Gerhard Tersteegen – Kommt, Kinder, laßt uns gehen

1. Kommt, Kinder, laßt uns gehen,
Der Abend kommt herbei;
Es ist gefährlich stehen
In dieser Wüstenei.
Kommt, stärket euren Mut,
Zur Ewigkeit zu wandern
Von einer Kraft zur andern;
Es ist das Ende gut.

2. Es soll uns nicht gereuen
Der schmale Pilgerpfad;
Wir kennen ja den Treuen,
Der uns gerufen hat.
Kommt, folgt und trauet dem;
Ein jeder sein Gesichte
Mit ganzer Wendung richte
Steif nach Jerusalem.

3. Der Ausgang der geschehen,
Ist uns fürwahr nicht leid;
Es soll noch besser gehen
Zur Abgeschiedenheit.
Nein, Kinder! seyd nicht bang,
Verachtet tausend Welten,
Ihr Locken und ihr Schelten,
Und geht nur euren Gang.

4. Geht der Natur entgegen,
So geht’s gerad und fein;
Die Fleisch und Sinnen pflegen,
Noch schlechte Pilger sein.
Verlaßt die Kreatur
Und was euch sonst will binden;
Laßt gar euch selbst dahinten,
Es geht durchs Sterben nur.

5. Man muß wie Pilger wandeln,
Frei, bloß und wahrlich leer;
Viel sammeln, halten, handeln
Macht unsern Gang nur schwer.
Wer will, der trag sich todt;
Wir reisen abgeschieden,
Mit wenigem zufrieden;
Wir brauchens nur zur Noth.

6. Schmückt euer Herz aufs beste,
Sonst weder Leib noch Haus;
Wir sind hier fremde Gäste
Und ziehen bald hinaus:
Gemach bringt Ungemach;
Ein Pilger muß sich schicken,
Sich dulden und sich bücken
Den kurzen Pilgertag.

7. Laßt uns nicht viel besehen
Das Kinderspiel am Weg:
Durch Säumen und durch Stehen,
Wird man verstrickt und träg;
Es geht uns all nicht an:
Nur fort, durch dick und dünne!
Kehrt ein die leichten Sinne,
Es ist so bald gethan.

8. Ist gleich der Weg was enge,
So einsam, krumm und schlecht.
Der Dornen in der Menge,
Und manches Kreuzchen trägt;
Es ist doch nur Ein Weg:
Laß seyn! wir gehen weiter,
Wir folgen unserm Leiter,
Und brechen durchs Gehäg.

9. Was wir hier hör’n und sehen,
Das hör‘ und seh’n wir kaum;
Wir lassen’s da, und gehen;
Es irret uns kein Traum:
Wir gehn ins Ew’ge ein;
Mit Gott muß unser Handel,
Im Himmel unser Wandel,
Und Herz, und alles, seyn.

10. Wir wandeln eingekehret,
Veracht’t und unbekannt;
Man siehet, kennt und höret
Uns kaum im fremden Land;
Und höret man uns singen,
Von unsern großen Dingen,
Die auf uns warten da.

11. Kommt, Kinder, laßt uns gehen,
Der Vater gehet mit;
Er selbst will bei uns stehen
In jedem sauren Tritt;
Er will uns machen Muth,
Mit süßen Sonnenblicken
Uns locken und erquicken;
Ach ja, wir haben’s gut!

12. Ein jeder munter eile,
Wir sind vom Ziel noch fern;
Schaut auf die Feuersäule,
Die Gegenwart des Herrn:
Das Aug nur eingekehrt,
Da uns die Liebe winket,
Und den, der folgt und sinket,
Den wahren Ausgang lehrt.

13. Des süßen Lammes Wesen,
Wird uns da eingedrückt;
Man kanns am Wandel lesen,
Wie kindlich, wie gebückt,
Wie sanft, gerad und still,
Die Lämmer vor sich sehen,
Und, ohne Forschen, gehen,
So, wie ihr Führer will.

14. Kommt, Kinder, laßt uns wandern,
Wir gehen Hand an Hand;
Eins freuet sich am andern
In diesem wilden Land.
Kommt, laßt uns kindlich seyn,
Uns auf dem Weg nicht streiten;
Die Engel uns begleiten
Als unsre Brüderlein.

15. Sollt wo ein Schwacher fallen,
So greif der Stärkre zu;
Man trag, man helfe allen,
Man pflanze Lieb und Ruh.
Kommt, bindet fester an;
Ein jeder sey der Kleinste,
Doch auch wohl gern der Reinste
Auf unsrer Liebesbahn.

16. Kommt, laßt uns munter wandern,
Der Weg kürzt immer ab;
Ein Tag, der folgt dem andern,
Bald fällt das Fleisch ins Grab.
Nur noch ein wenig Mut,
Nur noch ein wenig treuer,
Von allen Dingen freier,
Gewandt zum ew’gen Gut!

17. Es wird nicht lang mehr währen,
Halt’t noch ein wenig aus;
Es wird nicht lang mehr währen,
So kommen wir nach Haus;
Da wird man ewig ruhn,
Wenn wir, mit allen Frommen,
Daheim beim Vater kommen;
Wie wohl, wie wohl wird’s thun!

18. Drauf wollen wir’s denn wagen,
(Es ist wohl wagens werth,)
Und gründlich dem absagen,
Was aufhält und beschwert.
Welt, du bist uns zu klein;
Wir gehn durch Jesu Leiten
Hinein in Ewigkeiten:
Es soll nur Jesus seyn.

19. O Freund! den wir erlesen,
O allvergnügend Gut,
O ewig bleibend Wesen,
Wie reitzest du den Muth!
Wir freuen uns in dir,
Du, unsere Wonn und Leben,
Worin wir ewig schweben,
Du, unsre ganze Zier.

Quelle: Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen.
Dreijzehnte Original-Auflage
Elberfeld 1826
bei Wilhelm Hassel

Vervollständigung dieses Liedes