Knapp, Albert – Abend ist es, Herr, die Stunde

1. Abend ist es, Herr, die Stunde
ist noch wie in Emmaus,
daß aus deiner Jünger Munde
jene Bitte kommen muß:
Bleib bei uns im Erdental,
halt mit uns dein Abendmahl,
und dein Friedensgruß erfülle
Herz und Herz mit heil’ger Stille.

2. Hingesunken ist die Sonne.
Deine Leuchte sinket nicht.
Herrlichkeit und ew’ge Wonne
sind vor deinem Angesicht.
Weithin schimmert Stern an Stern,
aber du, o Glanz des Herrn,
überstrahlest alle Sterne
in der weiten Himmelsferne.

3. Selig, wem du aufgegangen,
wem du in der armen Welt,
wo nur eitle Lichter prangen
friedlich seinen Geist erhellt.
Wenn die Tage nun entflohn
blickt er auf zu deinem Thron,
und auch auf den dunklen Wegen
strahlt ihm Gottes Heil entgegen.

4. Herr, die Nacht, die nun erschienen
mahnt mich an den letzten Tag,
ob ich mit getrosten Mienen
vor dein Antlitz treten mag.
Wandelt ich im Licht vor dir,
oder war es Nacht in mir?
Wer den Tag zum Schlaf genommen,
solchem kann kein Schlummer kommen.

5. Ist mein Tag ein Tag gewesen,
o dann schlaf ich friedlich ein.
Meine Glieder wirst du lösen
und des Hauptes Hüter sein.
Dann zum neuen Tageslauf
wach ich neu erleuchtet auf,
bis mein letzter Tag sich hebet
und im ew’gen Licht verschwebet.

Text: Albert Knapp (1798–1864)
Melodie: Freu dich sehr, o meine Seele (Genf 1551)
Quelle: GB Württemberg 1912, Nr. 39