Zinzendorf, Nikolaus von – Jesus, der gute Weinstock.

Edler Weinstock, dessen Reben
Voller Kraft und Säfte sind,
Lass mich an dem Stocke kleben,
Wo die Traube Kraft gewinnt,
Dass ich, fest um Dich geschlungen,
Gleich dem Efeu grünen mag,
Und, von Deinem Geist durchdrungen,
Wachse auf den Lesetag!

Vater, drohst Du, wegzunehmen,
Was sich nicht zu guter Frucht
Hier bei Zeiten will bequemen!
O so sei der Tand verflucht,
Welcher einen Teufelsglauben,
Der mit bloßem Wissen zahlt,
Schöne, aber tote Trauben
Listig uns vor Augen malt!

Werde mir zum Gnadenlohne,
Abba, Vater! dies beschert,
Dass Dein Leben in mir wohne,
Das mir Saft und Kraft gewährt!
Möge mich Dein Finger beugen,
Der mich in Dein Land versetzt,
Und viel Frucht im Herzen zeugen,
Das Dein Himmelstau benetzt!

Jesu, weil in Dir alleine
Eine Rebe tragen kann,
Also sei auch ich der Deine,
Dir auf ewig zugetan.
Falsche Liebe, stolzes Blähen,
Eigenwille, Selbstvernunft
Müsse ganz an Dir vergeben,
Ich entsage dieser Zunft.

Wollt ihr zürnen, Menschenkinder?
Scheint euch die Philosophie
Eurer Hoffart noch gesünder,
Als dies Kinderlallen hie?
Jesus hat mich hingezogen,
Wo die Einfalt triumphiert,
Und besiegt und überwogen
Die Vernunft in Ketten führt!

Wisset: Jesus, der Geliebte,
Hat uns ohne sie bekehrt,
Und auch Paulus, der Geübte,
Ihrer Hilfe nie begehrt.
Gib mir, Vater aller Geister,
Einen zarten Kindersinn!
Ziehe mich, Du guter Meister,
In Dein Einfaltswesen hin!

Wer nur Dein, O HErr, begehret,
Wer in Dir nur bleiben will,
Der wird bald von Dir erhöret,
Der erlanget Hüll‘ und Füll‘.
Was befiehlst Du, HErr? ich kenne
Mein Bedürfnis: Eins ist Not;
Darum sehn‘ ich mich, und brenne
Nur nach Deinem Kreuzestod!

Jesus Christus! überzeuge
Die verkehrten Menschen doch,
Dass sich ihre Schulter beuge
Unter Dein so sanftes Joch,
Dass sie Dich in Deiner Krone
Seh’n, Du König alles Lichts,
Und den Vater in dem Sohne,
Und Dich selbst in ihrem Nichts!

So wirst Du den Seelen Alles,
Also werden sie erquickt,
Und vom Würgenetz des Falles
Durch die Gnade losgestrickt.
Also sollen, die auf Erden
In ihr Nichts gegangen sein,
Erst in Dir zu etwas werden,
Aber auch durch Dich allein!