drin liebe.
Wer diesen Adel kennte recht,
Dem wär die ganze Welt zu schlecht,
In Gott er sich erhübe.

15.) Hier ist mein wahres Element,
Ein Friedensland, weit, ohne End,
Von Milch und Honig fließend.
Hier quillt im Grund ein Balsamfluss,
Durch alle Kräfte den Genuss
So sänftiglich ergießend.

16.) Ich werd‘ affenktenlos in mir,
Die Sinne und Gedanken hier
Sind lieblich, süß und stille,
Der Leib tut ruhig, was er macht,
Der Atem gebet immer sacht,
Wie schmeidig wird der Wille!

17.) Er schmilzt wie weiches Wachs dahin,
Weg ist der harte Eigensinn,
Hier gilt nur sanftes Wesen,
Die Adern sind von Friede voll.
Wo wie so ruhig, o wie wohl!
Man kann’s aus allem lesen.

18.) Er hat in seiner Macht mich hin
Nach seiner Lust, nach seinem Sinn.
Ich folge seinen Zügen.
Ich halte mich nicht länger fest.
Wer sich der Liebe überlässt,
Wird Liebe nicht betrügen.

19.) Das Wässerlein bleibt still und klar,
Ich werd kein Windchen mehr gewahr,
Was sonst turbieren sollte.
Mein Treiben ist zur Ruh‘ gebracht,
Es hält mich eine sanfte Macht,
Wo ich mich stören wollte.

20.) Die Seel‘ wird hier verändert sehr,
Sie kennet sich kaum selber mehr,
Sie ist als neu geboren.
Man übt die Tugend, eh man’s denkt,
Sie wird hier wesentlich geschenkt,
Natur scheint gar verloren.

21.) Sonst tat ich’s all’s mit Müh und Zwang,
Es war mir schwer, es fiel mir lang
Verleugnen, Leiden, Beten.
Wie leicht, wie lieblich ist mir’s nun!
Die Liebe kann es alles tun,
Was wir sonst nimmer täten.

22.) Wie grundeinfältig wird der Sinn!
Verstellung fället ganz dahin,
Die Unschuld wird gegeben,
Das süße Kinderäugelein
Sieht unverwandt auf Gott allein:
Du liebstes Kinderleben!

23.) Die Liebe führt mich zart und treu,
Kein Wort, kein Fehler geht vorbei,
Ihr Aug‘ prüft Herz und Nieren.
Sie führt ins Sterben ohne Gnad‘,
Sie zeiget’s, wo man Leben hat,
Man will’s auch gern quittieren.

24.) Es ist ein wunderbarer Stand,
Es fällt mir alles aus der Hand,
Ich kann an gar nichts denken.
Die Augen sinken sanfte zu,
Mein Geist in höchst vergnügter Ruh‘
Sich einwärts muss ersenken.

25.) Ich hab die Wahrheit sonst betracht’t,
Ich hab so vieles nachgedacht
Von Gott und seinem Wesen,
Ich übte mich, ich sahe an,
Was er gemacht, was er getan,
Ich hab gehört, gelesen.

26.) Mein weites Feld, das ich durchsucht,
Gab viele Müh‘ und wenig Frucht,
So kümmerlich zu leben.
Jetzt kommt mein Wirken nicht zupass,
Die Speis‘ wird mir ohn‘ Unterlass
Wie vorgekaut gegeben.

27.) Nun stehen meine Bücher da,
Was ich dort suchte, find ich nah,
Dort Bilder, hier das Wesen.
Oft ist mir eine Zeile g’nug,
Dann schließt der zarte Sinn das Buch
Und hat’s schon all‘ gelesen.

28.) Ich bet zwar stets doch ohne Mund,
Es macht der Friedenszug im Grund
Die müden Lippen schließen.
Auch weiß ich nichts zu beten mehr,
Ich hab’s erlangt, was ich begehr‘,
Mein Beten ist Genießen.

29.) Oft sprech und hör ich nur ein Wort
Und werd gesammelt allsofort,
Wie Manna schmeckt’s im Munde,
Ich tu es all‘ in einer Tat,
Drin ich verharre früh und spat,
Ich fei’re Gott im Grunde.

30.) Ein liebevolles, sanft Gemerk‘
Auf Gott in mir ist all‘ mein Werk,
Ihn leidend machen lassen.
O göttelicher Müßiggang,
Wovor man ohne Ursach‘ bang!
Vernunft kann’s nimmer fassen.

31.) Vernunft will immer wirken viel,
Was nutzt ihr magres Bilderspiel?
Gott gibt allein das Wesen.
Was nutzt’s, mit Sorgen wirksam sein?
Gott gibt’s den Seinen schlafend ein,
Was wir von Wundern lesen.

32.) Ich setz mich wie ein Kindlein still,
Das sonst nichts weiß, noch wissen will,
Zu meines Meisters Füßen,
Da ich aus seinem Munde hör‘
In einem Viertelstündchen mehr,
Als alle Bücher wissen.

33.) Ich forschte, dass ich Wahrheit fand,
Doch ward mir Wahrheit nie bekannt,
Ich blieb im Zweifel stecken.
In dieser Schule schauet man
Die Wahrheit als gefunden an,
Ein Blick kann sie entdecken.

34.) Man lockt mich in die Wüste ein,
Da Gott und ich nur sind allein,
Da Geist mit Geist umgehet.
O Einsamkeit, so weit, so weit
Von Kreatur und Ort und Zeit!
Das Liebste draußen stehet.

35.) Nur Gott und ich, sonst keiner mehr.
Ach, dass ich weit von Menschen wär!
Doch nein, ich bin schon einsam,
Ich hab auch unter Menschen Ruh‘,
Gott deckt im Schoß mich heimlich zu,
Wir sind im Geist gemeinsam.

36.) Ich bet daheim und auf der Straß,
Beim Werk und sonst ohn Unterlass
Im Geist und in der Wahrheit.
Ich bin gesammelt, eh ich’s denk,
Anbete, lieb und mich versenk‘
In Gottes dunkle Klarheit.

37.) Hier wird mich Welt und Feind gewahr,
Ich bin entwichen der Gefahr,
Mein Freund hat mich verborgen.
Was sonst zerstreuet meinen Sinn,
Mich alles jetzt zu ihm führt hin,
Er stillet meine Sorgen.

38.) Ich strenge nicht die Andacht an,
Ich hab’s mir selbst nicht angetan,
Kann mir’s auch jetzt nicht geben.
Gott tut es, wie und wann er will,
Ich bleibe willenlos und still
Und seinem Zug ergeben.

39.) Was eignes Wirken hat erweckt,
Nicht lange währt, nicht göttlich schmeckt,
Es lässt uns, wie wir waren.
Hier setzet mich Gott selbst in Ruh,
Ich stimme seinem Wirken zu
Und will nichts mehr erfahren.

40.) Ich such nicht dies noch jenes Licht,
Ich hab kein bildliches Gesicht,
Entzückung, hohe Gaben,
Mein Leib noch Haupt wird nicht gekränkt.
Ist hier Gefahr, wie mancher denkt?
Ich will nur Liebe haben.

41.) Ein tiefer Eindruck bleibt allzeit
Von Gottes wahrer Wesenheit,
Wie er das Gut der Güter,
Wie innig seine Gegenwart,
Wie er die Liebe rein und zart,
Der Ruhpunkt der Gemüter.

42.) Mein Gott, du bist, du bist allein,
Ach, Gott, du bist ein ander Sein,
Als Menschenkinder meinen!
Viel wird gedicht’t, viel wird gefragt,
Kurz, Gott ist Gott, ich hab’s gesagt,
Du selbst musst uns erscheinen.

43.) Ist dies nicht die Beschaulichkeit,
Der Friede, der so manchen Streit
Den lieben Deinen brachte?
Gib, Herr, dem Tadler diese Ruh
Zu schmecken und zu sehn dazu,
Was nie Vernunft gedachte!

44.) Schaut, müde Seelen, kommet her,
Dies ist ein Tröpflein aus dem Meer
Er ew’gen Gottheitsfülle!
Ihr werdet größ’re Dinge sehn,
Lasst alles nur um alles stehn,
Kehrt ein und werdet stille!

45.) Genug geredt von diesem Stand,
Am Schweigen werden sie erkannt,
Die Gott im Herzen tragen.
Beschauungsstand, du bist gar rein,
Doch wesentlich vereinigt sein,
Will weit ein Mehrer’s sagen.

46.) Davon schweigt meine Zunge still,
Erfahr es selbst, wer’s wissen will,
Ich such nichts mehr auf Erden.
Nur wird dies nicht in uns vollbracht,
Die lange dunkle Leidensnacht
Muss erst durchwandert werden.

Tersteegen, Gerhard – Noch dennoch will ich lieben dich

1. Noch dennoch will ich lieben dich,
Du liebenswürdig’s Wesen,
Du bist und bleibst es ewiglich,
Den ich zum Schatz erlesen.
Lässt du mich gleich in Dürre stehn,
Kann ich dein Angesicht nicht sehn,
Noch dennoch will ich lieben.

2. Noch dennoch will ich lieben dich
Und meinen recht von Herzen,
Zwar steh ich jetzt so jämmerlich
Entblößt in innern Schmerzen;
Du bist und bleibst die Liebe doch,
Drum will ich auch dich lieben noch
In allen dunklen Wegen.

3.Noch dennoch will ich sünd’gen nicht,
Wie sehr die Sünden wüten;
Ob mir gleich Gnad‘ und Kraft gebricht,
Du kannst mich doch behüten.
Zwar will der Feind mich wickeln ein,
Doch sagt mein tiefster Wille: nein!
Und will sich doch nicht geben.

4. Noch dennoch will ich nimmermehr
Zur Kreatur mich kehren
Und, fiel es mir auch noch so schwer,
Nicht fremden Trost begehren.
Dies ist mein Wille, wie du weißt,
Doch wo du mir nicht Hilfe leist‘,
Kann ich ihn ja nicht halten.

5. Noch dennoch will ich dienen dir,
Soviel ich kann in allen,
Noch dennoch will ich für und für
Dir trachten zu gefallen;
Ich suche nicht, was mich ergötzt,
Werd‘ ich geheiligt nur zuletzt,
So acht‘ ich keine Leiden.

6. Noch dennoch will ich ehren dich
In allen meinen Nöten,
Die Himmelsscharen beugen sich
Und auch dich jetzt anbeten;
Dies freuet mich zu aller Stund‘,
Dies gönn‘ ich dir von Herzensgrund,
Mein Gott, ich Wurm der Erden.

7. Noch dennoch hoff‘ ich stets auf dich,
Wenn du gleich töten wolltest
Und hier in diesem Leben mich
Auch nimmer trösten solltest;
Mach mich durchs Leiden nur bereit,
Dass ich dich kann in Ewigkeit
Beschauen, lieben, loben!

8. Noch dennoch will ich meine Seel‘
Dir ewig überlassen,
Dein Wohlgefallen ich nur wähl‘,
Dich will ich machen lassen;
Tu mit mir alles, was du willt!
Mein Herzenswunsch ist g’nug gestillt,
Wenn du nur wirst verkläret.

9. Du bist und bleibst das höchste Gut,
So muss ich doch dich nennen,
Dies will ich mit getrostem Mut
Vor aller Welt bekennen.
Ihr Kreaturen, liebet ihn,
Ein jeder sei ein Seraphin!
Gott ist die Lebensquelle.

Tersteegen, Gerhard – Mein Erlöser, schaue doch

1.) Mein Erlöser, schaue doch,
Wie mein armer Geist verstricket,
Mit geheimen Banden noch
Ganz bedränget und bedrücket.
Will ich los, so sinkt mein Herz
Bald in Ohnmacht niederwärts.

2.) Zwar es hat mich deine Gnad
Groben Sünden längst entrissen.
Ich hab auch nach deinem Rat,
Schon zu wandeln mich beflissen,
Dass vielleicht ein andrer wohl,
Mich für fromm schon halten soll.

3.) Aber dein genaues Licht
Zeigt mir tiefer mein Verderben
Und wie ich nach meiner Pflicht
Muss mir selbst und allem sterben
Und in wahrer Heiligkeit
Vor dir leben allezeit.

4.) Dies ist auch mein Wille wohl,
Aber, ach, es fehlt Vollbringen!
Was ich auch verrichten soll,
Tu ich noch mit Last und Zwingen.
Seh ich dann mein Bestes an,
So ist’s doch nicht Recht getan.

5.) Ach, wo ist der neue Geist,
Den du wollst den Deinen geben,
Der den Sünden uns entreißt
Und uns bringt dein reines Leben,
Der mit Herzenslust und Kraft
Alles in und durch uns schafft.

6.) Ach, wann wird mein Herze frei
Über alles sich erheben
Und in reiner Liebestreu
Nur von dir abhängig leben,
Abgeschieden, willenlos,
Von mir selbst und allem bloß!

7.) Komm, du lang verlangte Stund,
Komm, du Lebensgeist von oben!
Ach, wie soll mein froher Mund,
Jesu, deine Treue loben,
Wenn mich deine Liebesmacht,
Dir zu dienen frei gemacht.

8.) Lass dein Evangelium,
Mir Gefangnem Freiheit schenken.
Ich will als dein Eigentum
Mich in dein Erbarmen senken.
Ich will hoffen, warten, ruhn,
Du wollst alles in mir tun.

9.) Eignes Wirken reicht nicht zu,
Du musst selbst die Hand anlegen.
Ich will still sein, wirke du,
Dämpfe, was sich sonst will regen.
Kehr zu meiner Seele ein,
So wird mir geholfen sein.

Tersteegen, Gerhard – Liebster Heiland, nahe dich

1.) Liebster Heiland, nahe dich,
Meinen Grund berühre.
Und aus allem kräftiglich
Mich in dich einführe.
Dass in dich
Inniglich
Mög‘ in Liebe fassen,
Alles andre lassen!

2.) Sammle den zerstreuten Sinn,
Treuer Hirt der Seelen!
Denn wenn ich in dir nicht bin,
Muss mein Geist sich quälen.
Kreatur
Ängstet nur,
Du allein kannst geben
Ruhe, Freud’ und Leben.

3.) Mache mich von allem frei,
Gründlich abgeschieden,
Dass ich eingekehret sei
Stets in deinem Frieden,
Kindlich, rein,
Sanft und klein,
Dich in Unschuld sehe,
In dir leb’ und stehe!

4.) Menschenfreund, Immanuel,
Dich mit mir vermähle.
O du sanfter Liebesquell,
Salbe Geist und Seele,
Dass mein Will’
Sanft und still
Ohne Widerstreben
Dir sich mag ergeben!

5.) Jedermann hat seine Lust
Und sein Zeitvertreiben.
Mir sei Eines nur bewusst,
Herr, in dir zu bleiben!
Alles soll
Folgen wohl,
Wenn ich mich nur übe,
In dem Weg der Liebe.

6.) Kreaturen, bleibet fern,
Und was sonst kann stören!
Jesu, ich will schweigen gern
Und dich in dir hören.
Schaffe du
Wahre Ruh,
Wirke nach Gefallen,
Ich halt’ still in allen!

7.) Was noch flüchtig, sammle du,
Was noch stolz ist, beuge,
Was verwirret, bring zur Ruh,
Was noch hart, erweiche,
Dass in mir
Nichts hinfür
Lebe noch erscheine
Als mein Freund alleine!

Tersteegen, Gerhard – Komm, Heilger Geist, komm niederwärts

1.) Komm, Heilger Geist, komm niederwärts,
Schieß in mein kalt und finster Herz
Dein’n hellen Lichts- und Liebestrahl
Bereit mein Herz zu deinem Saal!

2.) Du wahrer Armenvater fromm,
Du Geber guter Gaben, komm,
Komm, Licht der Herzen, komm herein,
Leit mich in alle Wahrheit ein!

3.) Komm, Tröster derer, die betrübt,
Du süßer Gast der’r, die verliebt,
Du sanfte Kühlung solcher, die
In Kreuz und Leiden schwitzen hie!

4.) In Müh und Unruh gibst du Ruh,
Die größte Hitze linderst du,
Selbst wenn das Aug in Tränen fließt,
Das Herz oft deinen Trost genießt.

5.) O du höchst selig’s Gottheitslicht,
Ach, lass mich ja im Finstern nicht.
Mit deiner Glut, mit deinem Glanz
Mein Innerstes erfülle ganz!

6.) Mein Herz ohn dich und deine Gnad
Kein Leben, Kraft noch Tugend hat.
So tief die Sünde in mir steckt,
Dass Leib und Seel und Geist befleckt.

7.) Drum wasche, was besudelt, doch,
Befeuchte, was so dürre noch,
Und was in mir möcht sein verwund’t,
Das mach, o Salböl, recht gesund!

8.) Mach mild und weich, was steif und hart,
Erwärme, was vor Kält erstarrt,
Was irgend möchte sein verirrt,
Das führ zurecht, getreuer Hirt!

9.) Schenk uns, dein’m armen Häufelein,
Die in dich trauen nur allein,
Ins Herz die heilge Siebenzahl
Dein’r hohen Gaben allzumal.

10.) Gib Gnade, Tugend, Heiligkeit
Und endlich nach vollbrachtem Streit
Die volle Seligkeit dazu
In ew’ger Glorie, Freud und Ruh!

Tersteegen, Gerhard – Jesu, mein Erbarmer höre

1.) Jesu, mein Erbarmer höre.
Und dich kehre
Doch in Gnaden her zu mir!
Du erkennest mein Plage,
Meine Klage
Ist ja Nacht und Tag vor dir.

2.) Sieh, wie ich im Finstern schwebe!
Ach, ich lebe
Wie verirrt im fremden Land.
Äußerlich in Kreuz und Schmerzen,
Und im Herzen
sind die Leiden dir bekannt.

3.) Schau die Bande, die mich drücken
Und verstricken,
Mache mich Gefangnen los!
Denn ich kann mich selbst vom Bösen
Nicht erlösen.
Ach, ich bin so schwach und bloß.

4.) Des Versuchers lose Stricke,
Sein Tücke
Auf mich Armen dringen zu,
Dass mein Herz oft gar will wanken.
In Gedanken
Lässt er mir auch keine Ruh.

5.) Keine Ruhe kann ich finden,
Meine Sünden,
Die mich drücken, schenke mir.
Stille mein betrübtes Sehnen
Und die Tränen,
Mache mich getrost in dir!

6.) Ach, mein Mut ist gar gesunken,
Keinen Funken
Find ich oft vom Glauben mehr.
Oft mein Herze wahrlich meinet,
Und es scheinet,
Dass ich ganz verstoßen wär.

7.) Herr, wann willst du dich erbarmen?
Lass mich Armen
Doch nicht liegen, wie ich’s wert!
Du hast mich ja selbst gezogen
Und bewogen,
Dass ich mich zu dir gekehrt.

8.) Du hast auch, mein Gott und König,
Mich nicht wenig
Deine Treue lassen sehn.
Bin ich gleich nicht treu geblieben,
Dich zu lieben,
Doch bleibt deine Treue stehn.

9.) Komm und stärke meinen Glauben,
Den zu rauben
Satan immer ist bedacht.
Hilf mir, dass ich im Vertrauen
Möge schauen
Auf dich auch in finstrer Nacht!

10.) Segne kräftig meine Leiden,
Mich zu scheiden
Mehr von Sünd und Eigenheit,
Mehr und inniger ergeben
Dir zu leben
Stets in wahrer Heiligkeit!

11.) Gib Geduld, dass ich gelassen
Mög umfassen
Meine Leiden sanft und still.
Lass sich beugen alles Harte,
Dass ich warte,
Wie und wann der Herr es will!

12.) Da, mein Heiland ist mein Wille,
Komm und stille
Mein gestörtes Herze dann.
Steh mir bei, so kann ich stehen,
Lass mich sehen,
Was in mir die Gnade kann!

Tersteegen, Gerhard – Ich finde stetig diese zwei

1.) Ich finde stetig diese zwei
In meinem Wandel und Gemüte:
Dass ich ein armer Sünder sei
Und Gott die wesentliche Güte.
Ich leb vor Gott zufrieden so
Und bin bei meinem Elend froh.

2.) Ich bin entblößt von allem Gut,
Von allem Licht und Kraft und Leben.
Gott alles ist und hat und tut,
Er kann und will mir alles geben.
Wenn ich mein tiefes Nichts bedenk,
Ich mich in Gott noch tiefer senk.

3.) Pfui, pfui, mit aller Frömmigkeit,
Wo man sich selbst besieht und liebet!
Dies ist der Tugend Lauterkeit,
Wenn man nur Gott die Ehre giebet.
Das Nichts ist manchem wohl im Mund,
Doch sitzt es wenigen im Grund.

4.) Man nennt sich öfters arm und schwach,
Wer glaubt es aber recht von Herzen?
Und wer es glaubt, dem bringt es Plag,
Man glaubt’s mit Unruh und mit Schmerzen.
Im Nichts bringt Armut keine Pein,
Im Nichts ist man mit Frieden klein.

5.) Dies Nichts soll meine Wohnung sein.
Herr, lass mich nimmer etwas werden,
Sei du mein Ruhm und Freud allein,
Mein Alles droben und auf Erden,
Lass mich verschwinden ganz und gar,
Sei du in mir nur offenbar!

6.) Ich will wohl gerne schöne sein,
Doch nur, damit ich dir gefalle.
Ich such vor Menschen keinen Schein,
Willst du, lass mein vergessen alle!
Ich sei veracht’t und du geehrt,
So hab ich, was ich hab begehrt.

7.) Führ mich zur höchsten Heiligkeit,
Doch lass’s die Eigenheit nicht wissen.
Gib mir des Himmels Herrlichkeit!
Ich leg die Kron zu deinen Füßen,
Mit Freuden seh ich nichts in mir,
Mit Freuden geb ich alles dir.

Tersteegen, Gerhard – Ich bin im Kreuz, was soll ich tun

1.) Ich bin im Kreuz, was soll ich tun?
Nur wie ein stilles Schäflein ruhn
In Jesu Schoß und Willen.
Ich küsse meines Freundes Hand,
Der mir das Kreuz hat zugesandt,
Er will sein Werk erfüllen.

2.) Er fahre nur im Schmelzen fort,
Mitleiden ist ein süßes Wort,
Ich leide nicht alleine:
Sein Nahesein den Geist erquickt,
Sein Einfluss Kraft und Gnade schickt,
Auch wenn ich’s selbst nicht meine.

3.) Ich achte nicht des Kreuzes Pein,
Kann ich nur dir gefällig sein,
O Jesu, mein Verlangen:
Du bist und bleibst die Liebe doch,
Ich lieb‘ dich auch am Kreuze noch,
Mein Grund an mir bleibt hangen.

4.) Greif an, mein Herr, durch Kreuz und Leid,
Den tiefen Grund der Eigenheit.
Das Ende wird’s versüßen.
Die Leidenshitze, die mich brennt,
Verbrenne, Liebster, was uns trennt.
Bis wir in Eins zerfließen.

5.) Ich geb mich dir zum Opfer hin,
zu leiden in gelassnem Sinn,
Du weißt, ich bin der Deine.
Nur schenk mir deine Gnad‘ und Huld,
Dass ich mag leiden in Geduld,
Und dich nur lieb‘ und meine.

6.) Du funkelreine Gotteslieb,
Lass deine Kraft und sanften Trieb
Durch’s Kreuz in mir sich mehren.
Ich senke mich in dich hinein
Und will dich auch in Kreuz und Pein,
Durch’s Stillesein verehren.

Tersteegen, Gerhard – Herr Jesu Christe, mein Prophet

1.) Herr Jesu Christe, mein Prophet,
Der aus des Vaters Schoße geht,
Mach mich den Vater offenbar
Und seinen liebsten Willen klar.

2.) Lehr mich in allem, weil ich blind,
Mach mich dir ein gehorsam‘ Kind,
Andächtig und stets eingekehrt,
So werd ich wahrlich gottgelehrt.

3.) Gib, dass ich auch vor jedermann
Von deiner Wahrheit zeugen kann
Und allen zeig mit Wort und Tat
Den schmalen, sel’gen Himmelspfad.

4.) Mein Hoherpriester, der für mich
Am Kreuzesstamm geopfert sich,
Mach mein Gewissen still und frei,
Mein ewiger Erlöser sei.

5.) Gesalbter Heiland! Segne mich
Mit Geist und Gnaden kräftiglich.
Schließ mich in deine Fürbitt‘ ein,
Bis ich werd‘ ganz vollendet sein.

6.) Ich opfre auch, als Priester, dir
Mich selbst und alles für und für.
Schenk mir viel Andacht zum Gebet,
Das stets im Geist zu dir aufgeht.

7.) Mein Himmelskönig, mich regier!
Mein alles unterwerf ich dir.
Rett‘ mich von Sünde, Welt und Feind,
Die mir sonst gar zu mächtig seind.

8.) So kehr du in mein Herz hinein
Und lass es dir zum Throne sein.
Vor allem Übel und Gefahr
Mich als dein Eigentum bewahr‘.

9.) Hilf mir im königlichen Geist,
Mich selbst beherrschen allermeist,
Begierden, Willen, Lust und Sünd‘
Und dass mich nichts Geschaff’nes bind.

10.) Du hoch erhab’ne Majestät,
Mein König, Priester und Prophet.
Sei du mein Ruhm, mein Schatz und Freud‘,
Von nun an bis in Ewigkeit.

Tersteegen, Gerhard – Heiliges Sitzen im Felde oder Kammer

1.) Einmütig saß der Gläub’gen Schar,
Erwartend, was verheißen war,
Den Geist, das neue Leben.
So wart‘ ich auch, bis mir’s geschicht,
Einmütig und auf eins gericht’t
Mit den’n, die dir ergeben.
Ach wann
Soll dann
Leer vom Meinen,
Voll vom Deinen
Alles werden,
Dass ich dir nur leb‘ auf Erden!

2.) Bei deiner Kinder heil’gen Rauch
Leg‘ ich mein Andachtskörnlein auch
Und seufz‘ in Jesu Namen.
Dein‘ heil’ge Glut mein Herz entzünd‘,
Mich innig fest mit dir verbind‘
In dir mit deinem Samen.
Ein Herz,
Ein Schmerz,
Ein Bestreben,
Dir zu leben,
Sei in allen;
Mach uns schön, dir zu gefallen!

3.) Du siehst mein Herze, wie ich bin;
Ich geb‘ dir’s ein, ich geb‘ dir’s hin,
Erwartend dein Beleben.
Die Sonn erwärmet dieses Rund;
Du bist mir näher noch im Grund,
Licht, Kraft und all’s zu geben.
Wälder,
Felder
Schönheit bringen,
Vögel singen;
Lass im Dürren
Denn dein Täublein nicht stets girren!

4.) Mein Inn’res sei dein Paradies,
Das deinen Einfluss stets genieß‘
Und dir zu Ehren grüne,
Das monatlich dir Früchte bring‘,
Drin ich dir schöne Lieder sing‘,
Dich bei mir hab‘, dir diene!
Da ruht
Sich’s gut.
Blumen, Blätter,
Sommerwetter
Bald vergehen;
Himmlisch Schön bleibt ewig stehen.

5.) Wann grünt dein ganzer Erdenkreis,
Wann geben dir die Völker Preis
Und werden untertänig?
Wann wirst du groß in mir und all’n,
Dass, die du schufst, zu Fuß dir fall’n
Und schrein: »Der Herr ist König!«?
Gieße
Süße
Geisteskräfte,
Lebenssäfte
In mich Schwachen,
Bis du alles neu wirst machen!

6.) Bin ich hier ausgewurzelt ganz,
Mich dort ins Paradies verpflanz
Zum eng’lischen Spazieren,
Da man nicht Dorn noch Unkraut sieht,
Da Liebe, Freud‘ und Friede blüht
Und selig’s Jubilieren!
Kinder,
Sünder,
Lernt euch bücken,
Lernt euch schicken,
Wie wir müssen!
Gott und Ewig wird’s versüßen.