unbekannt – ACh Gott, ich thun dich ruffen an

ACh Gott, ich thun dich ruffen an
vß trurigklichem mut!
Den größten fygend, den ich han,
das sit min fleisch vnd blut:
Das klagen ich also seere,
mit jm hab ich täglich stryt,
es ist mir vil zeschwäre,
dann es allzyt oben lyt.

Zu schälten vnd zu fluchen
darzu ist min fleisch gerüst,
Kein guts wil es nit suchen
sunder sin anschlag vnnd lüst.
Allzyr so thut es sträben
wider dich Herrn vnnd Gott
vnnd wil sich nit ergeben
wol vnder din gsatzt vnd gbott.

Das thun ich hertzlich klagen
dir, Gott in dinem thron!
Das crütz wil es nit tragen
vnd ouch nit naher gon.
Ich mag es nit erzwingen
on dine gnad vnd huld,
es thut mich täglich bringen
in grosse sünd vnd schuld.

Gebunden vnnd gefangen
ist mir min sinn vnnd gmüt!
Mich thut so seer verlangen
nach diner huld vnd güt.
Die teil du mit vns allen,
die, Herr, erkennend dich,
das wir nit wider fallen
wol in des tüfels rych.

Ein ding ist nnoch dahinden
das mir ouch noch gebrist:
Kein rechter gloub ist zfinden
wo kein recht liebe ist:
So gib vns ware liebe,
sy ist ein edler schatz,
das wir vns darinn übind!
sy thut erfüllen sgsatz.

O vatter, Gott vnd Herre
in dinem höchsten thron,
Verlaß vns nimmermere,
mein klag laß für dich kon!
O Gott, biß nit so verre,
dann du bist vnser hort!
das sich doch niemant keere
von dinem heilgen wort!

O vatter in dim ryhce,
du haltest, waßt verheist:
Gib vns genädigkliche
ouch dinen heilgen geist,
Das wir nit anders handlen
dann frid vnd einigkeit
vnd darzu mögend wandlen
in aller grechtigkeit.

Teil vns mit, Gott vnnd Herre,
din grosse barmhertzigkeit!
Thu vnns den glouben meren,
hilff vnser blödigkeit!
Thu vnser hertz berüren
mit dines brunnen fluß,
vnd thu vns gnädig füren
vß diser finsternuß.

Din huld thu vns erzeigen
vnd ouch din früntligkeit,
Das wir dich nit verlöugnen
in der trübsäligkeit,
So wir gefangen ligend,
din gnad von vnns nit wend,
dz wir bestendig blybend
biß gar an vnser end!

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