Gottfried Arnold – Die Seligkeit des Nichts.

Als ich das Nichts nahm wohl in Acht,
Und mich darin ergeben,
Ward ich zum rechten Ziel gebracht,
Wonach ein Christ soll streben;
Ich ward lebendig aus dem Tod,
O Wunder ohne Maßen!
Ich fand das höchste Gut in Gott,
Sobald ich mich verlassen.

Sobald der Kreaturen Dunst
Ich floh und ganz lies fahren,
Da wollte Gott in höchster Gunst
Mit meinem Geist sich paaren.
Da fand ich Ihn nach langem Streit,
Den meine Seel‘ begehret,
Und lebe nun in voller Freud‘,
Die mir nicht ist verwehret.

Weil ich ein blödes Kind nun bin,
Und Alles lasse sinken,
So find‘ ich Gott in meinem Sinn,
Der mir sein Licht lässt blinken.
Selbst Finsternis ist jetzt mein Licht,
Weil ich im Nichts mich übe;
Das Nichts eröffnet mein Gesicht,
Nichts führt ins Land der Liebe!

Nichts quält, und wär‘ es noch so scharf,
Den, der im Nichts stets wohnet;
Weil Nichts ist, das ein Mensch bedarf,
Den Gott mit Sich selbst lohnet.
Lass, Gott zu schau’n mit reiner Brust,
Die Welt nichts in Dir werden;
Es löscht sonst nichts der Seele Lust
Als dieses Nichts auf Erden!

Wer Etwas ist in dieser Welt
Sucht nicht das Nichts zu schauen;
Nichts hat sich ganz in Gott gestellt,
Und will sonst auf Nichts bauen.
Wohl mir, dass ich in dieser Zunft
Werd‘ gläubig stehend funden,
Weil ich die blinde Unvernunft
Hiedurch hab‘ überwunden!

Die Liebe kann mit ihrem Gut,
Das Gott ist, also handeln:
Das Nichts durch ihre Feuerglut
Muss sich in Alles wandeln!
Nichts ist so arm, bloß, schwach und klein,
Es kann ans Nichts sich binden;
Drum sucht es all sein Gut allein
Im lautern Nichts zu finden.

Als ich dies dunkle Nichts erwählt,
zu geh’n auf seinen Wegen,
Ward ich von Dem nicht mehr gequält,
Das mir erst stand entgegen.
Ich konnt in diesem reichen Nichts
Nichts Kreatürlichs lieben,
Weil ich im Glanz des Gotteslichts
All‘ meine Zeit vertrieben.

Gelehrte, kommt zum Nichts Heran,
Sonst ist eu’r Tun Gewirre!
Wer sich nicht kehrt auf diese Bahn,
Bleibt ewig in der Irre.
Ohn Nichts ist nichts, was je geschieht;
Im Nichts muss ich verschwinden,
Wenn Etwas sein will mein Gemüt,
Ist nichts darin zu finden!

Es hat die enge Lebenspfort,
Die Christus hoch gepriesen,
Vom Etwas mich geführet fort,
Und bloß zum Nichts gewiesen.
Wer seine Seele hier verliert,
Und sich als Nichts empfunden,
Der wird zur Allheit eingeführt,
Und ganz von ihr umwunden.

Fürwahr! aus Nichts kommt Alles her,
Was jemals war verborgen!
Nichts macht das leben ohn‘ Beschwer,
Nichts hat für Nichts zu sorgen;
Wer ist der Reichste dieser Welt?
Der Ärmste am Begehren!
Denn was er mehr als Nichts behält,
Kann ihn vom All abkehren.

Das Nichts ist arm, das nichts ist reich
Vor allen andern Dingen;
Es achtet Unflat Alles gleich;
Das Nichts kann Nichts bezwingen.
Das Nichts, es spricht; das Nichts ist stumm,
Sein Rufen ist ein Schweigen;
Sein ganzes Leben um und um
Ist: sich in Gott zu neigen.

Nichts ruhet stets, Nichts läuft und hüpft,
Sein Lauf ist stilles Bleiben;
Das Nichts ist ganz mit Nichts verknüpft,
Nichts kann sein Ruh’n vertreiben.
Das Nichts ists Schwerste vom Gewicht,
Und ist doch leicht zu tragen.
Nichts hat das schärfeste Gesicht,
Nichts weiß von nichts zu klagen:

Nichts ist ganz los und höchst befreit,
Ist Herr, und wird’s wohl bleiben;
Sein Herrschen streckt sich weit und breit,
Kann jeden Feind‘ vertreiben.
Das Nichts ist von so edler Art:
Es kann’s kein Mund aussprechen.
Wer sich dem Nichts nur einmal paart,
Dem kann nichts mehr gebrechen.

Das Nichts macht ihn durchaus vergnügt;
Wer hat dies je vernommen?
Ein Sturm, wenn er das Nichts bekriegt,
Muss bald zur Ruhe kommen.
Das Nichts allein trifft’s rechte Ziel;
Etwas kann nicht Nichts richten;
Nichts, mit dem reichsten All im Spiel,
Kann alle Zwietracht schlichten.

Wie denen Nichts beliebt,
Weil man so viel muss fassen!
Denn wer dem Nichts nur Etwas gibt,
Der muss sich selber hassen.
Nichts findet sich, das Nichts will sein,
Das Nichts heißt Ich auf Erden;
Es ist dem Ich die schwerste Pein,
Wenn es zunicht sollt werden.

Allein das Nichts, wie arm es ist,
Kann Spreu vom Weizen scheiden;
Der Böse kann zu keiner Frist
Das in dem Herzen leiden.
Dem Ich ist bei dem Nichts nicht wohl;
Es ist ihm ganz entgegen,
Dass man am Ich nicht hängen soll,
Und sich aufs Nichts soll legen.

Nichts führt dahin, wo der Verstand
Sich selber muss entwöhnen,
Sofern er sucht das reiche Pfand,
Sich nach dem Nichts zu sehnen.
Nichts kennen, macht das au bekannt;
Nichts seh’n, ist klärlich schauen;
Nichts führt uns aus dem Erdenband,
Lässt Gott mit Grund vertrauen.

Vertrau’n, wo nicht Gewissheit ist,
Kämpft gegen unsre Sinnen;
Natur, Vernunft und kluge List
Hält’s für ein blind Beginnen.
Nichts aber bietet Sicherheit,
Da ist kein‘ Weh zu spüren;
Leid ist ihm Freud‘, und Freud‘ wie Leid,
Denn Nichts kann nichts verlieren.

O selges Nichts, des Preises wert!
Du Fels, drauf’s All sich gründet!
Der steigt gen Himmel von der Erd‘,
Wer Dich wahrhaftig findet.
Nun komm ich auch durchs Nichts zum Ziel,
Weil ich den Schluss mir ziehe:
Dass, wer Gott selber finden will,
Sich Nichts zu sein bemühe!