Zeller, Albert – Wir sind zu früh vom Vaterhaus gegangen

Wir sind zu früh vom Vaterhaus gegangen,
Und kennen nun das teure Antlitz nicht;
Wir suchen und wir fragen mit Verlangen
Die Erde und die Sonne und das Licht;
Die Blume soll uns das Geheimnis sagen,
Verkünden soll es uns Kristall und Stein;
Der Adler in den Lüften soll es tragen,
Und rauschen es die Quelle und der Hain;
Doch was sie uns auch immer lehren kennen,
Sie wissen uns das Beste nicht zu nennen.

Und jeder Wandrer, dem wir hier begegnen,
Wir fragen ihn mit Blicken und mit Mund,
Und möchten ihn mit tausend Gaben segnen,
Tät er uns dieses höchste Rätsel kund.
Ein Menschenantlitz mit des Gottes Siegel,
Trägt es denn nicht des ewgen Vaters Bild?
Glänzt nicht auch jetzt noch im zerbrochnen Spiegel
Ein Strahl von oben aus dem Auge mild?
Doch heißer nur entflammt er unser Sehnen,
Mit unsern mischen sich der Brüder Tränen.

Oft ringt, von hoher, selger Andacht trunken,
Der Geist gewaltsam mit Erinnerung;
Nah scheint das Glück, der Schleier fast gesunken,
Zum Himmel trägt uns heilger Ahnung Schwung;
Gott ist uns nah, und schauernd schon berühren
Den Saum wir seiner ewgen Herrlichkeit,
Und göttliche Gedanken adlergleich entführen
Uns weit hinweg von allem Raum und Zeit;
Ein Lüftlein fällt uns, und im Staube liegen,
Die sich vermaßen erst, so hoch zu fliegen!

Nicht Waisen sind wir in dem fremden Lande;
Des Vaters Güte grüßt uns allerwärts;
Es weben heimisch süße Liebesbande
Um unser Leben sich und unser Herz;
Es lagern sich um uns des Himmels Mächte
In tausend von Gestalten weit und breit;
Doch in den Jubel unsrer Erdennächte
Ertönt das Alphorn aus der Ewigkeit;
Auf fahren wir vom lauten Freudenmahle
Als wie getroffen von des Blitzes Strahle.

Hier stürzt ein Freund, dort sinkt ein andrer nieder,
Und immer weiter geht der Wanderzug;
Es lichten sich je mehr und mehr die Glieder,
Und immer ist des Jammers nicht genug;
Die Mühe will, die Sünde will nicht enden;
Doch näher sind wir schon der Gottesstadt,
Und immer stiller, immer froher wenden
Wir uns zu ihr, die Er verheißen hat.
Bald tönt auch uns der Freudenruf der Frommen:
„Wir Menschenkinder dürfen wieder kommen!“