Heinrich Puchta – Morgenlied

O Gott der Gnade, treu und voll Erbarmen,
Du warst mein Schutz in der vergang‘nen Nacht;
Ich lag, bedeckt von deinen starken Armen,
Ich schlief, von deinem Angesicht bewacht.
Ich durfte Sorg und Müdigkeit vergessen,
Und alle Last und Arbeit von mir tun;,
Du treuer Vater hast gesorgt indessen,
Dein Werk ruht nicht, wenn unsre Hände ruh‘n.

In stiller Nacht, wenn sich kein Laut lässt hören,
Wenn alles Treiben auf der Erde schweigt,
Da wirkst du fort, du lässest dich nicht stören,
Wenn alle Welt sich in den Schlummer neigt.
Und wenn dein Licht erweckt den neuen Morgen,
Wenn das geschäftige Geräusch erwacht,
Dann geht dein Werk am lauten Tag verborgen,
Doch rastlos fort, wie in der Mitternacht.

Herr! lass auch uns nach deinem Bilde wandeln,
Gib uns des Geistes Kraft und Freudigkeit,
Um ungesäumt zu wirken und zu handeln,
Und Frucht zu schaffen zur gesetzten Zeit.
Gib uns ins Herz Geduld und frohen Mut,
Lass Kraft und Stärke wohnen in den Gliedern;
Nimm allen Schlaf aus unsern Augenlidern,
Und alle Trägheit weg aus Fleisch und Blut.

Lass uns nicht nach vergänglichem Gewinn,
Nach flücht’ger Lust und eitler Ehre ringen;
Wer seinen Schatz erstrebt in solchen Dingen,
Der hat auf Erden seinen Lohn dahin.
Vergänglich ist, womit die Welt sich schmückt,
Woran ihr Herz und Auge sich entzündet;
Nur was das Lob des Heiligen verkündet,
Dem ist ein ewig Siegel aufgedrückt.

Der kleinste Dienst, nach Gottes Wort getan,
Gleicht einem Korn, das sechzigfältig blühet;
Wer um den Lohn der Zukunft sich bemühet,
Der legt sein Pfund zu höchsten Zinsen an.
Lass unsre Augen auf das Künft’ge schauen,
Ein Werk des Lebens gib in unsre Hand;
Mit Gold und Edelsteinen lass uns bauen,
Auf einen Felsen und nicht auf den Sand.

Herr! deine Kraft ist mächtig in den Schwachen,
Du schmückst das Niedrige mit Ruhm und Zier;
Was wir verschmähen, kannst du herrlich machen,
Was wir verachten, das ist groß vor dir.
Die Gnade wirket mehr, als tausend Hände,
Sie ist der Grund, der Gottes Werke trägt;
Wer darauf steht, der blickt getrost ans Ende
Und auf den Tag, der alle Taten wägt.