Zeller, Albert – Gibst du, o Erde, deine Toten wieder?

Gibst du, o Erde, deine Toten wieder?
Lebt Alles, was da lebte, wieder neu?
Die Lerche jubelt ihre alten Lieder,
Der Himmel glänzt in alter sanfter Bläu.
Die Quellen rauschen, wie in alten Tagen
Vom Fels hernieder durch den grünen Wald,
Und meine Blumen winken mir und sagen,
Schon nahe mir die teuerste Gestalt.

O welches Ahnen, welches selge Bangen,
Und welcher tiefe Friede wunderbar!
Darf ich die lieblichste aufs Neu umfangen?
Wird Alles wieder, wie es einstens war?
So viel verschwunden und so tief Behagen,
Als wäre Alles fest und wandellos,
Verstummet selbst die leiseste der Klagen,
Ein stilles Ruhen wie im Mutterschoß!

Klar schau ich in den tiefen Strom der Zeiten,
Klar in des eignen Herzens tiefsten Grund,
Klar in der Nähe, in den fernsten Weiten
Der Dinge großen, frohen Lebensbund,
Und was ich selbst in diesem heilgen Kreise,
Ein Mann und Freier schaffen will und soll,
Und Alles rings von meines Gottes Preise,
Von seinem Licht und seiner Gnade voll.

Hat eine Frühlingswolke ungesehen
Mir ihren Tau ins Angesicht gesprengt?
Ich fühle meine Augen übergehen,
Den letzten Bann gelöst, der mich beengt:
Was willst du Herz? Ists Wonne oder Trauer,
Von der dir selber nichts mehr hat geahnt?
Ist es vielleicht ein leiser Geisterschauer,
Der dich noch an die letzte Wandlung mahnt?

Kann dich des Todes finstres Bild erschrecken
In deines Gottes lichter Gegenwart?
Muss es dich nicht zu höherm Leben wecken,
Von seiner Allmacht Wundern rings umschart?
Weißt du doch längst, dass Einer durch die Fluren
Der Erde als ihr Herr und Meister ging,
Siehst du doch rings des großen Siegers Spuren,
Von dem der Tod den Todesstreich empfing!

O leben, süße, teure Himmelsgabe
Aus meines Gottes schöpfungsvoller Hand,
Du reiches Dasein vor und nach dem Grabe,
Du aller Güter heilges Unterpfand,
Du Erdenfrühling, holder Himmelsbote,
Dass alles Schöne ewig wiederkehrt,
Und nur dem warmen Leben, nicht dem Tode,
Das blühnde All zum Eigentum gehört!

O süßer Lenz, in dem mit heilgem Schauer
Ich meiner Liebe junge Rose brach,
Du hast mich nicht getäuscht, und selbst der Trauer
Folgt deines Segens reichste Strömung nach.
Was auch der Kelch der ewig frischen Rose
Mir Ungeahntes schweigend noch verhüllt,
Ich traue kindlich meinem Himmelslose,
Bis Gottes letzter Ratschluss sich erfüllt.