Johann Anastasius Freylinghausen – Höchste Vollkommenheit, seligstes Wesen.

Weise: Seligstes Wesen, unendliche Wonne,

1. Höchste Vollkommenheit, seligstes Wesen,
Reineste Wollust, Beherrscher der Welt,
Herrlichste Majestät, die sich erlesen
Zu ihrer Hofstadt das himmlische Zelt,
Allwo dich preisen
Mit tausend Weisen
So viel im Lichte vereinigte Scharen
Der Seraphinen, die auf- und abfahren.

2. Selig sind alle mit diesen zu schätzen,
Die vor dem Throne der Herrlichkeit stehn,
Die an der Fülle des Lichts sich ergötzen
Und ohne Vorhang dich wie du bist sehn,
Deren Gemüte
Der Strom der Güte
Völlig und sonder Abwechslung durchfließet,
Da man hienieden kaum Tröpflein genießet.

3. Wär doch mein Geist erst von hinnen geführet
Und in das Luftschloss des Himmels versetzt,
Wo das vollendete Heer triumphieret
Und sich in ewigen Freuden ergötzt!
Wenn soll ich sehen
Die Zeit angehen,
Die mich so selig und herrlich beglücket
Und mich zu jener Gesellschaft hinrücket?

4. Doch warum wünsch ich entrücket zu werden,
Eh denn es Zeit ist, dem Stückwerk der Zeit?
Gnug, dass ich selig auch hier schon auf Erden,
Obgleich der Geist noch nicht völlig befreit.
Darf ich doch wagen,
Hoffend zu sagen,
Dass ich zu rechter Zeit auch werd erlangen
Das, womit jene, die droben sind, prangen.

5. Lass nur inmittelst mein Dichten und Trachten
Ja, Herr, auf nichts hier gerichtet sonst sein,
Als wie ich möge, was irdisch, verachten
Und dir anhangen, dem seligsten Ein.
Was da will hindern
Und in mir mindern
Den Durst des Geistes nach dir, o mein Leben,
Müsse sein Leben zum Tode hingeben.

6. Stärke hingegen das zarte Verlangen
Nach einer nähern Gemeinschaft mit dir.
Dich, das vergnüglichste Gut, zu umfangen,
Lass sich stets mehren der Liebe Begier.
Lehre mich eilen
Und nicht verweilen,
Nach dir, dem höchsten Zweck, mich stets zu lenken
Und mich dir gänzlich zum Opfer zu schenken.

7. Sollt ich auch etwa, wie oftmals geschehen
Und dir Allwissendem wohl ist bewusst,
Eh ichs vermerke mich von dir vergehen
Durch die Verwirrung betrüglicher Lust,
So lass mein Weichen
Dazu gereichen,
Dass ich aufs künftige treuer dich liebe
Und mich im Wachen und Beten stets übe.

8. Nun, ich begehre dich ewig zu haben
Und auch ohn Ende dein eigen zu sein;
Himmel und Erde und was sie für Gaben
In sich besitzen sind ohne dich Pein.
Ich wills nicht achten,
Ob schon verschmachten
Mein Leib und Seele, ja ob ich auch sterbe,
Wenn du nur bleibest mein Teil und mein Erbe.