Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von – Bildnisse Jesu.

Wer Dein Porträte
Gesehen hätte,
Und wer recht wüsste,
O Jesu Christe!
Wie Du auf Erden
Warst an Gebärden,
Der bliebe stehen,
Wollt Nichts mehr sehen.

Doch ach, ich bleibe
Nun noch im Leibe,
Und sehe Glieder,
Schwestern und Brüder.
In diesen Chören
Glänzt hinter Flören
Nicht voll im Lichte
Dein Angesichte.

Des Vaters Segen,
Des Geistes Pflegen
Woll‘ uns zur G’nüge,
Lamm, Deine Züge
und Dein Erblassen
Anschauen lassen,
Bis wir zu Füßen
Einst dort Dich grüßen!

Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von – Jesu Gnadenführungen.

Wem wollen wir, so lang‘ wir leben, gläuben?
Bei wessen Lehre nun und ewig bleiben?

Wem, Seele, sollst du Hut und Wache halten?
Dem Gott allein der vierundzwanzig Alten; (Offb. 4.)

Dem Gott und HErrn, in dessen heil’gen Wunden
Die Thomaschristen all‘ ihr Heil gefunden; (Joh. 20,27.)

Dem Meister, welchem, als Er ihn erleuchtet,
Nathanael sein ganzes Herz gebeichtet;

Dem Gottessohn, den jener Felsprophete, (Mtth. 16,16.)
Von Gott gelehrt, als Gottes Sohn erhöhte;

Dem Seher, der den Jüngern durch Sein Lehren
Daß Herz im Leibe wusste umzukehren,

Daß es entbrannte und doch nicht verbrannte,
Und Ihn durch lauter Lieblichkeit erkannte.

Dem, Seele, Dem gehörst du ganz alleine,
O Seele, kleines Wesen, aber Seine!

So lange Der sich Nichts will nehmen lassen,
So lange kannst du Ihn bei’m Arme fassen,

Und kannst die ganze Welt vergehen sehen
Und glauben: „Mir kann doch kein Leid geschehen!“

Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von – Das Wort von Anfang.

Hört! ich will euch nicht verschweigen
Tiefen, so die Höhen zeugen,
Und die Wesen übersteigen,
Einen, welcher Alles ist!

Paulus drang durch’s Sterngebäude
Und die Himmel alle beide,
Und im dritten Saal der Freude
Hört er Unaussprechliches.

Er erblickte Seltenheiten,
Aufgedeckte Heimlichkeiten,
Die Verfassung aller Zeiten,
Und die Ordnung unsers Heils.

Alles sah er dort im Einen,
Große Dinge mit den kleinen;
Alles muss durch Ihn erscheinen,
Alles ist durch Ihn gesetzt.

Was für Pracht hat Christus immer!
Was für majestät’schen Schimmer,
Hingezückt vor’s Königszimmer,
Hat’s Johannes angeschaut! (Offb. Joh. 1, 10 ff.)

Niemand zwar ermisst die Gottheit,
Und die ungeteilte Einheit,
Und die unvermischte Dreiheit;
Doch die Salbung lehret viel.

Leer‘ dich aus! Er wird dich füllen;
Setze dich! Er wird dich stillen;
Schweig‘, so sagt er Seinen Willen;
Wisse Nichts, so lernst du Ihn!

Lass das Tier am Berge stehen;
Zeuch die Schuhe von den Zehen,
Und durchfleug im Geist die Höhen,
Und die Tal‘ der Ewigkeit!

Auf den unterstieg’nen Spitzen
Sieh den Erstgebornen sitzen,
Aus dem alle Wesen blitzen!
Denn Er ist das A und O.

Ihn muss man im Vater grüßen,
Und aus Ihm den Vater schließen,
Und der Geist von Beiden fließen
Als ein hellkristall’ner Strom.

Alles muss auf Ihn sich gründen,
Alles muss Ihn wiederfinden,
In Ihm werden und verschwinden,
Der der Wiederbringer ist.

Alles muss in Ihm sich fassen,
Und Ihn mit sich machen lassen,
Und in Ihm zusammen passen
Zu dem allgemeinen Bau.

Er vermehrt sich nach Gefallen,
Ändert sich nicht in dem Allen;
So viel Sachen aus Ihm wallen,
Bleibt er doch Derselbige.

Er, der Gott-Mensch, ist der Eine,
Ob er auch verschieden scheine,
Und mit Vielem sich vereine;
Er ist sich beständig gleich.

Eins, das sonst gering und kleine,
Und an sich der Zahlen keine,
Ist die größt, und bleibt das Eine,
Wenn es Millionen macht.

Gott, das Wort, hat’s so gehalten;
Er muss aller Dinge walten,
Dringt durch allerlei Gestalten;
Alle Art rührt her von Ihm.

Dieses All kennt keine Zeile,
Ob es schon durch’s Ganze eile,
Und durchwandre alle Teile.
Alles lebet auf in Ihm.

Er lässt alle Ordnung stellen,
Alles Gute von sich schwellen;
Seine unerschaff’nen Quellen
Untermengen Tief‘ und Höh‘.

Wenn auch bloß die Engelchöre
Und kein Mensch gefallen wäre,
Wäre Gott und unsrem Heere
Allemal ein Mittler not.

Zu der reinen Gottheit Stätte
Naht kein menschliches Geräte,
Bis der Eine zwischentrete:
Gottes Sohn von Ewigkeit.

Alle sel’ge Himmelshorden
Und der ganze Menschenorden
Sind in Christo Eins geworden,
Welcher heut‘ und gestern ist.

Dieser ist das Haupt von Allen,
Was nur kann in’s Auge fallen,
Und der unsichtbaren Hallen,
Und so weit der Weltkreis geht.

Was der Sohn Geheimes übe,
Der da sitzt im Schoß der Liebe,
Seine allertiefsten Triebe
Siehet nur ein reines Herz.

Süßer Heiland, zeuch mich höher,
Deinem Herzen immer näher,
So gelang‘ ich desto eher
In des Vaters Herz hinein!

Gib mir meine ersten Blicke,
Daß Dein Bild mich wieder schmücke;
So erhalt‘ ich mein Geschicke,
Und Du, Gottmensch, Deinen Zweck!

Dahin eilet unsre Liebe,
Dahin dringen meine Triebe,
Daß ich gerne Eins verbliebe
Mit Dir, teurer Bräutigam!

Du vollführst, was angefangen,
Suchst die Seelen mit Verlangen.
Wenn der Teufel untergangen,
Bleiben Deine Engel noch!

Satans Werk, das muss zu Grunde
Und heraus vom Schöpfungsbunde;
Es ging nicht aus Deinem Munde,
Aber Du zerstörest es.

Was würd‘ das für ein Gesänge,
Wenn mit göttlichem Gepränge
Die mit Blut erkaufte Menge
Das erwürgte Lamm erhebt;

Wenn der Ält’sten Thronenreigen
Und die vier erwählten Zeugen,
Welche Tag und Nacht nicht schweigen,
Harmonie mit uns gemacht! (Offb. 4,4-8.)

Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von – Neujahrsgedanken.

Für uns gesalbtes Haupt,
Für uns geborner Same!
Für uns genannter Name,
Für Jeden, der es glaubt:
Du siehst vor Deinen Thronen,
Wo Majestäten wohnen,
Du siehst dies kleine Heer:
Ach, wenn’s das große wär‘!

Wir leben ja darum,
Daß wir dem Jesu leben,
Der sich für uns gegeben;
Wir suchen um und um,
Im Großen wie im Kleinen
Es treu mit Ihm zu meinen:
Wir suchen’s aber, ach!
Das ist noch nicht die Sach‘.

Wir haben abermal
Ein ganzes Jahr erfahren
Viel gnädiges Bewahren,
Viel Langmut ohne Zahl;
Wir greifen’s mit den Händen,
Du lässt Dein Werk nicht schänden:
Wer das nicht sehen kann,
Der ist ein blinder Mann.

Doch wer lebt recht in Gott?
Ihr Brüder, wer kann’s sagen?
Es tut wohl not, zu fragen:
Konnt‘ ein gerechter Lot (2. Petr. 2, 7.)
In Sodoms Sündenmauern
Bei seinem Gotte dauern:
Sollt‘ ich bei Salems Schein
Der Liebe untreu sein?

O lass in Deiner Schul‘
Uns täglich, Dir zu Füßen,
Von Gnad‘ auf Treue schließen,
Vom Kampf auf Christi Stuhl;
Lehr‘ uns Dich ganz erkennen,
Dich unsern Jesum nennen,
Daß Dein Wort in uns haft,
Und werd‘ zu Geist und Kraft!

Erscheine, großer Freund,
In Deiner Kreuzgemeine,
In Herrlichkeit erscheine:
Errette manchen Feind
Zu diesen Gnadenstunden
Durch’s Leuchten Deiner Wunden,
Bis er mit uns zugleich
Wird Mitgenoss‘ am Reich!

Uns aber segne Du
Mit einem neuen Segen
Auf unsren Gnadenwegen;
Gib der Gemeine Ruh‘,
Den Ält’sten Liebesblicke,
Den Wirkenden Geschicke,
Den Wanderern ein Dach,
Den Müden Dein Gemach!

Gib Männern Mut zum Streit,
Den Weibern Sabbatstille,
Den Witwen Deine Hülle,
Den Jungfrau’n Heiligkeit,
Den Junggesellen Beugung,
Den Schülern neue Zeugung,
Sei unsrer Lämmer Hirt
Und unsrer Gäste Wirt.

Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von – Neujahrslied.

Heut ist ein Fest von Jesu hohen Namen,
Die uns so oft und nie zu ofte kamen.

Verwundert euch nicht dieser Sache halben,
Ein jeder Name Christi kann uns salben.

Liebreicher Heiland, Du wollst uns vergönnen,
Dir Deine Namen, uns zum Heil, zu nennen!

Du bist ein König über alle Kaiser,
Und doch ein Knecht der ärmsten Pilgerhäuser.

Dein Volk hat in Dir einen treuen Führer,
Und jeder Schritt erkennt Dich als Regierer.

Du bist ein Fels. Wer einmal auf Dir stehet,
Der stehet fest, wenn Alles untergehet;

Ein Eckstein, der dem Bau zu Grunde lieget,
Auf dem so seliglich sich Alles füget;

Ein Schloss, genugsam, Alle zu beschützen,
Die glaubensvoll in seinen Mauern sitzen.

Ein Heerschild, dem man seine Brust vertrauet;
Ein Schwert, das vor uns her in’s Wesen hauet;

Ein Herzog, der im Streit die Spitze bietet;
Und sieht’s der Feind, so hat er ausgewüthet.

Kein Hoherpriester gleichet unsrem Lieben;
Du hast die Seelen in Dein Herz geschrieben,

In deinem Ringen durch die Hand gegraben;
Da kannst Du sie nun kurz beisammen haben. (Hohel. 5,14; Jes. 49,16.)

Prophete, der des Vaters Sinn verkläret,
Du nur bist unser Meister, der uns lehret!

Arabia mit allen seinen Weisen
Und Salomo muß deinen Vorzug preisen.

Ich möchte seh’n, wer mich einmal bethörte,
Wenn ich den Mann, der Rath heißt, immer hörte!

Kraft, die die Schwachheit nimmer läßt erliegen!
Held, der von keinem Krieg weiß, als zum Siegen.

Du, Ewig-Vater, hast Dein Amt gepriesen,
Wie Dir’s Dein großer Vater angewiesen.

Du, Friedefürst, wenn Du kannst Friede machen,
So weiß ich, daß Dir noch das Herz wird lachen!

Der Cherubim und Seraphim Bedecken
Zeigt, wer Jehovah ist, und Satans Schrecken. (Jes. 6.)

HErr, gegen den sich keine Macht darf sperren,
Dein Will‘ ist unser Glück! Wohl uns des HErren!

O Kind, wie groß Du sonst auch anzusehen:
Es ist doch kindlich mit Dir umzugehen!

Und doch begreift kein Mensch Dein Thun und Lassen,
Drum heißt du Wunderbar, und nicht zu fassen.

O Thau, der auch das dürrste Herz befeuchtet!
O Licht, das unserm Fuß die Nacht erleuchtet!

O Leben, ohne das kein Ding bestehet!
O Weg, darauf der Thor nicht irre gehet!

O Wahrheit, die noch keinen Feind betrogen!
O Burg, die all ihr Volk in sich gezogen!

O Wort, das vormals Alles ausgesprochen:
Dein Hauch weckt Herzen, die der Tod gebrochen!

Du Morgenstern, der sonnenmäßig blinket,
Und doch in ein noch finst’res Herze sinket!

Du Alpha und Omega aller Wesen!
Wer Dich kennt, hat die Weisheit selbst erlesen!

Du Sonne, dran auch Felsen selbst verwittern!
Du Flammenstrahl, vor dem die Frevler zittern!

Du Mittler zwischen Gott und uns zum Frieden,
Aus Menschenlieb‘ in David’s Haus beschieden!

Dich mußt‘ ein Kind einst seinen Säugling nennen,
Und du, Gott, wolltest Dich dazu bekennen.

Als Gottes Christ besuchst Du unsre Hürden,
Damit wir All‘ gesalbt und selig würden;

Und ohne Wahl, wer frömmer oder böser,
Wardst du der Welt, der ganzen Welt Erlöser.

Als Heiland wirst Du Deinem Volk bekennet;
Was Wunder, daß Dein Volk Dich Heiland nennet?

Als Fürsprach stehest Du zu Gottes Rechten,
Dir geben wir denn Alles auszufechten!

O Gnadenstuhl, wie selig anzuschauen!
Wer hat zu Dir wohl allzu viel Vertrauen!

O Gotteslamm, was ward Dir zugemuthet?
Erwürgt zu sein! – doch nun ist’s ausgeblutet.

Du, der Du Dich für mich in Tod gegeben,
Sag‘, Leben! was ist nutz an meinem Leben?

Das machte Dich Dein theures Blut ausschütten,
und mir zu gut ist auch so viel gelitten!

Nun siehst Du Deinen Lohn vor Deinen Augen!
Ich bin’s, wir Alle sind’s, die Gnade saugen.

Und wer beschreibt den Freund bei Seinen Seelen?
Wer kann euch von dem Bruder g’nug erzählen?

Wo ist die Braut des Bräutigams zu finden?
Nicht weit, wenn irgendwo ein Herz voll Sünden.

Ist eine arme Sünd’rin in der Nähe?
Kommt her, daß man des Heilands Braut besehe!

Was wirkt ein solcher Blick in einem Herzen?
Ein Kranksein nach dem treuen Mann der Sdmerzen.

Du hast, o Hirt, das Zeugniß, gut zu weiden;
Die kleine Seerde darf nicht Hunger leiden.

Bei Wassermangel bist du selbst ein Bronnen,
Daraus noch immer gnug umsonst geronnen.

Wer ist Dir gleich, der Seelen Durst zu stillen,
Quell, bis in’s ewige Leben reich zu quillen?

O Lebensbrod! wenn uns die Lasten drücken,
Geht man zu Dir, und ißt, sich zu erquicken!

O Weinstock, störet Etwas unser Bleiben
An Dir: vertilg’s, und hilf uns Früchte treiben!

O Rose, die im Thal der Demuth grünet!
O Saronsblume, die den Geist versühnet!

Vom grünen Baum entstand einst die Verwesung,
Dein blutig Kreuz hat Blätter zur Genesung.

Nun Du bist’s gar das haben wir erfahren!
Ist noch was übrig komm‘, es offenbaren!

Was hülf’s uns aber, wenn Du Alles hießest,
Wenn Du uns an uns selber überließest?

Drum zeiget uns Dein Geist, wie sich’s gebühret,-
Der Namen Kraft, die Du für uns geführet.

Weil Du die Wahrheit bist, wird Nichts gebrochen,
Was Du in Deinem Worte hast versprochen.

Drum segne uns mit allen Deinen Namen
Bis an der Tag‘ ihr End‘ und ewig! Amen.

(1738 in Gemeinschaft mit seiner Gattin gedichtet.)

Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von – Am Jahresschluß.

So ist denn nun auch dieses Jahr
Mit Gott zurückgelegt,
Das von besondrer Zeichnung war,
Wenn man es recht erwägt.

Preis Ihm, der Alles herrlich macht!
Er hat uns nicht gefragt,
Und weil man Nichts voraus bedacht,
So hat man nie geklagt.

Gelobt sei Der, der aller Noth,
So leicht als Wind und Wellen,
Durch Sein auch uns bekannt Gebot
Die Grenzen wußt zu stellen.

Wir glauben Ihm (ein Wort, ein Mann!)
Durch alle harten Stände.
Er ruhet nicht, Er bring‘ es dann
Zu einem sel’gen Ende.

Glück zu, zum sel‘gen neuen Lauf,
Ihr treu verbund’nen Brüder!
Es steiget unser Flehen auf
Für alle Seine Glieder.

Herr Gott, sei Allen Sonn‘ und Schild,
Und leuchte und beschütze,
Wenn’s trüb hergehet oder mild,
Daß uns doch Alles nütze!

Laß, Herr, für Arbeit wie für Ruh
Dich überall stets loben:
Bis Du uns führst der Heimath zu,
Die Du uns aufgehoben.

(um 1751.)

Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von – An Weihnachten.

Blut und Wunden,
Haben uns mit Gott verbunden;
Denn Er ehrte unser Blut.
Er ließ sich damit vermählen,
Und sich zu den Menschen zählen;
Das macht unsern Schaden gut.

Wer erzittert,
Daß er seinen Gott erbittert,
Springe jetzt voll Freuden her,
und erseh in dieser Wiegen
Gott als armen Menschen liegen:
Seine Hand ist nicht zu schwer!

Diese Hände
Segnen aller Erden Ende;
Diese sind dieselbe Statt,
Wo Er aller Menschen Seelen,
Die Ihn zum Erlöser wählen,
Treulich aufgezeichnet hat.

Diese Augen
Müssen zur Gesundheit taugen;
Wem die Sünde weh gethan,
Sehe auf zu dieser Schlangen (Joh. 3, 15.)
Und, von Glauben und Verlangen,
Ihre holden Augen an!

Diese Ohren
Lassen sich für uns durchbohren
An des Vaters Gnadenthür,
und der König der Geschlechte
Wird dadurch zu einem Knechte,
In dem irdischen Revier.

Diesem Munde,
Welcher sonst zu aller Stunde
Seinen Vater für uns bat,
Schmecket jetzt, nach Menschenweise
Eine gar geringe Speise,
Weil er Durst und Hunger hat.

Dieser Odem,
Welcher dermaleinst den Todten
Lebensgeister geben kann,
Scheinet jetzund kaum zu wehen,
Und soll noch dazu vergehen,
Beim Beschluß der Lebensbahn.

Diesen Füßen,
Die sich kaum zu regen wissen,
Muß des alten Drachen Wuth
Erst noch in die Fersen stechen,
Bis sie sich vollkommen rächen,
An dem Kopf der Schlangenbrut.

Diese Thränen,
Welche sich nach Labung sehnen,
Werden für der Menschen Schuld
Sich noch öftermals ergießen
Und gleich einem Blutstrom fließen
Von der ewigen Geduld.

Dieser Rücken
Wird sich zu dem Kreuze bücken,
Wann die Leidenszeit regiert,
Und der Ruthen Schläg‘ empfinden,
Welche unsre Bosheit binden
Und ein Mordkind führen wird.

Aus der Seiten
Werden in den letzten Zeiten
Blut- und Wasserströme gehn,
Uns zu waschen und zu heilen,
Uns Erquickung mitzutheilen,
Die wir so verlassen stehn.

Dieses Herze
Reget sich mit Müh und Schmerze;
Und wie leis es jetzo schlägt.
So durchdringend wird es brechen,
Und die armen Herzen rächen,
Die der Seelenfeind erlegt.

Neugebornes
Und von Ewigkeit erkor’nes
Auserwähltes Gnadenkind!
Höre, wie die Menschenkinder,
Die entblößten armen Sünder,
Über Dich erfreuet sind!

Sie umfangen
Voller Liebe Deine Wangen,
Ja, sie küssen Deinen Mund;
Dein noch unverständlichs Lallen
Muß den Seelen süße schallen,
Die der Schlange Zahn verwundt.

Sie erheben
Dein kaum angegang’nes Leben
Sie sind voller Glaubenslust:
Daß Du in den Gnadenzeiten
Ihnen solch ein Heil bereiten
Und ein Kindlein werden mußt.

Herzensknabe!
Aller Erden Gut und Habe
Ist nur Unflath gegen Dich!
Du kannst uns mit wenig Blicken
Millionenmal erquicken;
Wirf auch einen Blick auf mich!

Laß bei Zeiten
Alle andre Eitelkeiten
Mir aus den Gedanken gehn!
Will sich fremde Lust erregen
Und zur Sünde mich bewegen:
Laß mich auf Dein Kripplein sehn,

Wo Du, König,
Dem die Erde unterthänig,
Und der Himmel eigen ist.
So gar elend, und auf Wegen,
Die kein Mensch betreten mögen,
Bei uns eingekehret bist!

Holde Hände!
Nehmt mich auf am letzten Ende;
Denn ich werde nach euch sehn,
Wenn ich als ein Kind gen Himmel
Aus dem Jammer und Getümmel
Dieser Erden werde gehn!

(1720.)

Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von – Anbetung zu Weihnachten.

Rath, Kraft und Held und Wunderbar!
Dein Nam‘ ist meiner Seele klar, (1. Joh. 2, 13.)
Die Du mit Deinem Blut erkauft
und mit der Liebesglut getauft.
Mein Bräutigam, an meiner Stirne brennt
Dein Nam‘ und Kreuz, seitdem mein Herz Dich kennt!

Wenn ich, mit allem meinem Fleiß,
Mir nimmermehr zu rathen weiß,
Und meine Ohnmacht, Unverstand
Und Schwachheit kräftiglich erkannt:
So bist ja Du der unerforschte Mann,
Der allen meinen Sachen rathen kann.

Fehlt mir’s an aller Lebenskraft,
Hat meine Rebe keinen Saft,
Und sinke ich vor Mattigkeit
Beinahe hin zu mancher Zeit:
So ist Dein kräftiges Gefühl in mir,
Das hält mir neue Heldenkräfte für.

Wenn ich im schweren Glaubenskampf
Durch manchen dicken Rauch und Dampf,
Durch manche Leib’s- und Geist’s-Gefahr
Mich dränge zu der Siegesschaar:
So bist Du’s, unbezwungner Wunderheld,
Der meinetwegen alle Feinde fällt.

Wenn sich mein Senfkorns-Glaube regt,
Und kindlich Dir zu Füßen legt,
So mag der Feinde Hohngeschrei
Ertönen: daß ich thöricht sei
Ich fürchte mich deswegen doch kein Haar:
Mein Glaub‘ ist Sieg, mein Ziel ist: Wunderbar!

Mein Alles! mehr als alle Welt,
Mein Freund der ewig Treue hält!
Mein weiß- und rother Bräutigam! (Hohel. 5, 10.)
Mein immerwährend Osterlamm!
Mein Leitstern! meine Liebe! meine Zier!
Sei ewiglich mein‘ Zuflucht, mein Panier!

Hast du mich in der Zeit gewollt,
Die räderschnell von dannen rollt,
So miß mir Selbst die Stunden ab,
Sei meiner Reise Wanderstab!
Sei meines Handelns Schöpfer! führe mich,
In Allem Dir zu wandeln würdiglich!

Soll ich viel Jahr im Joche fort,
So zeige mir den Ruheport
Von ferne zeige mir die Stadt,
Die Deine Hand bereitet hat,
Das güldne Seraphinen-Liebeslicht:
So schrecket mich die lange Reise nicht!

Und wenn ich meiner Brüder Zahl
Nach Deiner holden Gnadenwahl
In meinem Theil einst auch erfüllt,
Wenn’s endlich auch Belohnen gilt:
So weiß’st Du, daß mein Lohn, mein Licht und Ruh‘
Nur Du alleine werden sollst, nur Du!

Über Jes 9,6. (1721.)

Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von – Weihnachtsgedanken

Das Weihnachtsfest,
Das Gott uns läßt
Auf’s Neue wohl und hoch vergnügt erleben,
Bringt Wonn‘ und Freud‘
Der Christenheit;
Drum laßt uns Gottes Wunderthat erheben!

Gott liebt die Welt,
Weil er sich stellt
Zum Bürgen dar in unsern großen Nöthen;
Gott ist uns hold,
Und hat das Gold
Der Unschuld selbst im Feuer lassen löthen.

Bedenkt den Tod,
Die große Noth.
Die Er um unsertwillen hat gelitten!
Ach, danket Ihm
Mit heller Stimm‘:
Er stillt den Zorn, und stellt sich in die Mitten!

Nachdem er nun,
Dies uns zu thun,
Sich keine Müh‘ und Arbeit lassen dauern,
Wer wollte denn
Nicht fest bestehn,
Wie Stahl und eisenfest erhöhte Mauern?

Erhebet Ihn
und euren Sinn!
Denn Seinen Ruhm kann Niemand gnugsam preisen;
So wird der HErr
Uns auch noch mehr,
Als er bisher verliehen hat, erweisen.

(1712.)

Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von – Weihnachts-Harmonie.

Die wahre Gnadensonne
Geht auf zu unsrer Wonne,
Und macht ein Heer von Sündern
Zu frohen Lichteskindern.

Der Erst- und Eingeborne
Besuchet uns Verlorne,
Hat Seinen Schwur gehalten:
Drum laßt Ihn immer walten!

Der HErr ist in dem Orden
Der Sünder Mensch geworden,
Und gleich doch ohne Sünde
Dem schwächsten Erdenkinde.

Er wird ein Knecht auf Erden,
Daß ich ein Herr kann werden:
Den Wechsel gnug zu preisen,
Fehlt’s noch aus Singeweisen.

Seht nur auf dieses Kindlein
Im Kripplein, in den Windlein,
Das euch mit Seinem Blute
Verschaffet alles Gute.

Wenn ich’s im Geiste sehe
In Seiner Gotteshöhe:
So denk‘ ich, ich vergehe,
Bis ich den Menschen sehe.

Gott geht aus Seiner Kammer,
Die Welt aus ihrem Jammer;
Das Kindlein in der Krippe
Hat Honig auf der Lippe.

Er liegt in Seiner Krippen
Und ruft mit süßen Lippen:
Grämt euch nicht, lieben Brüder,
Ich bringe Alles wieder!

O Kind, o süßer Knabe,
Du, den ich lieber habe
In Seinen Kindsgeberden
Als alle Schätz‘ auf Erden;

Laß, Schönster, Dich erblicken,
Mein Herze zu erquicken,
Du seligs, kleines Kindlein,
In Deiner Kripp‘ und Windlein!

Ist das mein lieber Bruder,
Der an der Welten Ruder
Der Alt‘ ist alle Tage?
Ach, Er bejaht die Frage!

Wie soll man dich empfangen?
O aller Welt Verlangen!
Du kommst, die Welt zu segnen;
Wie soll man Dir begegnen?

Ach, sei willkomm’n hienieden,
Du edler Gast, den Müden!
Komm‘, sieh‘, wie’s ihnen gehet,
Du hast sie nie verschmähet!

Du Schöpfer aller Dinge,
Wie wirst Du so geringe!
Der Alles hält alleine,
Wie wirst Du doch so kleine!

Gib dich uns, Herzensknabe,
zu einer Christnachtsgabe!
Du kannst mit wenig Blicken
Millionenmal erquicken.

Ich will hier bei Dir stehen;
Du wirst mich nicht verschmähen,
Wenn ich zur Krippe gehe
Und um ein rein Herz flehe.

Ach, Dein Advent in Fleische,
Der halte Deine keusche,
Sonst sündige Gemeine
Von Stund‘ zu Stunde reine!

Wir lassen uns gefallen,
Die Zeiten durchzuwallen,
Da uns Dein menschlich Leben
Beispiel und Trost gegeben.

Wenn Christnacht und Dein Leiden,
Die Ursach‘ ew’ger Freuden,
Im neuen Lied erscheinen,
Dann wird man nicht mehr weinen.

Dann wird das Lamm, so theuer,
Mit seinem Strahlenfeuer,
Die Engel und die Thronen
Und wir beisammen wohnen!

(um 1752.)