Du unser auserwähltes Haupt,
An welches unsre Seelen glaubt!
Lass uns in Deiner Nägel Mal
Erblicken unsre Gnadenwahl,
Und durch der aufgespalt’nen Seite Schrein
Führ‘ unsre Seelen aus und durch und ein.
Dies ist das wundervolle Ding:
Erst dünkt’s für Kinder zu gering,
Und dann zerglaubt ein Mann sich dran,
Und stirbt wohl, eh‘ er’s glauben kann.
Daran erkennt man hier das kleine Heer,
Und davon singt man noch am gläsern Meer.
So lange eine Menschheit ist,
So lange Jesus bleibt der Christ,
So bleibet dies das A und O
Vom ganzen Evangelio,
Und dass es Gotteskraft und Weisheit ist,
Das wisst ihr Alle, die ihr Wahrheit wisst.
Mein Heiland! wär‘ ich armes Kind,
Das sich um Deine Füße wind’t,
Das Dich, Du liebster Seelenmann,
Nicht eine Stunde missen kann,
Und das Dich über sich und Alles liebt,
In Deiner Sprache etwas mehr geübt!
Doch, lass die Lippen trocken sein:
Des Geistes Hauch darf nur hinein,
Der von dem Thron der Majestät
In Donnern und Posaunen geht.
Und eine Kohle vom Altar gebraucht:
Dann rühren sich die Lippen, dass es raucht!
So zeug‘ ich denn! wer hört mir zu?
Wer hat im Herzen keine Ruh‘?
Wer weiß, wie tief die Sünde frisst,
Und dass er Nichts als Sünde ist,
Und weiß sich keinen Rat, wo ein noch aus:
Der höre zu! denn da wird Etwas draus.
Wer aber von der Mutter her
Vielleicht noch unbescholten wär‘,
Und wüsste kaum, was Fleisch und Blut,
Was Geiz sei oder hoher Mut,
Und sich in Allem selber helfen kann:
Der ist ein blinder und ein tauber Mann.
Ein heiliger und reiner Geist,
Und was man einen Heil’gen heißt,
Ist vor dem HErrn der Kreatur
Und vor dem Meister der Natur
Von keinem Andern Zeuge, als ein Blatt,
Das auch sein Wesen von dem Schöpfer hat.
Auch ist ein Rat der Ewigkeit
Viel älter, als die graue Zeit,
Und wer den Ratschluss meistern will,
Muß Satan sein, sonst schweigt er still:
Ein Töpfer macht aus Leimen allerlei,
Und das ist’s, was er machet, dass es sei.
Das Leben ist von oben her,
Der Tod ist auch nicht ohngefähr;
Dazu verdammet das Gericht,
Das Herze Gottes aber nicht.
Wer Gottes Wesen weiß, weiß Seinen Tod,
Wer’s Herze kennt, der ist aus aller Not.
Wir sehen wohl die Geister nicht,
Die erst die Sünde angericht’t;
Doch sehe sich nur Jedermann,
Der bei sich selbst ist, selber an:
Wenn keine Sünde in der Menschheit wär‘:
Wo hätten ich und du die Sünde her?
Wie weislich ist der Rat bestellt,
Der Rat der Wächter aller Welt! 1(Dan. 4, 11.)
Das Meiste ist nicht offenbar,
Doch was man weiß, ist sonnenklar.
Die Torheit fragt den HErrn: Was machest Du? –
Die Weisheit glaubt, und denkt: Du Liebe, Du!
Gelobet sei das Lebensbuch,
Vordem verhüllt in Mosis Tuch,
Mit sieben Siegeln zugemacht,
Bis man das Lamm herzugebracht,
Das Lamm, den weltbekannten Sünderfreund,
Der selbstgewachs’nen Tugend höchsten Feind!
Das Wort, das, an das Kreuz gemalt,
In blutigem Flammenfeuer strahlt,
Das heißt: „Hier hängt Immanuel,
Verflucht für dich, o Menschenseel‘! 2(Gal. 3, 11.)
Darüber stutzt und fluchet die Natur;
Doch Gott beteuert es mit einem Schwur:
„So wahr ich lebe!“ spricht der Mann,
Der Nichts als Amen sagen kann,
Und der unfehlbar Wort und Tat
Im Augenblick beisammen hat,
Und was er will, das lässt Er sich nicht reu’n:
Mein Sohn, mein Sohn soll Hoherpriester sein!“ 3(Ps.110, 3.)
Er kommt, der Sohn, Er sagt uns an,
Wie’s mit dem Priesteramt getan:
„Der Vater hat den Erben lieb;
Und dazu kommt ein neuer Trieb,
Dass Ich den ew’gen Rat durch’s Recht erfüll‘,
Und für der Menschen Leben sterben will.“
Die Worte sind unleugbar da;
Die Tat war diesen Worten nah,
Und von der Prob‘: ob’s Wahrheit ist,
Was man im Buch geschrieben liest,
Bezeugt der große Gnadenbundesmann,
Dass sie ein Jeder selber machen kann.
Man macht sie dann auf solche Art,
Dass sich im Herzen offenbart,
Ob Jesus Christus, Gottes Lamm,
Wahrhaftig starb am Kreuzesstamm.
Die Art der Probe teilt sich überaus,
Die Probe aber läuft auf Eins hinaus.
Wenn Einer in dem Glanz des Lichts
Sich sieht, und sieht, er tauge Nichts,
Und geht und greift die Sache an,
Und tut nicht, was er sonst getan,
Er müht sich selber viel und mancherlei:
Der lernet nie, was ein Erlöser sei.
Wenn aber ein verlornes Kind
Vom Tod erwacht, sich krümmt und wind’t,
Und sieht das Bös als böse an,
Und glaubet, dass es sonst Nichts kann,
Verzagt an sich, es geht ihm aber nah‘:
Kaum sieht sich’s um, so steht der Heiland da:
„Wie geht dir’s?“ „O es geht nicht gut!
Ich liege hier in meinem Blut!“
Da spricht der Seelenfreund: „Mein Sohn!
Nimm hin die Absolution,
Und sieh‘ Mich an und glaub‘, und stehe auf,
Und freue dich, und zieh‘ dich an und lauf!“
Die Seel‘ empfäht den neuen Geist,
Sie glaubt und tut, was Jesus heißt;
Sie sieht das Lamm mit Augen an,
Die Gott alleine geben kann,
Steht auf, bekommt ein unsichtbar Gewand,
Und ist auf einmal mit dem Lamm bekannt.
Die Sünderscham und Gotteskraft,
Die machen gleich Genossenschaft,
Und schließen sich in’s Herz hinein,
Und wollen nicht getrennet sein;
Da geht kein guter Wille mehr zurück,
Denn ihre Arbeit ist ein ew’ges Glück!
Erst heißt der Freund die Seele ruh’n,
Dann essen, und hernach was tun;
So übt Er ihre Glaubenskraft
In einer treuen Ritterschaft;
Sie tut’s, und wenn sie dann ihr Werk getan,
Denkt sie gemeiniglich nicht weiter dran.
Und würde sie ja irgendwo
Der eignen Gnadenarbeit froh:
So kommt die heil’ge Scham herbei,
Und zeiget ihr so Mancherlei,
Dass sie Gott dankt, wenn sie sich selbst vergisst,
Und denkt an Nichts, als dass ein Heiland ist.
Und allenthalben steht der Sinn
Der Gläubigen zur Gnade hin,
Und sinnet wie er Nacht und Tag
Dem Bräutigam gefallen mag,
Der ihn vom ew’gen Tode losgemacht,
Und unverdient zu Kron‘ und Thron gebracht.
O Herr Jesu! wenn Dein Zeugenheer
Nicht eine Donnerwolke wär‘.
So könnte man es noch versteh’n,
Dass Viele sie nicht hör’n und seh’n;
Doch was ist’s endlich Wunder? Ach, es sind
Die Menschen von Natur getäubt und blind!
Darum befiehlt uns Jesus nun,
Der Blinden Augen aufzutun,
Und wenn wir rufen, ist Er da,
Und ruft den Tauben: „Hephatha!“
So wird das Evangelium gehört,
So wird das Auge auf das Lamm gekehrt.
Da bin ich auch Dein Untertan,
Und melde meine Gaben an,
Die Du mir Armen mitgeteilt,
Seitdem Dein Pfeil mein Herz ereilt.
Nun fäh‘ ich gern ein gutes Teil der Welt
Gerettet und zur Rechten hingestellt.
Wenn mich der Hausherr Boten schickt,
So halt ich mich für höchst beglückt;
O unser allgemeines Haupt!
Gib, dass man meiner Botschaft glaubt!
Mein Rufen dring‘ in Ohr‘ und Herzen ein,
Und wenn ich auf Dich weise, so erschein?!
(Gedichtet im Februar, gedruckt am Thomastage [21. Decbr.] 1734 zu Tübingen.)