Als unser Heiland erstanden gewesen,
Gingen zwei Freunde zusammen auf’s Land,
Welche die Bibel sehr fleißig gelesen,
Wussten auch, was in derselbigen stand:
Dennoch ging’s ihnen, wie anderen Leuten,
Welche den Sinn nicht recht wissen zu deuten.
Aber wer wird sie entschuldigen können?
Steht nicht in allen Kapiteln der Schrift,
Dass vom Messias das Kreuz nicht zu trennen,
Und Ihn auch dann noch das Sterben hier trifft?
Wenn ihnen Solches nicht wissend gewesen:
Saget, wie mussten sie haben gelesen?
Kann als Entschuldigung man es gestatten,
Dass sich die Zunft der Gelehrten hernach,
Welche die Bibel nun ebenfalls hatten,
Über der Deutung die Köpfe zerbrach,
Bis sich die hundert und etliche Sekten
Allesamt hinter die Bibel versteckten?
Wenn nur zu Christo ein fleißig Studieren,
Ein theologisches Schließen hinführt:
Möchte man Hoffnung und Liebe verlieren,
Weil ja nur Wenig‘ so hoch sind studiert;
Und dann: so führet zum himmlischen Stege
Jegliche Schule besondere Wege!
Doch was sagt Paulus? Das lässet sich hören:
„Mir gab kein Mensch es für meine Person,
Sondern ich ließ mich von Jesu belehren,
Hörte nur Seinen ernst lockenden Ton!“
Ob er gleich zählt zum studiereten Orden,
Ist er durch Jesum zum Mann erst geworden!
Wollten die Menschen, ach, wollten sie hören,
Jesus verschweiget nicht Einem das Wort;
Jesus ist kommen, die Menschen zu lehren,
Jesus besuchet den schlechtesten Ort,
Jesus begehret nicht blinde Verehrer,
Aber verständige, willige Hörer.
Seht! wie die Jünger bei Jesu gelernet,
Wie Er gesprochen zu ihrem Gemüt,
Wie von der Schrift Er sie niemals entfernet,
Sondern sie stets mit der Bibel beschied!
Gnügte sie Ihm, dem unsterblichen Meister,
Wahrlich, dann gilt sie für fündige Geister!
Lasst uns die alten Exempel besehen,
Was zu Aposteln die Fischer gemacht:
Das muss bei allen Gelehrten geschehen,
Wollen sie dienen der himmlischen Macht.
Uns hat, so haben die Jünger bekennet,
Über dem Lehren das Herze gebrennet!
Hohes Geheimnis, vortreffliche Schule,
Enthusiasmus voll hoher Vernunft!
Denn es wirft einen Professor vom Stuhle,
Aber bringt Toren zu göttlicher Zunft;
Wem nicht das Herze beim Lehren entglommen,
Der hat ohnfehlbar nichts Rechtes vernommen!
Redner! ach lasset das nichtige Plaudern,
Wisst ihr die Straße, beschreibt ihr den Weg:
Wie, dass die Hörer so jämmerlich zaudern,
Nur zu verlassen den schädlichen Steg!
Zeigt ihr den Leuten ihr wahres Verderben,
Sind sie denn Narren, mit Vorsatz zu sterben?
Nein! spricht der Ewige, täten die Lehrer,
Was Ich befohlen, und sagten es hin,
O so bekehrten sich ihre Verehrer;
Aber wo fehlt es? Am richtigen Sinn!
Was wird von Einem wohl gründlich’s gelehret,
Der es selbst noch nicht von Jesu gehöret?
Seelen, gebt Achtung in jeglicher Predigt,
Erst: wie der Lehrer die Rede gemeint;
Du er die Sache vom Zweifel erledigt,
Ob sein Gebäude gegründet erscheint;
Ob ihr das habet, worauf er gezielet,
Und was ihr endlich im Herzen gefühlet!
Habt ihr daneben ein redliches Wollen,
Seid ihr begierig, die Leute zu sein,
Die nach der Bibel die Christen sein sollen,
Und es dringt dennoch die Predigt nicht ein:
Nun dann, so denk‘ ich mit heiligem Schauder:
Ach, sie bestand nur in leerem Geplauder!
Tönet hingegen die göttliche Stimme,
Tönt sie durch einen geheiligten Mund,
Schreckt uns die Gottheit mit feurigem Grimme,
Oder es lockt uns ihr lieblicher Bund:
Dann ist kein redliches Herze vorhanden,
Wo nicht ein Brennen und Glühen entstanden.
Das kann die Lehrer das Predigen lehren,
Hier hat ein Laie die richtige Spur.
Hört er, und kann doch nichts Nützliches hören,
Such‘ er’s bei sich und dem Prediger nur;
Hört er was Rechtes, so wird er geschrecket,
Oder zum Leben lebendig erwecket.
Lass die Vernunft nun die Kräfte verbinden;
Hat sie was Klüg’res zu Wege gebracht?
Kann sie die Menschen im Herzen entzünden,
Wie oft die Einfalt die Probe gemacht?
Reden, wo redliche Seelen Nichts fühlen,
Sind ein pur lauter Komödien-Spielen!
(Am Ostermontage 1726.)