Zinzendorf, Nikolaus von – Die zubereitende Gnade.

Die Kraft von unsern Sinnen
Wirft vor der Lieb‘ sich hin,
Ihr Herze zu gewinnen:
o herrlicher Gewinn!
Wir bitten um die Gnade,
Die mit ihr worden ist,
Darüber Adams Schade
Sich endlich wohl vergisst.

Die Augen Jesu fangen
Die Predigt in uns an,
Wie man zum Heil gelangen
Und Gott gefallen kann.
Wen dieses Aug‘ erblicket
Wem’s, wie dort Petro, winkt,
Der wird im Geist gebücket,
Dass er in Kummer sinkt.

Der Kummer einer Seelen,
Die so gestellet ist,
Das innerliche Quälen,
Das solch ein Herze frisst,
Wirkt eine sel’ge Reue,
Und wer die Reu‘ nicht hasst,
Der ringet stets auf’s Neue,
Bis er die Gnade fasst.

Hier führt des Vaters Zeugen
Die Predigt weiter aus,
Bis wir die Häupter beugen,
Zu Jesu geh’n hinaus,
Und nehmen von der Liebe
Das Joch mit Freuden auf;
Das fördert unsre Triebe
Gar sehr in ihrem Lauf.

Und wär‘ Eins lieber herrlich
Nach Art der Irdischen,
Als dass es so beschwerlich
Mit Jesu möchte geh’n:
So fängt des Geistes Wehen
Auch eine Predigt an,
Und gibt uns zu verstehen,
Wie’s um die Welt getan.

Will man das sanfte Sausen
Des Geistes nicht versteh’n,
So geht es an ein Brausen
Und über’n Haufen weh’n!
Da fällt vor Seinem Winde
Das Gras, das Heu verdorrt;
Da eilet gar geschwinde
Das Gut der Erde fort!

Das bringet dann die Seele
Zu etwas Höhrem auf;
Sie folgt des HErrn Befehle
Und richtet ihren Lauf
Auf jene große Gaben,
Die Gott bereitet hat,
Den damit zu erlaben,
Der müde ist und matt.

Damit wir nun vernehmen,
Was dieses Alles heißt,
Und uns dazu bequemen:
Hat Gottes Gnadengeist,
Der Prediger von oben,
Die unsichtbare Kraft,
Die nimmer g’nug zu loben,
Sich Stimmen angeschafft.

Der Boten ernste Stimmen,
Ihr liebliches Getön,
Ihr göttliches Ergrimmen,
Ihr liebentbranntes Fleh’n
Erschallet nicht vergebens:
Es bringt die Seelen auf.
Dass sie zum Licht des Lebens
Hin richten ihren Lauf.

Aus solchen Aufgeweckten
Wird mancher offne Brief;
Ein Licht, das Schatten deckten,
Das in der Sünde schlief:
Wenn’s vor den Wächterstimmen
Die Augen aufgetan,
Beginnet anzuglimmen,
Und steckt auch Andre an.

O Prediger von oben,
Gib Kraft und Lebensluft;
Gib Mut, Dich hoch zu loben,
Wenn Deine Stimm‘ uns ruft!
Gib Macht den Friedensboten,
Davor der Feind erstaunt,
Wenn man für Dich die Toten
Zum Lieben ausposaunt.

Und uns, Du gutes Wesen,
Lass offne Briefe sein,
Darinnen klar zu lesen,
Wie’s Deine Liebe mein‘,
Was sie für uns verrichtet,
Wozu sie uns sodann
Dir ewiglich verpflichtet,
Wie gut man werden kann!

Ja, binde uns zusammen
Vor’m Kreuze fest und eng‘,
In gleichen Liebesflammen,
Die sich durch’s Weltgedräng‘
Mit Zündungskräften schlagen,
Und in vereinter Glut
Die größten Kämpfe wagen:
So wird noch alles gut!

(1724.)