Heinrich Puchta – Herr, lass mich heute nicht entschlafen,

Herr, lass mich heute nicht entschlafen,
Bevor ich nicht mit Herz und Mund
In Buß und Tränen neu gereinigt
Den tiefbefleckten Seelengrund.
Lass mich vor deinen Spiegel treten,
Der mir mein ganzes Innre zeigt;
Lass dein Gesetz die Wahrheit sprechen,
Die das betörte Herz verschweigt.

Wenn du mich strafst um meine Sünde,
Wenn der gerechte Mund mir flucht,
Dann wird das Herz von keinem Frieden,
Das Aug‘ von keinem Schlaf besucht.
Wer könnte dein Gericht empfinden
Und sich erfreu’n der süßen Ruh?
Die Einsamkeit wird ihn erwecken,
Die Stille ruft ihm Schrecken zu.

Verbirg dein Antlitz meinen Sünden,
Dein Licht vor meiner Missetat;
Lass mich auf ihn die Hoffnung gründen,
Der meine Schuld getragen hat.
Drück mir den Stachel und den Kummer
Nicht tiefer ins Gewissen ein;
Lass jeden Atemzug im Schlummer
Ein Wehen deiner Gnade sein.

Amen.