Karl von Gerok – Morija.

(1 Mose 29)

Zwei Pilger gehn im Dämmergrau
Geheimnisvoll durch Feld und Au.

Am Himmel glänzt der Morgenstern,
Noch schweigt die Erde nah und fern.

Und schweigend gehn die Wandrer fort,
Und keiner spricht ein lautes Wort.

Der Eine wie der Morgen klar,
Mit rosigen Wangen und goldenem Haar.

Der Andre würdig von Gestalt,
Von silberweißem Bart umwallt.

So fromm und fröhlich blickt das Kind,
Es spielt sein Haar im Morgenwind.

Der Alte geht so tiefgebückt,
Als ob ihn schwere Bürde drückt.

Der Knabe auf den Schultern trägt
Das Holz, zum Opferbrand zerlegt.

Der Alte trägt den Opferstahl,
Der funkelt rot im Frühlingsstrahl.

Der Knabe zu dem Vater spricht,
Und hebt empor sein hold Gesicht:

„Das Holz zum Opfer hab ich hier;
Sag, Vater, wo das Opfertier ?“

Der Vater zu dem Knaben spricht,
Und wendet ab sein trüb Gesicht:

„Das Lämmlein wird ihm Gott ersehn,
Mein Sohn, lass du uns fürbass gehn.“

Und schweigend gehn die Pilger fort,
Und keiner spricht ein lautes Wort.

Das ist der Vater Abraham
Mit Isaak, seinem Opferlamm.

Mit Isaak, seinem einz’gen Sohn,
Mit seines Alters Lust und Kron.

Manch schweren Gang hat er gethan,
Doch keiner kam so schwer ihn an.

Doch will er auch noch diesen gehn,
Was Gott gebeut, das muss geschehn.

Zum Berg Morija steigt er auf,
Das ist des Glaubens Pilgerlauf.

Wohl wallen noch zum gleichen Ziel,
Zum Opferberg der Pilger viel.

Sie gehn alleine, Paar und Paar,
In brannen Locken, grauem Haar.

Dort geht mit seines Herzens Kron
Ein Vater mit dem einz’gen Sohn.

Da trägt die Mutter, bleich von Harm,
Ihr weißes Lämmlein in dem Arm.

Und jener trägt ein Kreuz mit Schmerz,
Und dieser trägt ein schweres Herz.

Sic wandern still des Weges fort,
Und keiner spricht ein frohes Wort.

Und fraget eins: wie und warum?
So bleibet Erd und Himmel stumm.

Was Gott gebeut, das muss geschehn,
Das andre wird der HErr versehn.

Drum bringe du dein Opfer still,
Und füge dich, wie Gott es will.

Drum trage nur und frage nicht,
Drum wage nur und zage nicht.

Und wär’s auch dunkel nah und fern,
Am Himmel glänzt ein Morgenstern,

Der führt zum Opferberg hinauf;
Das ist des Glaubens Pilgerlauf.

*

Wer steigt vom Opferberg herab?
Ein selger Greis, ein froher Knab.

Das ist der Vater Abraham
Mit Isaak, seinem Opferlamm.

Mit Isaak, seinem einz’gen Sohn,
Mit seines Alters Lust und Kron.

Er führt den Knaben an der Hand,
Gen Himmel ist sein Blick gewandt.

Der Ausgang war so trüb und schwer,
So fröhlich ist die Wiederkehr.

Der Morgen graut‘ in Sorg und Not,
So selig glüht das Abendrot.

Der ew’ge Gott ist fromm und gut,
Er dürstet nicht nach Menschenblut.

Er hat sein Opfer schon ersehn,
Du Menschenkind sollst frei ausgehn.

Und wer sein Liebstes nicht verschont,
Sieht himmlisch seine Trcu belohnt.

So viel am Himmel Sterne stehu,
So viel soll Abram Kinder sehn.

Drum trage du und frage nicht,
Drum wage du und zage nicht.

Der ew’ge Gott ist fromm und gut,
Er will dein Herz und nicht dein Blut.

Das Gotteslamm ist schon ersehn
Und du sollst frei und ledig gehn.

Sein Todesgang und Opferblut
Macht all dein Kreuz und Schaden gut.

Und wenn dein Herz vor Jammer brach,
Der HErr vergilt dirs tausendfach.

Da droben glänzet Stern an Stern,
Das sind die Tröstungen vom HErrn.

Hier ist des Glaubens Pilgerlauf
Und droben geht das Schauen auf.